Cabanis: “Radio Hamburg ist immer noch mein Baby”

Interview mit Gründungsprogrammdirektor Rainer Cabanis zum 20jährigen Jubiläum des Erfolgssenders in der Hansestadt

Von Horst Müller, blogmedien.de

Rainer_M_CabanisAls erster Titel lief “Glory Days” von Bruce Springsteen auf Radio Hamburg – das war Silvester vor 20 Jahren um 11 Uhr mittags und signalisierte den Sendestart eines der erfolgreichsten deutschen Radioprogramme. Verantwortlich war seinerzeit Rainer Cabanis, der weitere 10 Jahre lang das Programm leitete und seither zu den Privatradiopionieren in Deutschland zählt. Zum Jubiläum hat blogmedien mit dem Gründungsprogrammdirektor über die Entwicklung des Senders und des Radios insgesamt gesprochen.

Müller: Rainer Cabanis, wann haben Sie das letzte Mal Radio Hamburg gehört?

Cabanis: Heute, auf dem Weg in mein Hamburger Büro. Wenn ich in Hamburg bin – was leider im Moment etwas zu selten ist – höre ich immer Radio Hamburg, und – man wird es mir kaum glauben – immer noch mit Freude, auch wenn ich die Zielgruppe längst verlassen habe. Radio Hamburg ist eben immer noch mein Baby, auch wenn es mittlerweile richtig erwachsen geworden ist und bestens selbst laufen kann.

Müller: Wie viel “Rainer Cabanis” aus der Gründerzeit ist denn heute noch im Programm von Radio Hamburg wiederzuerkennen – oder hat sich alles verändert?

Cabanis: Ich staune selbst darüber, wie viel nach 20 Jahren noch von dem Gründergeist bei Radio Hamburg übrig geblieben ist, und damit von den Ideen und Taten der ersten Mannschaft in einem so flüchtigen, tagesaktuellen und von Zeit- und Modeströmungen abhängigen Medium. Das hat sicherlich mit einer ungewöhnlich großen personellen Kontinuität zu tun. Ich selbst war 10 Jahre lang dort Programmdirektor, nachgefolgt von meinem Stellvertreter Dr. Thomas Walde und bis heute “nachnachgefolgt” von dessen Stellvertreter Marzel Becker. Der heutige Programmdirektor gehörte zu den ersten Volontären des Senders. Aber ein ganz wichtiger Grund ist sicher auch, dass – im Gegensatz zu vielen anderen Privatsendern – bei Radio Hamburg von Beginn an wenig Fehler gemacht wurden. So ist z.B. der erste Slogan “Der Mix macht’s” heute noch genau so on air, wie das von mir entwickelte und produzierte Sound-Logo und der erste, heute stellvertretender Programmdirektor und Morgenmoderator John Ment, während andere Sender im Konkurrenz-Umfeld mittlerweile den vierten Namen und diverse zum Teil 180-Grad-Relaunches hinter sich haben.

Eingangsbereich von Radio Hamburg
Eingangsbereich von Radio Hamburg

Müller: Der Sender hatte ja von Beginn an bis heute einen durchgehend großen Erfolg im eigenen Verbreitungsgebiet. Ist Radio Hamburg so gut – oder sind die anderen wie NDR 2 einfach zu schlecht. Was ist das Erfolgsgeheimnis von Radio Hamburg?

Cabanis: Ein so lange anhaltender Erfolg kann nur durch beide Komponenten entstehen, durch gleich bleibende Anstrengungen der Macher und durch deutliche Schwächen der Konkurrenten. Das Erfolgsgeheimnis ist kein Geheimnis sondern liegt offen zu Tage: Es ist Konsequenz im Handeln und Kontinuität bei der personellen Besetzung. Das spricht nicht nur für die Mannschaft, sondern auch für die Gesellschafter, die sich in all den Jahren auf dem Erfolgsweg von Radio Hamburg durch nichts haben beirren lassen.

Müller: Sie sind jetzt Berater, betreuen unter anderem Radio Regenbogen in Baden-Württemberg. Gehören Sie jetzt auch zu den Leuten, denen häufig nachgesagt wird, dass sie besonders kreativ beim Erstellen ihrer Honorarrechnungen seien, ohne selbst Verantwortung zu übernehmen? Was macht man als Consultant für Radiosender eigentlich?

Cabanis: Leider – oder Gott sei Dank, je nach Sichtweise – ist meine Kreativität im Schreiben von Rechnungen eher schwach ausgeprägt, denn meine humanistische Schulbildung hat mich gelehrt, das Geld zu verachten, das mit ihr sowieso nicht zu verdienen ist. Nachdem ich fast 30 Jahre im Radio, davon knapp 20 Jahre im Privatfunk, in der Verantwortung gestanden habe, genieße ich aber zugegebenermaßen den Vorteil, jetzt einmal völlig unbelastet von Etatfragen, Medienpolitik oder Hauspolitik rein von der Sache her Vorschläge machen zu können. Ob diese letztendlich umgesetzt werden, müssen dann meine Auftraggeber entscheiden.

Müller: Es gibt nicht wenige Leute, die dem Radio in der heutigen Form das Ende in nicht allzu ferner Zukunft voraussagen. Junge Hörer wandern immer mehr ab – oder wenden sich von vornherein anderen Medien, vor allem dem Internet zu. Was sind denn die Rezepte, um auf Dauer zu überleben? Die ‘größten Hits der 80er, 90er und so weiter’? Gewinnspiele mit Preisen von 100.000 Euro und mehr? Fröhlich vorgetragene Belanglosigkeiten von immer gut gelaunten Moderatoren? Reicht das, um sich gegen die multimediale Konkurrenz behaupten zu können?

Cabanis: Das reicht ganz sicher nicht. Ich bin überzeugt, dass hier ein Umdenkungsprozess stattfinden muss, weil all die vielen Hilfsmittel, mit denen man in den vergangenen Jahren den immer härter werden Konkurrenzkampf nicht nur zwischen den einzelnen Radiosendern sondern auch unter den Medien insgesamt ausgetragen hat – um im Bild zu bleiben – ’stumpfe Waffen’ geworden sind und sich die Mediennutzer – also auch die Radiohörer – nicht auf Dauer durch Taschenspieler-Tricks bluffen lassen. Ich denke, dass ehrlich und gut gemachte Programme, wie das von Radio Hamburg auch in Zukunft weiterhin eine große Hörerschaft anziehen werden.

Sendestudio von Radio Hamburg
Sendestudio von Radio Hamburg

Müller: Wo hat denn das Radio seine Kernkompetenzen, wenn keine neue Musik von unbekannten Interpreten gespielt wird und exklusive Berichterstattungen auch aus dem eigenen Sendegebiet häufig anderen Medien überlassen wird, weil es in den Stationen kaum noch Journalisten gibt?

Cabanis: Die Kernkompetenz des Radios als eines besonders emotionalen Mediums ist eine in sich stimmige Musik mit einem gesunden und nicht übertriebenen Anteil an Neuheiten, die in der Tat zu einem modischen Medium nun einmal dazugehören – es sei denn, man macht einen Oldie-Sender und vor allem eine optimale, glaubwürdige und sympathische menschliche Ansprache, die nur durch Linercards und Promotion-Elemente nicht hergestellt werden kann. An dritter Stelle direkt dahinter sehe ich die journalistische Kompetenz, die dem Hörer zuverlässig mitteilt, ob ‘die Welt noch steht’ und ihn sicher sein lässt, nichts wirklich Wichtiges zu versäumen.

Müller: Zurück zu Radio Hamburg. Was würden Sie den heutigen Machern für die nächste Zeit raten? Was kann man im 21. Sendejahr noch besser machen?

Cabanis: Sie sollten sich auch von vielleicht einmal etwas fallenden Reichweitenzahlen – auf wirklich extrem hohem Niveau ! – nicht auf ihrem geraden Erfolgs-Weg irritieren lassen. Das heißt natürlich nicht ‘Hände in den Schoß legen’, aber diese Gefahr sehe ich für meine Kollegen schon vom Temperament her auch gar nicht. Man kann immer etwas besser machen, und sei es, die Perfektion gelegentlich mal zugunsten der Emotion hintanzustellen, was die Perfektion der Perfektion wäre.

Müller: Rainer Cabanis, vielen Dank für das Interview.

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