Der erste Jahresrückblick 2003: So war das Radiojahr

Bitter Lemmer

Da bis zum Jahreswechsel keine großen Investitionen der Radiobranche mehr zu erwarten sind, steht dem Jahresrückblick 2003 nichts mehr im Wege: Es war das Jahr des Sparens. Es war das Jahr der schrumpfenden Zahlen. Es war das Jahr der gestrichenen Jobs. Unter denen, die das hier lesen, werden nur wenige sein, für die 2003 das Super-Duper-Erfolgsjahr war.

Die Perspektiven fühlen sich zur Zeit auch nicht so toll an. Früher war es so: Hattest Du einen Sender verlassen, so konntest Du es bei der Konkurrenz versuchen. Heute gibt’s kaum noch Konkurrenz. Was dann? Berater werden? Vergiss es! Glaub mir: Inzwischen gibt es mehr Berater als Radiosender, und immer mehr leben von Papis Erspartem. Außerdem sind die Berater immer stärker direkt bei den Gesellschaftern angebunden, von denen es – wie gesagt – immer weniger gibt. Folglich gibt es auch immer weniger erfolgreiche Berater, die dafür die immer größeren Portefeuils der Eigentümer betreuen.

2003 war außerdem das Jahr der Werbekrise. Alle anderen Medien kommen zwar langsam wieder klar, aber für Radio wird die Krise noch viele Jahre andauern (mehr dazu lest Ihr in der Studie von PWC über die Entwicklung der Medienumsätze in Deutschland). Die Bedeutung des Radios im Medienmix wird weiter sinken. Marktbereinigung bedeutet: Die Gesellschafter kämpfen um möglichst große Beutestücke des Radio-Werbekuchens. Sie denken aber nicht daran, einen größeren Kuchen zu backen (oder dickere Happen vom Gesamtkuchen abzubeißen). Denn dann müßten sie in Programm und Promotions investieren. Die Konkurrenzfähigkeit des Radios stärken. Tun sie aber nicht.

Im Grunde lebt die deutsche Radiobranche bis heute von den Investitionen der neunziger Jahre. Ausgehend von der zweiten Lizensierungswelle in Berlin ab 1992 hat sich ein professioneller Standard etabliert, der heute unumstritten ist und den niemand mehr weiterentwickelt. Die Schlagworte heißen Comedy, Morningshows und Hitradio (auch, wenn es sich um AC-Sender handelt). Damals war das alles neu, aufregend und irgendwie riskant. Aber es hat sich gelohnt. Viele Radioeigentümer haben jahrelang gutes Geld verdient. Sie haben nur übersehen, daß Radio sich ebenso weiterentwickeln muß wie jedes andere Medium auch. Den größten Wandel haben die Zeitschriften absolviert. Etliche neue Titel, vor allem für Frauen und im Special-Interest-Bereich, wurden mit viel Geld auf den Markt gebracht. Nicht jede Investition hat sich ausgezahlt, aber im Ganzen hält sich das Genre. Das Internet hat sich endgültig gemausert und die Hype-Zeiten der New Economy hinter sich gelassen. Die Wachstumsraten sind beständig wie erstaunlich. Man sieht: Investitionen zahlen sich am Ende eben doch aus. Die Fernsehsender haben sich noch nie auf ihren Lorbeeren ausgeruht. Statt dessen schaffen sie Trends. Erinnern wir uns: Da gab es die große Welle der Gameshows, dann die Talkshows, später die Gerichtsshows, derzeit die Casting-Shows. Ständige Erneuerung im Programm als Basis für anhaltenden kommerziellen Erfolg.

Das Radio hat das leider nicht verstanden. Heutige Morningshows klingen landauf – landab immer so, wie sie vor zehn Jahren erstmals in die Märkte gestartet waren. Zehn Jahre Stillstand sind aber zu viel. Jeder vernünftige Fabrikant weiß, daß er seine Produkte ständig überarbeiten und verbessern muß. Woher soll sonst die Story kommen, mit der sich immer wieder neue Generationen von Autos, Handys oder Spielekonsolen vermarkten ließen? Stillstand schafft Langeweile. Langeweile ist der Feind des Gehirns, schreibt Norbert Bolz.

Radio ist damit ein Spiegel der Gesellschaft geworden. Es geht uns scheinbar noch zu gut, um wieder etwas zu wagen. Die Steinkohlebergwerke kämpfen um die Ewigkeitsgarantie einer veralteten Energie. Die Bauern kämpfen um die Ewigkeitsgarantie staatlich gesicherter Absatzmärkte. Die Gewerkschaften kämpfen um das ewige Leben der Betriebsräte. Die Einzelhändler kämpfen um die Ewigkeitsgarantie des staatlich befohlenen Feierabends. Die Apotheker kämpfen um ihre sprichwörtlichen Apothekerpreise, die Buchhändler um die gesetzliche Buchpreisbindung, der Osten um den Solidarbeitrag, die Beamten um die nicht versiegende Gesetzesflut. Und die Radiosender kauern sich weg vom Markt in die Nische.

Bloß nichts mehr wagen – wie in der Politik.

Lemmer

Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de