RTL: Von der Musikmaschine zum seriösen Journalismus

Hendrik Leuker im Gespräch mit Jochen Pützenbacher

Das deutschsprachige Programm von Radio Luxemburg, seit Juli 1957 auf Sendung, profilierte sich zunächst als Hitparadensender mit nettem Small-Talk im deutschen Äther. Nach einiger Zeit nahmen die Hörerinnen und Hörer die Moderatoren, die sich nur mit Vornamen meldeten, gleichsam in den Kreis der Familie auf, als ob sie immer schon dazugehörten.

Das reichte Ende der 60er Jahre weder den Machern der CLT noch den Hörern in einer Zeit, in der das staatsbürgerliche Denken auf dem Vormarsch war, und der „deutsche Michel“ an den Autoritäten zu zweifeln begann.

Wie reagierte Radio Luxemburg darauf? „Wir hatten in den Sechziger Jahren nur von Pierre Nilles, der sich Peter Perleberg nannte, erzählte Nachrichten im Programm. Diese kamen zweimal am Tag. Pierre Nilles plauderte mit den diensthabenden Moderatoren über das Weltgeschehen. Erst in den Siebziger Jahren beschäftigte das deutsche Programm einen eigenen Nachrichtenredakteur, Herbert S. Blaes.“ erinnert sich Jochen Pützenbacher (66), 27 Jahre einer der beliebtesten RTL-Moderatoren.

„Dieser wurde vom damaligen Programmdirektor Frank Elstner vom Trierer Bistumsblatt nach Luxemburg geholt. Die Moderatoren lasen die von Blaes verfassten Nachrichten vor. Nach einiger Zeit zweifelte Elstner an dessen politischer Neutralität. Blaes wollte auch in den Nachrichten nicht seine CDU-Mitgliedschaft verhehlen, was vom Sender so nicht hingenommen werden konnte. Man trennte sich in aller Freundschaft.“, so Pützenbacher.

Jochen Pützenbacher, Frank Elstner und Helga Guitton im RTL Studio (Foto: Privatarchiv Jochen Pützenbacher)
Jochen Pützenbacher, Frank Elstner und Helga Guitton im RTL Studio (Foto: Privatarchiv Jochen Pützenbacher)

Dann schlug die Stunde der Nachrichtenredakteure, die ihre eigenen Texte selbst lasen. „Aus der Musikmaschine Radio Luxemburg musste ein informatives, journalistisches Medium werden. Die Sendungen bekamen Inhalte, die Nachrichten eine höhere Wertigkeit. In Zusammenarbeit mit dem NRW- Innenministerium in Düsseldorf wurde ein weiteres Novum gesendet- Verkehrslageberichte als Service für den mobilen Hörer“, lässt Pützenbacher die Vergangenheit Revue passieren.

Als Nukleus der neuen Nachrichtenredaktion dürfen Olaf Steinbauer und Jürgen Overdieck gelten, die beide von der Münchner „Abendzeitung“ kamen. Des weiteren Hartmut Schröter, der später zum Fernsehen ging (RTL Plus und Pro 7). Überhaupt sollte man mit Leuten aus der Praxis bessere Erfahrungen machen als mit Abgängern von Journalistenschulen. Der Stellenwert der Information hatte sich erhöht, und das zog sich durchs ganze Programm. Fortan wurden auch Unterhaltungssendungen wie „12 Uhr Mittags“ und „Viva“ redaktionell begleitet. „ Bernt von und zur Mühlen war Redakteur bei Viva, bevor er Programmdirektor wurde. Ulrike von der Groeben (geb. Elfes) war Redakteurin bei meiner Sendung „12 Uhr mittags“, fügt Pützenbacher hinzu.

„Bereits in den 70er Jahren diskutierte Helga Guitton in „Da capo“ mit Hörern bei Call ins. Unterhaltungssendungen wie „Ein Tag wie kein anderer“ wurden von Anfang an journalistisch mit einem Fünf-Mann-Team begleitet.“, so Pützenbacher. Nur diese Programminnovationen machten die Wertigkeitsoffensive bei den Nachrichtensendungen auch glaubwürdig.

Geert_Mueller_Gerbes3„Des weiteren war es Anfang der Siebziger wichtig, den Kontakt zur hohen Politik in Bonn herzustellen“, erinnert sich Pützenbacher an Anfangsschwierigkeiten. „Wahnsinnig geholfen hat RTL Geert Müller-Gerbes (Foto r.), der ehemalige Sprecher von Bundespräsident Heinemann. Als Redakteur im Bonner Studio im dortigen Pressehaus wurde der Draht des dort bisweilen belächelten Radio Luxemburg zur Politik hergestellt. Müller-Gerbes fungierte als Türöffner, und als Service für die Hörer machte Müller-Gerbes im „Radio-Lexikon“ vormittags im RTL-Programm dem Hörer das Vokabular der Politik verständlich.“, ist sich Pützenbacher der entscheidenden Rolle des Bonner Studios bewusst. Aus der Mannschaft um Müller- Gerbes kommen Talente wie Peter Kloeppel (heute Anchorman RTL aktuell) und Ulrich Meyer (heute Sat1-Akte), die sich längst im Fernsehen etabliert haben.

Wenn man mit den öffentlich-rechtlichen Sendern nicht konkurrieren konnte und wollte, besann sich Radio Luxemburg seines eigenen Schwerpunkts, der Unterhaltung. „Bei Sendungen wie „Mittagsmagazin“ auf WDR 2 und „Extra drei“ auf SWF 3 in den Siebzigern und frühen Achtziger Jahren konnten wir einfach nicht dagegenhalten. RTL fehlte dafür das Korrespondentennetz. Als 1976 „12 Uhr Mittags“ eingeführt wurde, steigerte RTL die Hörerzahlen um bis zu 70%. Bei keinem Sender wurde mittags gelacht. Das wollte Programmdirektor Elstner mit dieser Sendung ändern.“

Unterschiede zu den ARD- Sendern bestanden trotz der Nachrichtenoffensive bei Radio Luxemburg weiter: „Bei RTL landeten gesellschaftsrelevante, emotionale Themen an erster Stelle. Die ARD- Sender stellten generell politische Themen heraus.“, macht Pützenbacher Unterschiede aus. Als „überregionaler Sender mit technischem Handikap“ (Pützenbacher) wählte man die Themen aus, die auf bundesweites Interesse stießen. Dabei wurde auf publizistische Korrektheit und Wertigkeit geachtet. Es bestanden auch Kontakte zu Printmedien, vor allem zu BILD, der Saarbrücker Zeitung, der NRZ sowie zu der „Abendpost- Nachtausgabe“ ( eingestellte Frankfurter Boulevardzeitung; der Verf.).

Puetzenbacher
Jochen Pützenbacher

Wichtige Bestandteile für ein Massenmedium wie Radio Luxemburg und für kommerzielle Medien überhaupt sind Infotainment und Anchorman. „Durch Infotainment werden Informationen spielerisch transportiert. Die Wirkung des Infotainments ist effektiver als eine trockene wissenschaftliche Sendung“, hebt Pützenbacher die Wichtigkeit von Infotainment hervor.

„Ein Anchorman ist derjenige, der ein Vertrauensverhältnis zum Hörer / Zuschauer aufbaut. Der Erfolg eines Peter Kloeppel bei RTL aktuell entsteht dadurch, dass er authentisch ist. Er ist genauso liebenswert, bescheiden und ehrlich wie zu seinen Zeiten als Redakteur im Bonner Studio von Radio Luxemburg.“, betont Pützenbacher (Foto links vom 20.9.2005 im Funkhaus in Luxemburg-Kirchberg).

Funktioniert es mit einem Anchorman nicht, kann ein kommerzielles Medium nur mit dem Austausch der Person reagieren.

Fazit: Journalistisches Know- How vorzugsweise von Leuten aus der Praxis sicherte Radio Luxemburg in den 70ern und 80ern einen Spitzenplatz unten den deutschsprachigen Sendern. Aus der Musikmaschine, die die „heile Welt“ ins Wohnzimmer transportierte, wurde eine ernsthafte und seriöse Informationsquelle. Wenn man Anleihen aus dem Boulevard machte, dann nie so aggressiv wie bisweilen die Printmedien, und ohne die Absicht zu verfälschen.

Hendrik Leuker