Das ist etwas anderes. „Staatsfunk“ rückt ÖR-Medien in nordkoreanische Nähe. Das ist gefährlicher Unsinn.
— Stephan Ebmeyer (@sebmeyer) October 10, 2017
Was ist so schlimm an an diesem Wort?
Liebe Kollegen der ARD, ich habe mir vorgenommen, diesmal ganz sachlich einfach nur ein paar Punkte aufzulisten und auf Polemik zu verzichten. Inspiriert dazu hat mich der SWR-Redakteur Stephan Ebmeyer. Er ist einer der vergleichsweise wenigen, die sich ansatzweise auf eine Diskussion über die Grundlagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eingelassen haben. Es ging in diesem Fall um das Wort Staatsfunk. Das hatte ich selber hier gar nicht verwendet, anders als – zugegeben – in früheren Fällen. Aber zahlreiche ARD-Kollegen reagieren gerade sehr angepiekst auf Jan Fleischhauer, der im Spiegel von Staatsfunk sprach. Warum eigentlich? Was ist so schlimm an Staatsfunk?
- Staatsfunk ist weltweit ziemlich normal. ARD-Kollegen (in diesem Fall vom Spiegel provoziert) reduzieren das Phänomen Staatsfunk in diesen Tagen zu sehr auf Nordkorea. Sie haben insoweit recht, als der Rundfunk dort eindeutig staatlich ist. Staatsfunk ist aber auch das NPR in den USA. Staatsfunk war auch der nach der Wiedervereinigung aufgelöste Rias Berlin. Er wurde gemeinschaftlich von der Bundesregierung (Innerdeutsches Ministerium) und der staatlichen amerikanischen USIA (United States Information Agency) betrieben, die auch Radio Liberty und Radio Free Europe veranstaltete. Insofern beschreibt Staatsfunk nur Eigentümerverhältnisse. Der Unterschied zwischen den USA und Nordkorea ist gleichwohl fundamental. Es kommt darauf an, was man damit macht.
- Verfassungsrechtlich ist Staatsfunk in Deutschland heute ausgeschlossen. Das ist ein gewichtiges Argument. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten verweisen gern auf diese grundgesetzliche Basis, wenn sie Staatsfunk hören, das Wort als Angriff verstehen und den Angriff zurückweisen. Tatsächlich ist der Verweis auf die Verfassungslage aber kein Argument gegen den Vorwurf zu großer Staatsnähe, sondern ein Ausweichen auf eine Formalität. Formalität? Natürlich ist die Verfassung nicht irgendeine Formalität, das ist mir auch klar. Andererseits…
- Die bayerische Landesverfassung verbietet generell jede Form von Privatfunk. Rundfunk darf im Freistaat nur in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft veranstaltet werden. Das steht so im Artikel 111a der bayerischen Landesverfassung. Entscheidend ist hier Absatz 2. Darin heißt es: „Rundfunk wird in öffentlicher Verantwortung und in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft betrieben.“ Es handelt sich dabei nicht um ein übrig gebliebenes Fossil aus der Gründerzeit des Freistaats, sondern um einen Passus, der erst 1979 nach einer Volksabstimmung eingefügt wurde. Und doch gibt es seit den 1980er Jahre auch in Bayern privates Radio und privates Fernsehen. Das funktioniert über die kreative Gestaltung der BLM, der bayerischen Landesmedienbehörde (die natürlich keine Behörde ist, sondern eine öffentlich-rechtliche Anstalt). Die vergibt, anders, als in anderen Bundesländern, keine Sendelizenzen, sondern ist formell selber die Trägerin der Programme. Der Artikel 111a ist also tatsächlich nur Formalie – obschon eine mit Verfassungsrang. Sofern er materiell wirkt dann nur so, als er die Stellung der BLM stärker fasst als die Stellung der anderen Länder-Medienbehörden.
- Faktisch ist dagegen die Eigentümerschaft der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Wem gehören die Gebäude, die Sendeanlagen, die Studiotechnik, der Fuhrpark und was eben noch an Eigentum vorhanden ist? Man könnte formal antworten: Den Anstalten. Aber wem gehören die? Ich habe da schon als Antwort gehört, die gehörten sich selber. Aber das ist unlogisch und zirkelschlüssig. Sie gehören natürlich der Allgemeinheit. Dem Staatsvolk, den Wählern, und zwar denen der Bundesländer. Sonst wäre es nicht möglich, den öffentlichen-rechtlichen Rundfunk so zu organisieren wie es formal wie faktisch geschieht.
- Denn zuständig dafür sind die Bundesländer, genauer: die erste und zweite Gewalt der Bundesländer. Die Exekutiven der Länder in Gestalt der Ministerpräsidenten handeln unter sich die Staatsverträge aus, auf deren Basis der öffentlich-rechtliche Rundfunk existiert. Die erste Gewalt der Länder, die Landtage, ratifizieren sie und geben ihnen Gesetzeskraft. Dabei handelt es sich selbstverständlich um staatliche Gesetze, was sonst.
- Schlussendlich ein Hinweis auf ein Detail: Die öffentlich-rechtlichen Anstalten besitzen qua Gesetz ein Recht, das private Unternehmen nicht besitzen. Sie können ohne Einschalten eines Mahngerichts eigene Forderungstitel ausstellen. Das tun sie auch regelmäßig, wenn sie Geld von säumigen Beitragszahlern eintreiben. Keine öffentlich-rechtliche Anstalt muss den üblichen Weg über Mahn- und Vollstreckungsbescheid gehen. Das dürfen sonst nur ausgewählte staatliche Stellen, etwa die Finanzämter.
Liebe Kollegen der ARD und noch mehr liebe Landesmedienpolitiker, das waren jetzt durchweg sachliche und sachlich vorgetragene Punkte. Man kann sie abwehren und hoffen, sie würden in den Diskussionen nie und nimmer Relevanz gewinnen und durchschlagen. Man könnte aber auch grundsätzlicher an die Sache herangehen. Ist es de facto nicht völlig egal, ob wir jetzt öffentlich-rechtlichen oder staatlichen Rundfunk haben? Muss es wirklich eine so komplizierte Konstruktion sein, die es so allein in Deutschland gibt (und auf ähnliche, wenn auch nicht ganz so komplizierte Weise und mit ganz anderer Gründungsgeschichte in Großbritannien)? Zu vermitteln ist sie seit Jahren immer schwerer. Sie enthält unauflösbare Widersprüche. Sie enthält Details, die zur Geschichte der Staatsferne vor allem formal passen, weniger aber faktisch. Ich habe gelegentlich das Wort von der Pandorabüchse gehört, wenn es um solche Debatten ging. Man müsse die Finger davon lassen, es gerate alles außer Kontrolle, wenn man da den Deckel hebe.
Ich frage mich, ob das Gegenteil richtig ist. Dass dieses System also nur dann reformiert und widerspruchsfreier gestaltet werden kann, bevor die ganze Büchse von allein in die Luft fliegt. Und ich frage mich, ob öffentlich-rechtlich nicht einfach ein zu abstraktes und unkonkretes Attribut für eine Trägerschaft ist, mit zu vielen Wenns, Abers und Sowohl-als-Auchens. Und ob ein klar und eindeutig staatliches Angebot neben einem ebenso klar und eindeutig privaten Angebot nicht ehrlicher und leichter zu akzeptieren wäre. Man müsste wohl die Verfassung dafür ändern. Aber das ist, ausreichende Mehrheit vorausgesetzt, nicht verboten.
Kommentar von Christoph Lemmer (Freier Journalist). Weiterführende Informationen unter bitterlemmer.net
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