Webradio bleibt weiter angesagt. Zwar wurde der starke Aufschwung der letzten Jahre unter anderem auch wegen der gewachsenen Bedeutung von Streaming-Diensten ein wenig verlangsamt, dennoch nutzten im Jahr 2016 laut dem „Digitalisierungsbericht“ der deutschen Medienanstalten rund 34,1 Prozent der Bevölkerung bereits Internetradio (2015: 29,9 %). Kein Wunder: Schließlich haben immer mehr mobile Geräte direkten Zugriff auf das Web. Auch zeigen sich nach einer Marktbereinigung bei den Sendern erkennbare Tendenzen einer gewachsenen Professionalisierung. Noch immer bleibt zwar für eine Mehrheit der Deutschen das konventionelle Radiohören über terrestrischen Empfang weiterhin die erste Präferenz, zuletzt ist aber vor allem bei den unter 40‑Jährigen ein klarer Trend zum Radiohören über das Internet erkennbar.
Bernhard Bahners ist als Geschäftsführer des international agierenden Webradio-Aggregators radio.net ein aufmerksamer Beobachter der Szene. Sein kostenfreier Dienst bündelt mehr als 30.000 Sender und Podcasts und hat weltweit vier Millionen monatliche Nutzer und über 20 Millionen App Downloads. Die radio.de GmbH ist Betreiber der internationalen Plattform radio.net sowie den regionalen Plattformen radio.de, radio.at, radio.fr, radio.se, radio.dk, radio.pt, radio.es, radio.it und radio.pl.
RADIOSZENE sprach mit Bernhard Bahners über erfolgreiche Formate sowie über Gegenwart und Zukunft des Webradio-Marktes.
RADIOSZENE: Welche Genres und Programmsparten werden nach Ihrer Beobachtung bei radio.de besonders stark genutzt?
Bernhard Bahners: Wir haben im vergangenen Herbst die radio.de Highlight Stations gestartet. Das sind Musikprogramme, die wir mit einem Kooperationspartner ins Leben gerufen haben. Die Sender decken nicht nur die beliebtesten Genres ab, sondern bieten auch die passende Musik zu verschiedenen Nutzungssituationen. Wichtig war uns dabei auch neue Sachen auszuprobieren. Die ersten Monate waren bereits sehr erfolgreich. Alle Highlight Stations sind mittlerweile in der radio.de Top100 angelangt. Im nächsten Schritt wollen wir noch mehr unterschiedliche Musikrichtungen und Formate ausprobieren, Erfahrungen sammeln und die Hörer noch besser verstehen. Wir werden das Projekt weiter ausbauen.
RADIOSZENE: Wie ist das Nutzungsverhältnis zwischen Web Only Radio und den Simulcasts sowie zwischen deutschen und ausländischen Programmen?
Bernhard Bahners: Die Simulcast sind insgesamt das stärkste Segment auf unserer Plattform und liegen auch in der Nutzung vorne. Darüber hinaus gibt es aber eine Gruppe an eigenständigen Web Only-Angeboten, die sich bereits über Jahre fest in den Top 100 Rängen etabliert haben. In bestimmten Sparten wie bei elektronischer Musik ist die Nutzung sehr international, aber da geht es weniger um die Herkunft der Programme. Die elektronische Musikszene ist schon immer eine sehr internationale Szene gewesen. Es gibt aber auch starke Programme in türkischer und russischer Sprache, die in Deutschland genutzt werden.
RADIOSZENE: Welche Angebote jenseits der Musik sind im Markt erfolgreich?
Bernhard Bahners: Wenn man sich den Radiobereich anschaut, dann sieht man, dass die Musikprogramme klar in Führung liegen. Es gibt auch erfolgreiche Programme, die gar nicht moderiert werden. Aber auch wir sehen deutlich die gestiegene Nachfrage nach Podcasts. Sowohl von Nutzerseite, als auch von Anbieterseite. Es gibt immer mehr Podcast-Anbieter, die nach neuen Möglichkeiten suchen, um ihre Reichweite zu steigern. Und auch hier können wir ein wichtiger Partner sein.
RADIOSZENE: Werden Ihrer Beobachtung nach auch Musikgenres im Internet vernachlässigt? Der „Webradio-Monitor 2016“ sieht hier für einige Formate noch Raum für Neugründungen.
Bernhard Bahners: In unserer weltweiten Datenbank finden sich bereits mehr als 150 verschiedene Genres, dadurch werden auch Trends, die Deutschland noch gar nicht erreicht haben, bereits sehr früh angeboten. Man findet zum Beispiel einige Webradios die den passenden Soundtrack für Anime-Fans liefern. Diese Szene ist letztes Jahr durch den Hype um Pokemon Go viel mehr in den Fokus des Mainstreams gerückt. Die Programme sind aber schon lange dabei.
Die Kunst für die Radiomacher ist es eine erfolgreiche Sendermarke aufzubauen. Dazu gehört nicht nur eine gute Musikplanung innerhalb eines Genres, sondern auch eine Kommunikationsstrategie, die den Sender greifbar macht.
Ich glaube, es gibt weniger Sparten, die vernachlässigt werden, sondern nicht für jede Sparte gibt es derzeit diese erfolgreichen Sender, die herausstechen. Wenn man sich zum Beispiel den enormen Erfolg von deutschen HipHop anschaut, dann fällt einem auf, dass diese Musikrichtung nicht im gleichen Maße im Radio stattfindet. Und auch im Webradio gibt es zwar viele Angebote, aber nicht den einen, der für die Szene eine übergeordnete Relevanz bietet.
Zum Glück bewegt sich die Musiklandschaft ja auch ständig weiter und es gibt immer wieder neue Sounds, für die es auch neue Sender gibt.
RADIOSZENE: Nach Aussage des „Webradio-Monitors“ ging zuletzt in Anzahl der Webradio-Only-Angebote kontinuierlich zurück. Was sind die Gründe?
Bernhard Bahners: Tatsächlich haben wir im letzten Jahr 3.700 neue Sender in unsere Datenbank aufgenommen. Aber in den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass es nicht einfach ist, ein erfolgreiches Webradio aufzubauen und am Laufen zu halten. Dabei sind die Kosten für die Musikrechte und Lizenzen ein durchaus kritischer Faktor. Viele der Sender, die sich etablieren konnten, greifen dabei auf persönliche Erfahrungen aus dem klassischen Radio zurück. Auch im Webradio braucht man eben echte Radiomacher.
Und bei der Frage der Finanzierung ist der Markt noch nicht so weit wie er sein sollte. Ein Großteil wird über klassische Radiowerbung abgedeckt, die im Webstream integriert wird. Dabei bietet Webradio noch ganz andere Möglichkeiten. Mit der Fokusgruppe Audio im BVDW (Bundesverband Digitale Wirtschaft) stellen wir uns genau dieser Aufgabe, den Markt weiter zu entwickeln und für die Werbekunden auch transparent zu machen. Dabei sind auch die neuen Impulse wichtig, die durch den Podcast-Boom, besonders in den USA, aber auch zunehmend in Deutschland die Hochwertigkeit von digitaler Audiowerbung herausstellen.
RADIOSZENE: Wie sehr hat sich der Markt in den letzten Jahren professionalisiert?
Bernhard Bahners: Was wir zuletzt beobachtet haben, ist, dass ein wirklich großer Teil der UKW-Welt erkannt hat, welche Möglichkeiten das Webradio bietet und dementsprechend auch Webstreams für verschiedene Genres gestartet hat. Die Sender können ihre Kompetenz auch im Webradio ausspielen und die Programmmacher sind vermutlich auch glücklich darüber, dass es einfach mehr Freiheiten bei der Musikauswahl gibt.
Für den Markt insgesamt ist es wichtig, dass sich die einzelnen Segmente nicht isoliert betrachten. Der Werbemarkt ist auf der Suche nach hochwertigen Kontakten und die sind sowohl im Webradio, als auch im Podcast- und im Streaming Bereich zu finden. Alle Marktteilnehmer teilen das Interesse, dass es hier echte Skalierungseffekte gibt.
RADIOSZENE: Sind die derzeitigen Mess-Instrumente wie etwa die ma IP Audio ausreichend als Transparenz-Tool für das Nutzungsverhalten im Markt?
Bernhard Bahners: Die ma IP Audio ist ein wichtiger erster Schritt in die richtige Richtung gewesen und auch ein Grund dafür, dass die UKW Sender sich mehr im Webradio Bereich engagiert haben. Das tatsächliche Nutzungsverhalten wird allerdings noch nicht besonders detailliert in der ma IP Audio abgebildet. Wann hat ein Sender die meisten Hörer? Welches Device ist für den Hörer das relevanteste? Über welche Plattform wird der Sender gehört? Welche sozio-demographischen Merkmale haben die Hörer?
Wir stehen also wirklich noch am Anfang einer umfassenden Reichweitenausweisung. Der Markt braucht eine gemeinsame „ma Audio“ Währung, die Web und UKW verbindet. Dabei ist die richtige Methodik entscheidend, damit wirklich vergleichbare Werte entstehen.
RADIOSZENE: In 2016 haben viele deutsche UKW Privatradios zahlreiche neue Spartenkanäle im Internet gestartet. Welche Strategie steckt Ihrer Meinung nach hinter dieser Schwemme an Neugründungen?
Bernhard Bahners: Die Strategie das Markenerlebnis eines Senders ins Internetradio zu verlängern sehen wir schon seit einigen Jahren. Durch die konsolidierte Ausweisung der Senderreichweite in der agma IP wird diese Strategie noch wichtiger für die Sender. Darüber hinaus gibt es aber auch durchaus unterschiedliche Ansätze im Webbereich. Radio Hamburg und die REGIOCAST beispielsweise bauen eigenständige Marken auf, die deutschlandweit, also über die klassischen regionalen Einzugsgebiete der Sender hinweg funktionieren, und nicht auf den ersten Blick an die Sender gekoppelt sind. Die Projekte greifen dabei natürlich auf die Programm- und Musikexpertise der jeweiligen Teams zurück. Eine weitere Strategie verfolgt FFH, um mit den Subchannels die Markenbekanntheit von FFH zu stärken und nur im zweiten Schritt die Reichweite.
Hier ist eine klare Konkurrenz zu Spotify und den anderen Streamingdiensten zu sehen, denn auch im Streamingbereich genießen die Nutzer am liebsten von Kennern kuratierte Musik. Und diese Kernkompetenz der Radiomacher kann man gerade im Web hören und erleben, wenn die Zwänge der klassischen Rotationen abgelegt werden.
RADIOSZENE: Wie gefährlich sind die Streaming-Dienste wie Spotify oder Amazon für den Webradio-Markt?
Bernhard Bahners: Die Streaming-Dienste sind natürlich eine große Konkurrenz, gerade in den jüngeren Zielgruppen. Und die Streaming-Dienste fokussieren sich immer mehr auf die alten Stärken des Radios, mit dem Ziel dem Hörer per Knopfdruck einfach die passende Musik zu jeder Stimmung zu bieten. Und dabei hat jeder Hörer natürlich nur zwei Ohren.
Es wird sehr spannend zu hören sein, was Amazon mit den Bundesliga-Rechten für die kommende Saison machen wird. Und Spotify hat die Relevanz von Podcast mit der Verpflichtung von Böhmermann und Schulz unterstrichen.
Radiomacher müssen den Hörern mehr bieten als einfache Playlisten. Musik ist kein Alleinstellungsmerkmal des Radios. Das gesprochene Wort und die Persönlichkeit sind der Unterschied. Aber wie bereits vorher erwähnt, ist gerade Spotify, ebenfalls Mitglied in der Fachgruppe Audio im Bundesverband Digitale Wirtschaft, auch ein wichtiger Partner, der den gemeinsamen Werbemarkt für Online Audio weiter vorantreibt und etabliert.
RADIOSZENE: Zuletzt hat die ARD angekündigt mit einem eigenen Portal aktiv zu werden. Damit kommt – neben dem Radioplayer – ein weiterer Marktteilnehmer aus dem Lager der Broadcaster hinzu.
Bernhard Bahners: Das unterstreicht nochmals, wie wichtig Webradio für die Radiosender geworden ist. Am Ende müssen wir als Aggregator uns durch Qualität und das beste Nutzererlebnis durchsetzen. So wie wir es schon seit dem Start von radio.de getan haben.
Der Marktstart der ARD könnte auch gerade die ältere Zielgruppe noch mal neu für das Thema Webradio sensibilisieren. Wir sind sehr gespannt auf das Produkt, dass die ARD- Sender vorstellen werden.
Darüber hinaus befinden wir uns natürlich auch mit zahlreichen ARD-Stationen im engen Austausch über die optimale Verbreitung im Web.
RADIOSZENE: Wie hoch ist derzeit der Anteil an mobiler Nutzung von Webradioangeboten?
Bernhard Bahners: Wir sehen eine sehr konstante Verteilung zwischen Mobile und Desktop Nutzung. Rund 70% unseres Traffics erreichen wir über unsere Apps und 30% durch die Nutzung am Browser.
Die Automobilbranche arbeitet in anderen Zeitfenstern, als zum Beispiel Smartphone Hersteller und die App-Economy. Wenn man bedenkt welche Verantwortung die Autoindustrie gegenüber den Autofahrern hat, ist das auch verständlich, auch wenn wir als Firma gerne schnellere Innovationssprünge sehen würden.
Ein wesentlicher Faktor ist dabei natürlich auch der Netzausbau entlang der Autobahnen und Hauptverkehrsadern. Mit dem Start von 5G, also der nächsten Innovationsstufe für Mobilfunknetze, die für 2020 geplant ist, werden wir endgültig den Einzug des Streamings in das Auto sehen. Einige Hersteller werden hochwertige integrierte Boardentertainment Systeme anbieten, bei denen unser Service bereits fest integriert ist und für andere wird das Smartphone die zentrale Rolle beim Empfang spielen.
RADIOSZENE: Welche zusätzlichen technischen Innovationen könnten die Webradionutzung weiter befeuern?
Bernhard Bahners: Die Verbreitung von Amazon Alexa und Google Home wird die Webradionutzung weiter vorantreiben. Diese Geräte werden das alte Küchenradio ablösen. Und da man jetzt ganz einfach per Sprachbefehl den Sender einschalten und wechseln kann oder einfach nach bestimmten Musikrichtungen fragen kann, ist Webradio auch genau so simple wie das gute alte UKW Radio, bei dem für die meisten Nutzer nur der Knopf zum Ein- und Ausschalten wichtig ist.
Amazon bietet seine Sprachsteuerung auch nicht nur in den eigenen Geräten an, sondern stellt diese auch anderen Herstellern zur Verfügung, was die Verbreitung natürlich erheblich begünstigt. Im Mittelpunkt steht hier auch ein personalisiertes Programm, das automatisch bereitgestellt wird und sich aus verschiedenen Quellen speist. Eine großartige Möglichkeit für Webradioanbieter neue Publikumssegmente zu erreichen. Nicht umsonst hat Amazon die Audio-IP Bundesliga Rechte für die kommende Saison ersteigert.
RADIOSZENE: Werden die Nutzungskosten für Übertragung absehbar sinken?
Bernhard Bahners: Die Kosten für die Endnutzer werden perspektivisch sinken. Deutschland ist im europäischen Vergleich leider nur im hinteren Mittelfeld zu finden, wenn man die Kosten für das angebotene Datenvolumen im Mobilfunk betrachtet. In vielen anderen europäischen Ländern gibt es wesentlich bessere Mobilfunk-Angebote. Eine ähnliche Preisentwicklung erwarten wir also auch in Deutschland.
RADIOSZENE: Wagen Sie einmal einen Blick für die weitere Marktentwicklung in 2017 …
Bernhard Bahners: In diesem Jahr werden wir ein noch stärkerer Partner für Radiosender. Wir haben in diesen Tagen mit einigen ausgewählten Sender-Partnern die Betaphase für unser neues Projekt „Sponsored Listing“ gestartet. Hier können Sender mit Hilfe von speziell geschaffenen Anzeigenplätzen die Reichweite für ihre einzelnen Programme steuern. Das bietet den Senderbetreibern, die ansonsten vielleicht Google oder Facebook nutzen, einen neuen, sehr effektiven, Performance-Kanal. Der Dialog mit den Sendern ist dabei ein ganz zentraler Faktor für die Weiterentwicklung dieses Produktes und für uns ist es wichtig, dass dieses Tool nicht nur für die großen Sender interessant ist, sondern auch für kleinere Stationen ein wichtiger Hebel sein kann. Denn die Vielfalt zeichnet uns als Plattform aus.
Top 10 Over All nach Playcounts auf radio.de im Jahr 2016:
- 1LIVE
- SWR3
- Antenne Bayern
- NDR2
- N-JOY
- BAYERN 3
- WDR2
- JAM FM
- Radio Paloma
- Deutschlandfunk
Top10 aller Web Only nach Playcounts auf radio.de im Jahr 2016:
- Ballermann Radio
- Top100Station
- TechnoBase.FM
- DEFJAY
- BlackBeats.FM
- Antenne Bayern Top 40
- Antenne Bayern Oldies but Goldies
- M1.FM Charts
- Antenne Bayern Chillout
- Oldies