Björn Quäck: Radiotag 2004 in Erkrath

Radiotag 2004 in Erkrath: Kleine Freiheiten

erkrath_2004_sternwarteUm die kleinen Freiheiten der Ätherpiraterie und andere Formen amplitudenmodulierter Selbstverwirklichung ging es beim Radiotag am 11. September 2004 im Observatorium der Sternwarte Erkrath.

Mehr als fünf Jahres ist es her, dass eine Crew von Radioenthusiasten über Ostern ein Schiff charterte und von der Nordsee an die große Tradition der Seesender anknüpfen wollte. “Offshore 98” hinterließ zwar tieferen Eindruck auf die Macher als auf die Hörer – so weit und so stark wie gewünscht war der Sender wahrlich nicht zu empfangen. Doch mit diesem Trip ging für einige ein Traum in Erfüllung: endlich einmal ein Radio zu machen, das zwar Selbstausbeutung bedeutete, aber auch Freiheit verhieß.

offshore98Das erfreulich professionell zusammengeschnittene Video über diesen Akt von Piraterie wurde erstmals auf dem Radiotag gezeigt. Und nebenbei erzählte Frank Leonhardt, einer der Köpfe der Free Radio Campaign Germany, wie er für das Projekt aus Altbeständen der DDR-Flugüberwachung einen 100-Watt-Langwellensender besorgt hatte. Er war annonciert gewesen – gegen Gebot an Selbstabholer. Das Gerät wechselte schließlich für 5000 Mark den Besitzer. Hinterher erfuhr Leonhardt, dass er der einzige Bieter war. “Den Sender hätte ich also auch für eine Mark haben können”, lautet seine späte Erkenntnis. Dass ausgerechnet jener Langwellensender auf 279 kHz nur auf dem Schiff selbst zu hören war und offenbar die Parallelausstrahlung auf Mittelwelle 1566 kHz empfindlich störte, bleibt Ironie des Schicksals.

erkrath_2004_rothAus Anekdoten wie dieser konnte Wolf-Dieter Roth für seine Geschichte der Frequenzfreibeuter schöpfen. Dass er den Begriff der Piratensender in seiner gleichnamigen Buchveröffentlichung ziemlich weit fasst, demonstrierte er den rund 50 Besuchern des Radiotags. Nicht mit einer Dichterlesung, sondern einer launig kommentierten Bilderparade aus dem Laptop, die u.a. das Kapitel über die “Alpenpiraten” illustrierte. Zwar war das, was die Südtiroler Stationen vor einem Vierteljahrhundert veranstalteten, nicht direkt strafbewehrt. Aber abenteuerlich ging es sehr wohl zu, wenn Dipol-Konstruktionen den Gipfelkreuzen Konkurrenz machten, um das mit Populärprogramm unterversorgte Bayern zu erreichen – und unkonventionell war nicht nur die technische Realisation, sondern auch manch geschäftliches Gebaren. Doch bald wurden die Frequenzen rar. “Der Bayerische Rundfunk hat Bayern 4 Klassik nur eingeführt, um die Frequenzen oberhalb 100 MHz dicht zu machen”, meint Roth. Dies war einer der Gründe, wieso sich die Südtiroler Gipfelstürmer schon wieder an den Abstieg begeben mussten.

erkrath_2004_kingBergab ist es derweil mit der deutschen Rundfunklandschaft gegangen, folgt man der Diagnose des nächsten Radiotag-Podiumsgastes, Moderator Dennis King. “Radio wird nur noch praktiziert, um Gewinn zu erwirtschaften. Dass Radio eine Seele hat, ist in Deutschland nicht gewollt.” Jedenfalls nicht von denen, die sich ihren Sender als Goldesel wünschen und nun doch wundern, dass Radiowerbung seiner Effektivität verlustig geht. “Die Leute hören nicht mehr hin.”

Guter Rat ist teuer: Nicht nur, dass King für seinen Heimatmarkt Berlin die Kosten für einen neuen Sender, der es irgendwie anders machen könnte, hoch ansetzt – zweieinhalb Millionen Euro fürs erste Jahr müsse man fürs Marketing rechnen, um überhaupt beim Publikum aufzufallen. Teuer zu stehen kommen auch die Beraterdienste, auf die etliche Verlegersender anscheinend blind vertrauen und die zu der Format-Uniformität entscheidend beigetragen haben. Apropos Consulting: Nichts anderes praktiziert Dennis King bei Rubinstein Media: “Wir suchen für Bankkonsortien, die in Medien investieren wollen, die sicheren Objekte. Sicher heißt heute, dass das Geld nicht weg ist.” Wobei die königliche Anlageberatung weniger Radio, sondern eher Fernsehen im Blick hat.

War früher alles besser, zu Zeiten, als der WDR die eingedeutschte “American Top 40” mit Dennis King zu einem Preis einkaufte, für den er im Dritten hätte Fernsehen machen können? Prompt wird der Radioveteran in Erkrath wieder auf die hippiesken Siebziger angesprochen, als er für den Seesender Caroline an Levis und Marlboro Werbezeit verschenkte, um später bezahlte von K-Tel zu erhalten. “Vor 30 Jahren habe ich zum letzten Mal Spaß gehabt beim Radiomachen”, seufzt er. “Danach habe ich nur Geld verdient.”

erkrath_2004_publikumDer Profit, den Radio Marabu heute mit seinem Alternativmusik-Format einfährt, bleibt auf absehbare Zeit nur ein ideeller. Ohne viel Aufhebens zu machen, war ein Teil der DJ-Crew auch dieses Mal in Erkrath vor Ort und zeichnete einige Interviews auf. In seinem nunmehr zwanzigsten Jahr strickt der “schräge Vogel” unter den freien Radios weiter an seinem Patchwork an Ausstrahlungsmöglichkeiten. 2004 neu hinzugekommen sind nicht nur Sendungen via Radio Caroline in Italien auf DAB, sondern auch auf der Kurzwelle – wo für Marabu alles anfing. Nur dass das der neu für 40 Euro pro Stunde angemietete 100-Kilowatt-Sender in Lettland auf 9290 kHz am Radiotag wieder sehr gut zu hören war. Und – da ganz offiziell – ausnahmsweise rein gar nichts mit Piraterie zu tun hat.

Björn Quäck

Links
Bilder vom Radiotag 2004 in Erkrath von Martin van der Ven
Wolf-Dieter Roths Piratensenderbuch
Radio Marabu