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Jack FM – Eine Geschichte voller Missverständnisse?

Schaltreport_250Sie heißen Jack oder Bob, in Schweden auch gerne mal Bandit („Vi spelar vad vi vill!“) und sind das, was bis vor einigen Monaten noch der Albtraum eines jeden Programmdirektors gewesen wäre – ein Radioprogramm, das sich über das hinwegsetzt, was in der Programmdirektorengrundschule schon in der ersten Klasse gelehrt wird: 1. enge Rotation, 2. keine Experimente und 3. immer auf den Hörer hören.
Jetzt – einige Jahrzehnte nach Einführung des Formatradios – ist das anscheinend nicht mehr State of The Art.

Mit Neugier und ein wenig Sorge schaut Radio-Europa nach Amerika, wo auf einmal der organisierte Format-Bruch zelebriert wird. Doch selbst in den USA, wo die Jacks und Bobs mittlerweile ins dritte Jahr gehen, ist noch längst nicht klar, ob die neue Vielfalt sich tatsächlich auch am Hörer- und Werbemarkt auszahlt – bisweilen gehen die Schüsse auch nach hinten los:
Eines der drastischsten Beispiele ist sicher WCBS in New York, eine der ersten Major-Stationen, das vor rund einem Jahr den Flip machte. War CBS vor seinem Relaunch noch im Dunstkreis der Top 10 im größten US-Markt, so wurde es von Book zu Book nach unten durchgereicht. In Markanteilszahlen heißt das: 3,4 – 3,0 – 1,5 – 1,4 innerhalb von 12 Monaten.
Wer die Verhältnisse in den wettbewerbsintensiven US-Märkten kennt, weiß, dass das ein Totalabsturz ist – entscheiden doch sonst oft Marktanteilsprozentzehntel über die Marktführerschaft.

Ein weiteres eindrückliches Beispiel gibt es aus San Diego zu berichten – gleichzeitig ein Lehrstück in taktischer Marktbearbeitung:
Dort switchte vor ein paar Monaten KFMB, besser bekannt als „Star FM San Diego“ zum Jackformat. Was an sich nicht in größerem Maße bemerkenswert gewesen wäre, wenn nicht a) Star seit Jahren eine der erfolgreichsten Stationen in San Diego mit einer b) der besten und berühmtesten Morningshows des Landes („Jeff and Jer“) unter c) der Führung eines der bekanntesten Programmchefs der USA (Tracy Johnson) gewesen wäre. Alles drei Gründe, konstant weiterzuarbeiten und nicht auf Jack zu wechseln, sollte man meinen. Doch Tracy Johnson relaunchte im Frühling zur Überraschung aller und aus „Star“ wurde über Nacht „San Diego Jack“ – mit dramatischen Folgen:
1. Star FM verlor mehr als 1% Marktanteil in 6 Monaten
2. Jeff and Jer wechselten zu Clear Channel´s „KMYI“
3. Clear Channel benannte „KMYI“ in „Star FM“ um (der Name war nicht geschützt)
Jack entwickelt also auch in diesen Bereichen ein reges Eigenleben.

Was aber wirklich zum Erfolg eines Jack FM-Formats führt (und was man eher unterlassen sollte), ist bis dato unbeantwortet und bleibt die derzeit vermutlich meistdiskutierte Frage unter Radio-Experten (wer mehr darüber lesen will, sei die Kolumne von Sean Ross/ Edison Media Research empfohlen) und kann trotz aller gegenteiliger Versprechungen auch von keinem Beratungsunternehmen zuverlässig beantwortet werden.

Bis zur endgültigen Klärung dieser Frage (in vermutlich zwei bis drei Jahren) bleibt Jack FM daher ein kurzweiliges Markt-Schreckgespenst, das zumindest den Anspruch hat, es den etablierten Schulbuch-Stationen zeigen – oder wie es Joel Folger von der gleichnamigen US-Beratungsfirma formuliert: „Let the world know that your station is like a big ol´ juicy T-bone in a vast wasteland of tofu.“

Links:
Radio & Records Ratings Page
Jack FM San Diego (das “alte” Star)
Das „neue“ Star San Diego
Sean Ross´ Kolumne
Die angeblich erste “Jack”-Station (seit März 2002)

„Jacks“ im deutschsprachigen Raum:
88.6 Wie spielen was wir wollen!
Jackshow auf 106!8 Rock ´n Pop
RTLvis


Christian Schalt06 110

Christian Schalt

(Programmdirektor KISS FM Berlin)

Kontakt: http://www.xing.com/hp/Christian_Schalt

XPLR: MEDIA Radio-Report