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Holger Lachmann: „Musik wird immer noch emotional konsumiert“

Holger Lachmann (Bild: 104.6 RTL)Den mit Sicherheit spannendsten Job als Leiter einer Musikredaktion in der Hauptstadtregion hat Holger Lachmann: Im RTL Radio Center Berlin ist er seit 1998 zuständig für die Musikabläufe einer ganzen Reihe von Key-Angeboten in ihren jeweiligen Sendegebieten – wie 104.6 RTL, Radio Brocken oder 89.0 RTL. Hinzu kommen noch die Online-Musikkanäle der Sendergruppe. Viel Verantwortung für Lachmann, zumal gerade Berlin traditionell als der härteste Radiomarkt der Republik gilt.

Im Rahmen unserer Serie „Heimliche Radiohelden“ sprach RADIOSZENE mit Holger Lachmann über seine Arbeit und die Veränderungen im Musikmarkt.


RADIOSZENE: Herr Lachmann, wie kamen Sie zum Radio?

Holger Lachmann: Ich bin der klassische Quereinsteiger. Ich kam zum Radio, als der Privatfunk in Berlin noch mehr oder weniger in den Kinderschuhen steckte. Kurz gesagt: ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort und ENERGY in Berlin war „mutig“ genug, mich on air zu lassen. Das war 1992. Zunächst sendete ich neben meinem normalen Job nur am Abend. Irgendwann wurden mir aber zwei Berufe einfach zu viel und ich musste mich entscheiden. ENERGY bot mir die Gelegenheit und schon wenig später fand ich mich in der Musikredaktion wieder. Seit 1996 bin ich jetzt in der Musikredaktion von 104.6 RTL tätig, seit 1998 als Musikchef.

RADIOSZENE: Welche Tätigkeitsfelder umfasst ihr Aufgabengebiet?

Holger Lachmann: In einem Satz: Ich muss sicherstellen, dass das Musikprogramm dem Format und der strategischen Ausrichtung des Senders entspricht. Das gilt nicht nur für 104.6 RTL, sondern auch für die „angeschlossenen Rundfunkanstalten“ im Radio Center Berlin: 105‘5 Spreeradio, 93,6 JAM FM, 89.0 RTL, Radio Brocken, RTL Radio Deutschlands Hit-Radio, sowie the wave relaxing radio. Hierfür habe ich ein hervorragendes Team, das die Sender musikalisch und redaktionell im vollen Umfang betreut. Das beinhaltet neben der Musikplanung natürlich auch alle anderen redaktionellen Tätigkeiten: Interviews, Musikspecials, Research, Recherche und so weiter. Bei mir laufen im Grunde alle Fäden zusammen.

Holger Lachmann (Bild: 104.6 RTL)
Holger Lachmann (Bild: 104.6 RTL)

RADIOSZENE: Welche Alben und Künstler stehen in Ihrem privaten Musikarchiv ganz weit vorne?  

Holger Lachmann: Ich höre eigentlich querbeet, wenn auch sehr maintreamig. Allzu schräg oder speziell darf es bei mir nicht werden. Da geht dann aber alles von ABBA über Ed Sheeran bis Helene Fischer. Letztere kann und darf ich in unseren Programmen nicht spielen, also lebe ich meinen Helene-Fetisch privat aus. :-)

RADIOSZENE: Welche Bedeutung haben Musik und Musikspezialsendungen bei 104.6 RTL und den von ihnen betreuten Programmen?

Holger Lachmann: Musik ist und bleibt der Haupteinschaltgrund im Radio. Musik ist der Erstkontakt zum Hörer. Da können noch so populäre Moderatoren am Mikrofon sitzen und die tollsten Inhalte im Programm stattfinden – wenn die Musik nicht stimmt, ist der Hörer schnell wieder weg. Unter diesem Gesichtspunkt spielt die Musik die wichtigste Rolle in unseren Programmen. Natürlich gehören Moderations-Ikonen wie Thomas Koschwitz bei Spreeradio ebenso dazu wie die verrückten Aktionen, die wir bei JAM FM veranstalten. Aber ohne die passende Musik wäre es nichts Halbes und nichts Ganzes.

104.6 RTL-Moderatoren auf der Bühne
104.6 RTL-Moderatoren auf der Bühne

RADIOSZENE: Wie hat sich der Stellenwert der Musik im Radio im Laufe der Zeit verändert?  

Holger Lachmann: Musik hat nach wie vor einen hohen Stellenwert. Die Art des Musik Konsumierens hat sich in den letzten paar Jahren verändert (Stichwort Streaming etc.), aber das ändert nichts an der Wichtigkeit der Musik.

„Die Kunst ist es, die richtige Zusammenstellung zu finden“
(Holger Lachmann)


RADIOSZENE: Kritiker werfen ein, dass in Zeiten des Formatradios die Musikredaktionen nur noch wenige Einflussmöglichkeiten auf die Musikabläufe haben. Welchen Einfluss haben Sie bei 104.6 RTL? 

Holger Lachmann: Wir spielen das, was die Hörer hören wollen. Das RTL Radio Center Berlin investiert viel Zeit und Geld, um genau das herauszufinden. Welche akuellen Hits sind angesagt und müssen somit bei RTL oder JAM FM laufen, welche Hits aus den 80ern mag der Spreeradiohörer und mit welchen Smooth Jazz-Titeln sollte ich das Programm von the wave bestücken? Das entscheidet in weiten Teilen der Hörer. Wir als Musikredakteure erstellen dann aus dem Pool an möglichen Titeln die richtige Mischung für die Programme. Insofern ist formatbedingt natürlich der Einfluss beschränkt. Die Kunst ist es, die richtige Zusammenstellung zu finden. Es hilft ja nichts, wenn ich einen Song total toll finde, ich aber genau weiß, dass mein Hörer abschalten würde. Also lasse ich ihn natürlich weg. Meine persönlichen Lieblingshits kann ich allein zu Hause hören. Im Programm haben sie im Zweifelsfall nichts zu suchen.

RADIOSZENE: Die Bedeutung von Musiktests ist in der Tat bei vielen Sendern enorm. Wie sehr beeinflussen diese Ihre Arbeit beziehungsweise die Playlisten Ihrer Programme?

Holger Lachmann: Wie schon erwähnt, spielt Musikresearch eine große Rolle – in all unseren Programmen. Am Ende des Tages muss aber auch der „Bauch“ seinen Job machen. Research, Charts, Spotify, Shazam… hier finden wir die Inspiration für das bestmögliche Programm in den einzelnen Formaten. Vermutlich würde ein ABBA-Song auch bei den Hörern von JAM FM hervorragend testen, spielen können wir ihn da aber nicht. Das muss dann bei Spreeradio stattfinden. Insofern ist der Musiktest ein wichtiges Arbeitspool, Grips und Bauch dürfen darüber aber nicht ausgeschaltet werden.

RADIOSZENE: Welche Musik ist bei Ihren Hörern derzeit besonders angesagt – und zeichnen sich bereits neue Trends ab? 

Holger Lachmann: Nach wie vor finden formatübergreifend vor allem die Pop-Rhythmus-Hits ihren Weg in die Programme. Darüber hinaus funktionieren aktuell auch entsprechende „Ausbrecher“ hervorragend, etwa Rag’n’Bone Man oder Imagine Dragons. Auch deutsche Songs spielen weiterhin eine große und wichtige Rolle.

Arno Müller und Katja Desens (Bild: 104.6 RTL)
Arno Müller und Katja Desens (Bild: 104.6 RTL)

RADIOSZENE: Sind denn nach der Flut der großen Charterfolge (wie wir sie beispielsweise bis in die 1980er Jahre hatten) überhaupt noch wirklich neue Top-Hits möglich – ist die Popmusik „kompositorisch“  gesehen überhaupt noch in der Lage regelmäßig generationsübergreifende Welthits zu liefern?

Holger Lachmann: Das ist doch Quatsch. Zu behaupten, früher gab es große Stars und dementsprechende Erfolge und heute nicht mehr, ist Humbug. Früher hießen sie Tina Turner und Phil Collins und auch heute haben wir mit Adele, Ed Sheeran oder – ja, sogar der – Justin Bieber große Stars, die seit Jahren einen Hit nach dem nächsten abliefern. Alles Künstler, die nicht nur generationsübergreifend funktionieren, sondern auch Hits mit Bestand veröffentlichen. One-Hit-Wonder gab es in den 1970er Jahren genauso wie heute.

RADIOSZENE: Wie sehr haben sich Radio- und Musiklandschaft über die Jahre verändert?

Holger Lachmann: Musik war und ist ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens. Zu jedem einzelnen Titel hat man eine Emotion – die Grundfrage ist zunächst „Mag ich den Song oder mag ich ihn nicht?“. Das war früher so, das ist auch noch heute so. Musik wird immer noch emotional konsumiert. Das, was sich geändert hat, sind die Quellen. Wo früher Plattenspieler und Kassettengeräte genutzt wurden, sind es heute Smartphones, stimmengesteuerte Devices oder schlicht der Computer. Das ändert aber nichts am Umgang mit der Musik. Was sich tatsächlich geändert hat, ist die Vielfalt. Heute ist alles und zu jeder Zeit abrufbar. Wenn man früher ein 90-Minuten-Mixtape auf dem Schulhof vorweisen konnte, war man der Held. Heute hat man abertausende Titel in einem Gerät, das kaum größer als seine eigene Hand ist. Das ist schon eine erstaunliche Entwicklung.

Die Jamify-Show mit Monat bei JAM FM und Spotify
Die Jamify-Show mit Monat bei JAM FM und Spotify

RADIOSZENE: Werden Streaming-Dienste den Radiokonsum nachhaltig beeinflussen? Die Single-Charts wurden durch Spotify zuletzt ja bereits nachhaltig verändert …

Holger Lachmann: Lustigerweise haben die offiziellen Singlecharts keine wirkliche Relevanz mehr für uns. Insofern ist es im Grunde egal, ob Anbieter wie Spotify da eine Rolle spielen oder nicht. Die Charts sind neben unserem Research, Shazam, Spotify, iTunes usw. ein weiteres Tool, an dem wir uns orientieren. Ob die Streaming-Dienste nachhaltig den Radiokonsum beeinflussen, fragen Sie mich in fünf Jahren nochmal. Musikvideos, Napster, iTunes… alle waren sie der vermeintliche Todesstoß des Radios. MTV guckt keiner mehr, iTunes ist ein Schatten seiner selbst – das Radio sendet immer noch fröhlich. So richtig dolle Sorgen mache ich mir im Moment noch nicht. Streaming zu ignorieren wäre aber fatal – insofern haben wir da ein Auge drauf und werden bei Bedarf reagieren.

„Jetzt kann man sogar einen Hit landen, ohne die große Musikindustriemaschine hinter sich zu haben“
(Holger Lachmann)


RADIOSZENE: Zuletzt hatte man den Eindruck, dass sich in den Charts immer mehr Künstler bewegen, die bis vor kurzem völlig unbekannt waren. Täuscht dieser Eindruck, haben es die „großen Namen“ immer schwerer erfolgreich zu sein?

Holger Lachmann: Spotify und YouTube hinterlassen natürlich ihre Spuren in der Musikwelt. Da ploppen dann schnell Künstler auf, die über die herkömmlichen Wege vermutlich keine Rolle gespielt hätten. Aber das ist ja das Tolle an diesen ganzen „Neuland-Medien“: jetzt kann man sogar einen Hit haben, ohne die große Musikindustriemaschine hinter sich zu haben. Ich finde das gut.

RADIOSZENE: Welchen Stellenwert haben Newcomer und Neuheiten für Ihre Programme?

Holger Lachmann: Auch hier gilt: das Format gibt die Relevanz vor. Newcomer oder neue Titel spielen bei JAM FM natürlich eine ganz andere Rolle als bei Spreeradio. 104.6 RTL sitzt da etwa mittendrin. Wir beobachten sehr genau, was da neues am Horizont aufkommt. Passt es ins Programm, sind wir eigentlich meistens gern dabei.

RADIOSZENE: Wie wichtig sind Radiokonzerte für Ihre Sender?

Holger Lachmann: Bei nahezu allen unserer Sender haben wir in irgendeiner Art regelmäßig Radiokonzerte. Sei es bei 104.6 RTL und Radio Brocken die Stars For Free-Konzerte, bei 89.0 RTL unsere Dachterrassen- oder bei JAM FM die Schulhofkonzerte. Eine einfache und effiziente Art mit den Hörern in direkten Kontakt zu kommen. Wir sind große Fans davon.

104.6 RTL-Kindl-Bühne Wuhlheide
104.6 RTL-Kindl-Bühne Wuhlheide

RADIOSZENE: Fast alle deutschen Sender – so auch 104.6 RTL – verfügen heute über separate Musik-Spartenstreams im Internet. Welche Bedeutung haben diese Angebote und wie häufig werden diese genutzt?

Holger Lachmann: Wir betrachten unsere Sender auch als Marke. In diese Markenwelt wollen wir das großmöglichste Angebot machen. Kanäle wie „Das Beste der 80er“ bei 104.6 oder „In The Mix“ bei 89.0 RTL vervollständigen das Gesamtangebot. Mit den Zugriffszahlen sind wir zufrieden.

RADIOSZENE: Welchen Einfluss hat deutsche Musik beziehungsweise haben deutsche Künstler derzeit bei Ihren Hörern? 

Holger Lachmann: Nach wie vor spielt deutsche Musik eine große Rolle – formatübergreifend. Künstler wie Mark Forster funktionieren in allen Formaten und in allen Altersgruppen. Bei JAM FM, wo ein Max Giesinger vielleicht zu konservativ klingt, nehmen dann Nimo oder RIN die Rolle der relevanten deutschen Künstler ein.

RADIOSZENE: Wie hoch ist der nationale Anteil in Ihrem Programm? 

Holger Lachmann: Der Anteil im Programm schwankt. Das hängt vom verfügbaren Material ab. Wir spielen die deutschen Titel, wenn sie passen und angeboten werden. Deutsche Tracks zu spielen, nur weil sie deutsch sind, ist ja nicht zielführend.

RADIOSZENE: Welche besonderen Herausforderungen müssen sich 104.6 RTL bzw. die Branche allgemein in der Zukunft ganz besonders stellen.

Holger Lachmann: Wir müssen weiterhin offene Augen und Ohren für unsere Hörer haben. Sobald das Angebot nicht mehr mit der Nachfrage übereinstimmt, machen wir etwas falsch. Dazu beobachten wir sehr genau die Entwicklung im Streamingbereich. Ob es am Ende eine partnerschaftliche Beziehung oder ein Konkurrenzkampf wird, wird sich zeigen.

 

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