Gedanken zum neuen US Radio-Report, der Krisenstimmung verbreitet

James Cridland's Radio FutrureDie größte Neuigkeit in dieser Woche kommt von Meistern der Schwarzmalerei, den Verfassern des neuesten US Radio-Report – der zeigt, „warum Radio sich dem digitalen Zeitalter anpassen muss“ (vgl. New Report Shows Why Radio Must Adapt to Digital Age). Haben Sie das gesehen? Es wurde immerhin fleißig kopiert und in sozialen Medien verbreitet, vor allem von denjenigen, die sich über die aktuellen US-Radios freuen. Aber trotz des Titels geht es nicht im Allgemeinen um Radio. Es geht speziell ums US-Radio: und in der Tat ganz speziell um Mittelwellen- und UKW-Musikradios in den USA!

US-Radio hat ein paar Probleme. Ein Teil der Branchen-Misere ist, dass die schuldenbelasteten Gruppen bei ihren Versuchen, zahlungsfähig zu bleiben, immer weniger in Talene investieren. Für die Hörer führt dies letztlich zu einem schlechteren Produkt. Die unglaublich hohen Minutenpreise sind Folge der Konzentration auf die Kundenbindung und das Überstehen des nächsten Quartals, anstatt den Wert des Programms langfristig zu erhalten.

musomaonics US Radio-Report
musomaonics US Radio-Report

Ein weiteres Problem der US-Radioindustrie ist jedoch ihre eigene Definition. Für den Rest der Welt ist Radio ein Multiplattform-Produkt. In der Schweiz hören nur 40% der Radiohörer über Mittelwelle oder UKW. In Großbritannien nur wenig mehr als 50%. Doch die USA definieren die Branche nicht nach Inhalt, sondern nach Plattform. Die US-Radioindustrie berücksichtigt weder Sirius XM noch reine Webradios. Statt einer von Inhalten geleiteten Branche ist es eine zutiefst plattformbasierte. (Wäre die US-Radioindustrie mehr auf Satelliten- und Online-Radio fixiert, wäre es übrigens eine Branche mit steigenden Einnahmen, wie man es im Rest der Welt immer noch erlebt). Aus dem sehr begrenzten Blickwinkel des US-amerikanischen MW-/UKW-Musikradios veröffentlicht der US Radio-Report eine Reihe sorgfältig recherchierter Daten, die versuchen, die bereits erkennbare Perspektive des Autors zu unterstreichen (PDF).

In dem Bericht wird betont, dass das Radio für die Musikindustrie bei weitem nicht mehr so wichtig ist wie früher. Zu Beginn des Berichts stellt sich heraus, dass SoundExchange – ein Unternehmen, das vor Gericht beweisen wollte, dass Radio für die Musikindustrie weniger wichtig ist als früher und daher mehr Geld für Musik verdient – zum Bericht „ermutigt“ hat. Ich bin kein Universitätsprofessor, aber das könnte doch auf eine Verstrickung hinweisen?

Während sich ein Großteil des Berichts zwar als selektiv erweist, klingt er dennoch nach Wahrheit. Das PPM ist nicht perfekt, mit der Hörverweildauer gehts abwärts, besonders beim jüngeren Publikum. Es gibt heutzutage noch viele andere Orte, an denen man Musik entdecken kann. Das US-Radio hat ein ganz spezielles Problem mit  seinen jüngeren Hörern. Aber Radio kann nicht stillstehen. Wie heisst es im Bericht so schön: „Radio muss innovativ sein“. Aber der Bericht konzentriert sich auf alles Negative und lässt Positives außen vor!

Nach 31 schicksalhaften Seiten macht der Autor der Branche vage einen Vorschlag: In einem Absatz äußert er, dass die Branche „in starke und überzeugende digitale Dienste investieren sollte“. Als ob sie das nicht schon getan hätte: Vom Radioplayer als globaler Technologieplattform, ist nichts zu lesen. Auch die iHeart Radio App ist keine Erwähnung wert – ebenso bleiben gleichartige Errungenschaften der britischen BBC, Global oder NPR One wie auch digitale Innovationen des türkischen „Carnaval“, des österreichischen KRONEHIT, des britischen Absolute Radio oder des französischen NRJ unerwähnt.

Wenn Sie diese Zeilen lesen würden, wüssten Sie nichts von der Arbeit des Radios mit programmatisch ausgerichteter Werbung (insbesondere DAX in Großbritannien) oder von den Fortschritten, die viele mit Online-Markenentwicklungen machen. NPR ist einer der größten Podcast-Verlage in den USA, obwohl man das nicht aus diesem Bericht erfährt. Neun von zehn Menschen schalten in den meisten Ländern noch jede Woche Radio ein.

Der US Radio-Report ist ein isoliertes und ignorantes Stück Papier, blind für die internationalen Trends im Radio, bewusst auf das Negative fokussiert, das Positive ignorierend. Die NAB nannte ihn albern und reagierte mit Argumenten, die Punkt für Punkt abgearbeitet wurden. Westwood One brachte die Zahlen auf den Punkt, produzierte fünf Grafiken mit Diagrammen, und fügte hinzu:“Glauben Sie nicht immer alles, was Sie lesen, besonders wenn es von Musikstream-Lizenzorganisationen stammt“. Auch Nielsen war mit den Bemerkungen des Artikels über die PPM überhaupt nicht einverstanden.

Dies ist ein guter Zeitpunkt für die US-Radioindustrie. Sie scheinen eine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Schwarzmalern entdeckt zu haben. Herzlichen Glückwunsch! Ich freue mich aufrichtig, dass US-Radio seinen Kampfeswillen wiederentdeckt hat. Wenn sie diese neu entdeckte Leidenschaft dazu nutzen würden, die Branche voranzubringen, wäre das noch besser. Besser für alle US-Radiostationen, gemeinsam an der Anpassung an das digitale Zeitalter zu arbeiten und ihre Branche für die Zukunft neu zu definieren.

Es gibt da draußen schließlich eine ganze Welt, die das bereits tut.

 

James CridlandDer “Radio-Futurologe” James Cridland beschäftigt sich mit neuen Plattformen und Technologien und ihre Wirkung auf die weltweite Radiobranche. Er spricht auf Radio-Kongressen über die Zukunft des Radios, schreibt regelmäßig für Fachmagazine und berät eine Vielzahl von Radiosendern immer mit dem Ziel, dass Radio auch in Zukunft noch relevant bleibt. Sein wöchentlicher Newsletter (in Englisch) beinhaltet wertvolle Links, News und Meinungen für Radiomacher und kann hier kostenlos bestellt werden: james.cridland.net.