Beim 9. Medientreff NRW vom 7. bis zum 8. September am neuen Tagungsort in Siegburg ging es um viele bekannte Fragen, aber auch um neue Herausforderungen. Wie geht es weiter mit dem NRW-Lokalfunk angesichts Technologien wie DAB+, Streamingdiensten und Smartspeakern, die die Hörernutzung verändern? Reichen die Stärken des Lokalfunks, um wettbewerbsfähig zu bleiben? Und wie bekommen und halten die Sender gute Mitarbeiter angesichts begrenzter Mitarbeiterzahlen und begrenzter finanzieller Mittel?
Von Sascha Fobbe
„Verstehen – vertrauen – verantworten“, so lautete das Motto beim diesjährigen Medientreff NRW, bei dem wieder etwa 70 Teilnehmer aus den Lokalfunksendern, von Betriebsgesellschaften und Veranstaltergemeinschaften, von Radio NRW, den Campusradios, Bürgerfunkgruppen und anderen Medieninteressierten dabei waren.
Neu dieses Mal: Kein politischer Schlagabtausch zu Beginn zwischen verantwortlichem Medienakteur des Landes NRW und dem LfM-Direktor. Es war schon früh klar, dass LfM-Direktor Dr. Tobias Schmid aus Termingründen nicht dabei sein konnte. In seiner Videobotschaft äußerte er sich das erste Mal öffentlich zum Lokalfunk in NRW. Er machte sehr deutlich, dass ein Aussitzen der anstehenden Herausforderungen keine Lösung sein könne. Die Marktsituation verändert sich durch Spotify und andere Streamingdienste, und es wird einen zweiten bundesweiten DAB+-Multiplex geben, der neue Radioanbieter auch in NRW hörbar machen wird. Er mahnte, bislang hätten sich die Lokalradios in NRW darauf beschränkt, das Mediengefüge zu erhalten, jetzt könne NRW aber nicht mehr isoliert betrachtet werden.
„… Es ist uns klar, dass wir den Radiomarkt in NRW nicht weiter abschotten können. […] Wenn wir gar nicht darüber nachdenken, wie wir DAB+ auf die Lokalradio-Struktur abbilden, ist das Risko ziemlich groß, dass wir das im Laufe der nächsten Jahre gegen die Wand fahren…“ (LfM-Direktor Dr. Tobias Schmid)
Zu DAB+ sagte Schmid, er wisse nicht, ob dies der Distributionsweg der Zukunft sei, er wisse aber auch nicht, ob „wir es uns leisten können, so zu tun, als würde DAB+ nicht stattfinden.“ Sollten sich die Sender gegen eine Beteiligung entscheiden, „dann will ich aber hinterher kein Geheule hören!“. Eine wichtige Frage sei natürlich, ob und wie die Lokalsender in DAB+ abzubilden seien. Aber: „Wir haben nicht die Option, nicht darüber nachzudenken“, sagte Schmid, es sei schlauer, wenn alle Betroffenen sich austauschten, welche Optionen bestünden.
Ob das Zwei-Säulen-Modell mit Betriebsgesellschaften und Veranstaltergemeinschaften auf Dauer Bestand haben könne gegen die Konkurrenz von außen, bezweifelt Schmid. Es sei wichtig, die Grundidee zu erhalten: eine besondere Form der Vielfalt und der Unabhängigkeit in den Lokalradios. „Es gibt sicher Modifikationen, die besser in die Zeit passen und zum selben Ziel führen.“ Sein Fazit: „Wir müssen weiter denken, als wir heute sind, egal über welche Technologien wir reden, weil wir sonst wehrlos werden. Entwickeln wir keine eigenen Ideen, kommt da jemand anders und hat eine Idee.“ Die LfM wolle sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten einbringen, versprach Schmid.
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Mittlerweile zur Tradition gehört beim Medientreff NRW der „Schalt-Report“, bei dem Medienberater Christian Schalt über neueste Entwicklungen des Radiomarktes berichtet. Im Zentrum seines Vortrags: Wie Smartspeaker wie Alexa oder Google Home das Nutzerverhalten ändern.
Eine brandaktuelle Studie aus den USA zeigt, dass bei den Smartspeakern besonders Angebote gefragt sind, die eigentlich klassische Radioinhalte sind: Musik, Nachrichten und Wetter. Sender, die hier nicht mitmachen und nicht über Schlüsselwörter leicht aufgerufen werden können, werden die Entwicklung verschlafen, prognostizierte Schalt – Hörer wanderten einfach zu anderen Sendern ab. „Ein rein lineares Radioangebot wird auf Dauer zu wenig sein“, sagte Schalt: Immer weniger junge Leute besäßen Radiogeräte, sie hörten Radio übers Internet und in Zukunft über Smartspeaker. Hier müssten die Lokalradios aktiv werden und ihren großen Vorteil ausnutzen: die lokalen Inhalte, denn den meisten Digitalradios in Deutschland fehlten die Inhalte. Die Grundvoraussetzungen seien da, „wir müssen es dann aber auch machen!“, lautete Schalts Appell.
In den anschließenden Panels wurde das Motto des Medientreffs „Verstehen – Vertrauen – Verantworten“ in den Vordergrund gerückt. Ein großes Thema, das die Medienschaffenden bewegt, ist das mangelnde Vertrauen der Leser, Hörer und Fernsehzuschauer in die professionellen Medien. Das Panel „Constructive Radio – das Radio Deines Vertrauens“ litt allerdings unter unklaren Begrifflichkeiten. Empathie sei nicht Mitgefühl, sondern Einfühlen, stellte eine Teilnehmerin klar. Und constructive news heiße nicht, dass nur noch Positives gemeldet werden müsse, sondern dass bei negativen Nachrichten gezeigt werde, wie es weitergehen könne.
Journalist und Berater Christoph Lemmer kritisierte in dem Zusammenhang, was viele Journalisten unter „Haltung“ verstünden: Sie sollten mit mehr Skepsis an Beiträge herangehen und mehr Vertrauen in die eigenen Hörer setzen. Simone Jost-Westendorf von der Stiftung Vor Ort NRW betonte die Bedeutung personell gut ausgestatteter Redaktionen für glaubwürdige journalistische Arbeit. Dazu gehöre, dass sich Redakteure in dem Umfeld auskennen würden, über das sie berichten, ergänzten Timo Fratz, Chefredakteur von Radio Bielefeld, und Carsten Baera von radio NRW. Der Kontakt zu den Hörern sei zudem unabdingbar, um mitzubekommen, welche Themen bei ihnen gerade wichtig seien.
Im Panel „Constructive Work – was Teams stark macht“ ging es um Mitarbeitermotivation, aber auch darum, junge Leute fürs Lokalradio zu gewinnen. Viele Studierende, die bei Campusradios Erfahrungen gesammelt haben, seien von Praktika beim Lokalfunk frustriert, berichtete Marco Stoever von Radio Q, dem Campusradio aus Münster. Sie dürften nichts machen, und die technische Ausstattung bremse sie aus. Gespräche über Wünsche und Möglichkeiten könnten weiterhelfen, entgegnete Radio Essen-Chefredakteur Christian Pflug. Er machte als weiteres Problem den Zeitmangel bei Studenten aus. So könne er kaum Dienstpläne erstellen.
Judith Pamme, die gerade ihr Volontariat bei Radio Köln beendet hat und jetzt Redakteurin ist, sprach die mangelnden Perspektiven junger Leute an, die vom Volontariat meist in die Freiberuflichkeit wechseln, weil es zu wenige Stellen gebe. Das emotionale Gehalt sei meist in Ordnung, bestätigte Pflug, aber die Honorare seien zu niedrig, um Lebensperspektiven zu bieten. Medienberater Detlef Kuschka rief die Lokalradios dazu auf, selbstbewusster zu werden: Radio sei der perfekte Einstieg in die Medienwelt, die Ausbildung sei oft trimedial, die Volontäre lernten, unter Zeitdruck mit wenig Geld viele Themen zu bearbeiten. Es werde viel in die Ausbildung der Volontäre investiert, „die Lokalradios sind das Ausbildungsreservoir für Sender in ganz Deutschland“.
„Wir sind hier in der Diskussion über das System, und draußen passiert die Welt! – Das Lokalfunksystem in NRW kann so viel mehr als der WDR und als es sich selbst zutraut!“ (Medienberater Detlef Kuschka)
Allerdings werde zu wenig für die Weiterbildung der Redakteure getan, dies sei schlecht für deren Motivation. Kuschka kritisierte außerdem, dass zu wenig in Technik und Zukunftstechnologien investiert würde – mehrere Sender könnten sich zusammen durchaus einen Social Media-Manager leisten. „Wir sind hier in der Diskussion über das System, und draußen passiert die Welt“, regte Kuschka sich auch darüber auf, dass gerade die Verantwortlichen aus Lokalfunksendern, die nicht nach vorne denken, beim Medientreff fehlten und die Appelle ungehört verhallten. „Das Lokalfunksystem kann so viel mehr als der WDR und als es sich selbst zutraut“, machte er in der Schlussrunde den Anwesenden Mut. Pflug wünschte sich von den Betriebsgesellschaften und Veranstaltergemeinschaften Gespräche mit den Chefredakteuren darüber, wie die Sender ausgestattet werden müssen, um technisch auf dem Laufenden zu sein und für junge Leute attraktiv zu bleiben, damit sie vernünftig arbeiten könnten.
Dieses Thema griff Pflug am zweiten Tag des Medientreffs auf. Er hatte kurzentschlossen angeboten, einen Workshop zu leiten, weil ein anderer ausgefallen war. Die Teilnehmer waren sich einig, dass die Vorteile der Radioausbildung in den Vordergrund gerückt werden müssten. Zudem diskutierten sie über Möglichkeiten, Nachwuchs zu gewinnen, z.B. über Ausbildungsmessen oder die eigenen Homepages, wo der Hinweis auf Praktikantensuche doch meist schwer zu finden sei.
Matthias Dröge, Redakteur bei Radio Lippe Welle Hamm und Social Media-Manager des Medientreffs, bot ebenfalls spontan einen Workshop über die Social Media-Aktivitäten der Lokalfunksender an. Das Fazit: Es gebe viele erfolgreiche und spannende Projekte, die Sender müssten sich aber mehr darüber austauschen, was gut laufe bei Facebook und Co., und was nicht.
Medienberater Michael Mennicken stellte in seinem Workshop „Mobile Reporting – on air und online“ neue Apps zur Bild-, Ton- und Videobearbeitung vor. Seine Teilnehmer konnten innerhalb einer Viertelstunde ein kurzes geschnittenes Video präsentieren. „Technik, die ich bedienen kann, können alle bedienen“ lautete das Motto Mennickens, das sich hier zu bewahrheiten schien.
Timo Naumann, Geschäftsführer des Verbands Lokaler Rundfunk, in dem die Veranstaltergemeinschaften organisiert sind, griff in seinem spontan vorgeschlagenen Workshop ebenfalls ein Thema des ersten Tages auf: Er stellte neue Zahlen über die Nutzung von DAB+ vor und diskutierte mit seinen Teilnehmern über die Ankündigung des VPRT, sich unter bestimmten Bedingungen eine Beteiligung bei DAB+ vorstellen zu können. Fazit: Keiner der Workshop-Teilnehmer glaubte, dass DAB+ die Technologie der Zukunft sein werde, aber alle waren sich einig, dass der Lokalfunk sich nicht völlig entziehen könne: „Wir müssen Teil der Entwicklung sein“, machte Naumann klar. Das Problem für die Lokalfunksender seien die hohen Kosten, wenn beide Übertragungswege, UKW und DAB+, gleichzeitig bedient werden müssten.
Wird der Medientreff NRW auch 2018 stattfinden?
Ein weiteres Thema, das die Teilnehmer des 9. Medientreffs auch beim traditionellen Get Together am Abend des ersten Veranstaltungstags beschäftigte: Wird der Medientreff auch 2018 stattfinden? Die Hauptorganisatoren Stefan von der Bank und Ursula Wienken (die krankheitsbedingt fehlte) hatten schon vergangenes Jahr angekündigt, aus der Hauptverantwortung auszusteigen. Von der Bank sagte bei der Verabschiedung: „Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, dass der Medientreff sich weiter entwickelt. Er ist wichtig, um Entwicklungen aufzugreifen und nach vorne zu denken. Nach vorne zu denken meint auch zu überlegen, wie die unterschiedlichen Aktivitäten in NRW zum Lokalfunk gerade im Bereich der Qualifizierung und des Austausches weiter vernetzt werden können, um über den Tellerrand zu blicken. Hier sollten die Institutionen die Verantwortung tragen und sich engagieren kreativ und innovativ werden.“
Die Teilnehmer sprachen sich alle für eine Fortführung der Veranstaltung aus, einige boten sogar ihre Mitarbeit ein. Auch Volkmar Kah, Geschäftsführer des DJV-NRW signalisierte Bereitschaft, sich seitens des DJV weiter einzubringen: „Der Medientreff ist ein wichtige Veranstaltung, in der die Lokalfunker über Zukunftsvisionen und Herausforderungen debattieren können. Das war mein erster Medientreff, ich wäre schon gerne bei den nächsten dabei!“
Die Moderatoren Colleen Sanders und Thorsten Kabitz machten zum Ende des Medientreffs den Teilnehmern Hoffnung: Es gebe ein klares Bekenntnis aller Beteiligten, das Format fortzusetzen. Im Herbst sollen erste Gespräche stattfinden, um neue Strukturen auf den Weg zu bringen.
Zu den Unterstützern des Medientreffs gehören die LfM, der Verband der Betriebsgesellschaften, der VLR, radio NRW und der DJV-NRW.
Autorin Sascha Fobbe war Mitglied im Vorbereitungsteam des Medientreffs