Irgendwo in den verstaubten Handbüchern der Medienwissenschaften findet sich der niedliche Satz, das Radio sei das schnellste und aktuellste Medium. Ich mache den Selbstversuch und schalte am gestrigen Sonntag Radio Köln über den Livestream im Netz ein, um bei einer der größten Sportsensationen dieses Jahrs dabei zu sein: beim Finale der Handball-WM in der ausverkauften Köln Arena.
Es ist kurz nach 16.00 Uhr, im ZDF wird Wintersport gezeigt und in der ARD beginnt die Berichterstattung zum Handball-Finale. Es geht los. Die Nationalhymnen von Deutschland und Polen werden gespielt, Radio Köln spielt „Livin’ on a prayer“ von Bon Jovi. Im Fernsehen sehe ich die kochende Halle, den herrlichen Schnurrbart von Heiner Brand, der Handball-Lichtgestalt. Radio Köln berichtet über den 1. FC Köln und spielt dann Irene Cara „What a feeling“. Das erste Tor für Deutschland fällt, Cara singt. Das zweite und dritte Tor fällt für Deutschland. Radio Köln zieht es immer noch vor, Cara singen zu lassen. Keine Meldung vom Spiel. Das vierte Tor fällt für Deutschland – wieder ist nichts davon bei Radio Köln zu hören. Um 16.30 Uhr endlich, ein Reporter meldet sich aus der Köln Arena, meldet den Stand und gibt nach 20 Sekunden wieder ins Studio. Wir müssen jetzt Santana mit „Corazon Espinado“ hören. Es steht inzwischen 6:3 für Deutschland. 7:3, dann 8:3 – ich liebe eigentlich Santana, aber jetzt… In der ARD sehe ich den Stand 9:4 für Deutschland. Sensationell, das Spiel der Handballer – sensationell auch für Köln, wo bei strahlendem Wetter kein Stehplatz mehr vor den Public-Viewing-Bildschirmen zu haben ist. Radio Köln spielt von Rosenstolz „Ich bin ich“. Es ist 17.00 Uhr. Es steht 14:11 für Deutschland im Handball-Krimi. Radio Köln bringt Nachrichten, auch etwas über den UNO-Bericht zum Klimawandel. Das 15. und 16. Tor fallen kurz hintereinander für Deutschland, Radio Köln berichtet über die Internationale Raumfahrtstation. Drei Minuten vor Spielende – es steht 29:23 für Deutschland – spielt Radio Köln von Simon Webbe „Coming around again“.
Wie lange dauerten die zwei Halbzeiten des WM-Krimis? Eine Stunde. Radio Köln, die private Radiostation, hat sie in der Stadt des Superevents verdudelt und den Hörern nur ein paar Häppchen hingeworfen.
Bernt von zur Mühlen arbeitet als Medienberater in Luxemburg. E-Mail: bvzm@bvzm.net
Dieser Beitrag ist im Rahmen des täglichen Tagebuchs von Bernt von zur Mühlen im Medienboten am 05. Februar 2007 erschienen und wird mit freundlicher Genehmigung des Medienbote Verlags auf RADIOSZENE veröffentlicht.
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