Der Bayerische Rundfunk will sein momentan ausschließlich digitales Jugendradio PULS ab 2018 auf den UKW-Frequenzen übertragen, auf denen momentan noch BR-Klassik ausgestrahlt wird. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat jetzt eine Klage von „Musikern und Liebhabern klassischer Musik gegen diesen Analog-Digital-Tausch abgewiesen. Die Begründung des Gerichtsentscheids im Wortlaut:
„Die Popularklage betrifft die Frage, ob der Art. 2 Abs. 4 des bayerischen Rundfunkgesetzes, der den Austausch eines in digitaler Technik verbreiteten Hörfunkprogramms gegen ein in analoger Technik verbreitetes Hörfunkprogramm zulässt, wenn die Anzahl der analogen Hörfunkprogramme nicht vergrößert wird und dadurch insgesamt keine Mehrkosten entstehen, mit der Bayerischen Verfassung vereinbar ist. Hintergrund der Popularklage ist ein Beschluss des Rundfunkrats vom 10. Juli 2014, wonach der Bayerische Rundfunk beabsichtigt, das bislang auch analog über UKW ausgestrahlte Hörfunkprogramm BR-Klassik ab dem Jahr 2018 nur noch digital zu verbreiten und stattdessen das bislang nur digital verbreitete Jugendprogramm PULS auch analog zu verbreiten. Mit der Aufschaltung von PULS auf die UKW-Frequenz soll dessen Reichweitenanteil deutlich erhöht werden. (RADIOSZENE berichtete).
Die Musiker und Liebhaber klassischer Musik, sind der Ansicht, Art. 2 Abs. 4 BayRG, der den geplanten Frequenzwechsel ermöglichen solle, sei mit dem Rundfunkstaatsvertrag nicht vereinbar und verstoße gegen die Bayerische Verfassung. Aus der Rundfunkfreiheit und dem vom Schutzbereich des Grundrechts umfassten Grundversorgungsauftrag ergebe sich eine Verpflichtung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, seine Programme in einer technischen Form zu verbreiten, die für die Mehrheit der Hörer auch tatsächlich zu empfangen sei. Wenn Hörer erst ein Digitalradio erwerben müssten, liege hierin eine unzulässige Erschwernis. Dadurch sei auch die Rundfunkempfangsfreiheit verletzt.
Der Bayerische Landtag, die Bayerische Staatsregierung und der Bayerische Rundfunk haben Bedenken gegen die Zulässigkeit der Popularklage und halten diese für jedenfalls unbegründet.
Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat die Popularklage am 17. Juli 2017 abgewiesen. Die Entscheidung stützt sich auf folgende Grundsätze:
- Art. 2 Abs. 4 BayRG, der den Austausch eines in digitaler Technik verbreiteten Hörfunkprogramms gegen ein in analoger Technik verbreitetes Hörfunkprogramm unter bestimmten Voraussetzungen zulässt, ist mit der Bayerischen Verfassung vereinbar. Ein unauflösbarer Widerspruch zwischen Art. 2 Abs. 4 BayRG und dem Rundfunkstaatsvertrag ist nicht ersichtlich
- Der Bayerische Rundfunk erfüllt seinen Grundversorgungsauftrag durch sämtliche von ihm verbreiteten zehn Hörfunkprogramme, unabhängig davon, ob ein Hörfunkprogramm terrestrisch analog oder digital verbreitet wird.
- Der geplante Austausch von BR-Klassik gegen das Programm PULS auf der UKW-Frequenz ist im Popularklageverfahren kein zulässiger Prüfungsgegenstand.
Zu der Entscheidung im Einzelnen:
- Die Popularklage ist unzulässig, soweit sich die Antragsteller gegen die Absicht des Bayerischen Rundfunks wenden, das Programm BR-Klassik ab dem Jahr 2018 nicht mehr analog zu verbreiten. Der Austausch von BR-Klassik gegen das Programm PULS auf der UKW-Frequenz stellt keine zwangsläufige Folge der gesetzlichen Regelung des Art. 2 Abs. 4 BayRG dar, sondern beruht auf einer autonom getroffenen Entscheidung des Bayerischen Rundfunks. Eine solche Maßnahme des Gesetzesvollzugs kann nicht Gegenstand einer Normenkontrolle im Popularklageverfahren sein.
- Die von den Antragstellern unmittelbar gegen die gesetzliche Regelung des Art. 2 Abs. 4 BayRG erhobenen Rügen sind unbegründet.
- Ein unauflösbarer Widerspruch zwischen Art. 2 Abs. 4 BayRG und dem Rundfunkstaatsvertrag, der verfassungsrechtlich unter dem Aspekt der Systemgerechtigkeit und Folgerichtigkeit eines Regelungssystems (Art. 118 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) von Bedeutung sein kann, ist nicht ersichtlich. Zwar regelt der Staatsvertrag in § 11 c Abs. 2 Satz 6 und in § 19 Satz 3 RStV, dass der Austausch eines in digitaler Technik verbreiteten Programms gegen ein in analoger Technik verbreitetes Programm und die analoge Verbreitung bisher ausschließlich digital verbreiteter Programme unzulässig sind. Diese Regelungen sind jedoch sprachlich missglückt, da sie nach ihrem Wortlaut nicht nur die zu einer digitalen Verbreitung hinzukommende analoge Verbreitung und die nunmehr analoge Verbreitung eines bislang digital verbreiteten Programms untersagen, sondern auch einen Tausch zwischen einem digital und einem analog verbreiteten Programm verbieten. Dies widerspricht der Absicht des Normgebers, die in der Begründung des Rundfunkstaatsvertrags zum Ausdruck kommt; danach soll lediglich eine Obergrenze für die Anzahl der analog verbreiteten Hörfunkprogramme festgelegt werden. Es kommt daher eine Auslegung in Betracht, nach der Art. 2 Abs. 4 BayRG mit dem Rundfunkstaatsvertrag vereinbar ist.
- Gegen die Rundfunkfreiheit (Art. 111 a Abs. 1 BV) wurde nicht verstoßen. Dass der Empfang von digital gesendeten Hörfunkprogrammen nur mittels eines Digitalradios und nicht mit herkömmlichen Radiogeräten möglich ist, beeinträchtigt die Grundversorgung nicht. Wesensmerkmal der dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk aufgetragenen Grundversorgung ist eine Übertragungstechnik, bei der ein Empfang der Sendungen allgemein sichergestellt ist. Dies ist im Hinblick auf Digitalprogramme der Fall; eine im Vergleich zum analogen Sendebetrieb signifikant abweichende (geringere) Flächendeckung besteht nicht. Auch bewegen sich die Kosten für die Anschaffung eines Digitalradios im unteren Bereich, sodass ein Empfang grundsätzlich möglich ist. Die Rundfunkempfangsfreiheit (Art. 112 Abs. 2 BV) ist daher ebenso wenig verletzt.
Eine Entscheidung über eine weitere Klage von Privatradios, die ihre Existenz durch den Frequenzwechsel bedroht sehen, ist vom Oberlandesgericht noch nicht gefallen, wird aber in Kürze erwartet.“
Update vom 27. Juli 2017: OLG München weist Klage von Privatradios ab
Im Rechtstreit zwischen bayerischen Privatradios und dem Bayerischen Rundfunk um den geplanten Frequenztausch zwischen Puls und BR Klassik hat der Kartellsenat des Oberlandesgerichts München die Klage der privaten Rundfunkveranstalter abgewiesen. Die vom BR geplante Verbreitung des Jugendprogramms PULS auf den bislang von BR-Klassik genutzten UKW-Frequenzen sei rechtens, so die Richter. Ein Ende des Rechtsstreits ist aber damit noch nicht besiegelt, da das OLG die Revision zugelassen hat.
Dazu äußert sich der Justiziar des Bayerischen Rundfunks, Prof. Dr. Albrecht Hesse, wie folgt:
„Der Bayerische Rundfunk begrüßt die Entscheidung des Oberlandesgerichts München. Wir sehen uns damit erneut in unserer Auffassung bestätigt, dass der Tausch der UKW-Frequenzen von BR-Klassik und PULS nach Art. 2 Abs. 4 des Bayerischen Rundfunkgesetzes zulässig ist und wir uns mit den geplanten Maßnahmen auf dem Boden geltenden Rechts bewegen. Wir werden die Entscheidung zunächst einmal sorgfältig prüfen und auch mit unseren Gremien bewerten. Da das OLG Revision zugelassen hat, ist davon auszugehen, dass die Gegenseite weitere Rechtsmittel einlegt und sich das Verfahren damit noch hinzieht.“
In erster Instanz hatte bereits das Landgericht München I im Juni 2016 bestätigt, dass es genuine Aufgabe des BR im Rahmen der Grundversorgung ist, alle Altersgruppen und damit auch die Jugend zu erreichen. Welcher Schwerpunkt auf welchem Übertragungsweg ausgestrahlt wird, sei weder nach dem Rundfunkstaatsvertrag noch nach dem Bayerischen Rundfunkgesetz in irgendeiner Form vorgeschrieben, so das Landgericht in seiner damaligen Begründung. Die Kläger hatten daraufhin die nächste Instanz angerufen.
Bereits vergangene Woche wurde eine Popularklage gegen die geplante Frequenzumwidmung vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof abgewiesen. Dieser stellte fest, dass der BR seinen Grundversorgungsauftrag durch alle seine zehn Programme erfüllt und es nicht darauf ankommt, in welcher Übertragungstechnik er das tut. Zumal, so der Gerichtshof, bei den Digitalprogrammen eine „im Vergleich zum analogen Sendebetrieb signifikant abweichende (geringere) Flächendeckung nicht bestehe“ und sich die Kosten für die Anschaffung eines Digitalradios im unteren Bereich bewegten, sodass die Rundfunkempfangsfreiheit nicht verletzt sei.
Die geplanten Maßnahmen des BR dienen dem Ziel, auch ein jüngeres Publikum zu erreichen und dem drohenden Generationenabriss entgegen zu wirken. Vier der fünf UKW-Programme des BR sprechen ein Publikum ab 50 Jahre an. Bayern 3 erreicht als einziges UKW-Programm noch mehrheitlich Menschen unter 50, kann aber ebenfalls nicht die Zielgruppe der 14- bis 29-jährigen in großem Umfang ansprechen.
Update vom 27.07.2017
Piazolo/FREIE WÄHLER: Gleichgewicht zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk erhalten
München (ots) – Der Bayerische Rundfunk will seine Jugendwelle „PULS“ künftig auf den bisherigen UKW-Frequenzen von „BR Klassik“ ausstrahlen und hat dafür heute Unterstützung vom Oberlandesgericht München erhalten. Dieses wies eine Klage der Privatradios gegen den Wechsel zurück. Für Prof. Dr. Michael Piazolo, medienpolitischer Sprecher der FREIEN WÄHLER im bayerischen Landtag, ist auch nach dem Urteil kein Rechtsfrieden in Sicht – der Streit gehe lediglich „in die nächste Runde“.
„Diese Situation mutet schon paradox an: Auf der einen Seite will der Bayerische Rundfunk Digitalradio im Sendestandard DAB+ weiter ausbauen und fördern. Auf der anderen Seite erachtet Intendant Ulrich Wilhelm ausgerechnet einen Frequenztausch auf UKW als unumgänglich, um „PULS“ an seine Hörerinnen und Hörer zu bringen. Dabei hört gerade die jüngere Generation Radio mehrheitlich übers Internet oder ist bereits im Besitz eines digitalen Empfangsgerätes“, moniert Piazolo. Aus medienpolitischer Sicht sei die Verlagerung von PULS auf UKW daher wenig sinnvoll – insbesondere in Anbetracht der fortschreitenden Digitalisierung und dem beschleunigten Zusammenwachsen von Fernsehen, Radio, Internet und Telekommunikation.
Piazolo verweist darauf, dass die Hörerinnen und Hörer von BR-Klassik Verlierer dieses Vorstoßes des Bayerischen Rundfunks seien: „Meist handelt es sich um Hörer, die der älteren Generation angehören und nach wie vor kein digitales Empfangsgerät besitzen.“ Rund drei Viertel der deutschen Bevölkerung (74, 3 Prozent) empfange Hörfunk nach wie vor über UKW. Hier falle der Anteil bei der Gruppe der über Fünfzigjährigen am höchsten aus, das zeige der Digitalisierungsbericht 2016. „Letztlich wirkt sich der Verlust von BR-Klassik im UKW-Bereich negativ auf den Grundsatz der Programmvielfalt aus“, resümiert Piazolo.
Seine Sorge gelte nun der Zukunft der Privatradios in Bayern: Sie dürften durch „PULS“ als möglichem neuen Wettbewerber vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht keine Benachteiligung erfahren. „Egal wie der Bundesgerichtshof im Revisionsverfahren entscheidet: Es muss politische Priorität haben, das Gleichgewicht zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk zu erhalten – denn das zeichnet das deutsche Mediensystem aus“, erklärt Piazolo.
Hinweis: Eine Petition, die sich für diese Ziele starkmacht, kann hier im Internet gezeichnet werden: https://is.gd/aCyYoH
Quellen: Bayerischer Verfassungsgerichtshof, BR, Freie Wähler
Weiterführende Informationen
UKW-Aufschaltung von BR PULS verfassungswidrig?
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PULS auf UKW: Privatsender klagen gegen Frequenztausch
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