Es ist MA-Zeit und das Radio bekommt seine Zeugnisse. Die einen haben es immer schon gewusst, die anderen finden’s ungerecht und wieder andere glauben sowieso nur Zahlen, die sie selbst gefälscht haben. Jeder hat seine Meinung und ich auch nicht mehr als meine. Wie der geschätzte Kollege Christoph Lemmer hier bei RADIOSZENE vor ein paar Tagen schrieb, die Infoprogramme haben mehrheitlich gewonnen und viele AC-Sender und deren Macher schauen bedröppelt aus der Wäsche. Nicht alle, aber viele.
Radio war immer schon und ist heute mehr denn je erfolgreich, wenn es ein Spiegel der Gesellschaft ist, auf Strömungen eingeht und seine Hörer dort abholt, wo sie gerade sind. Und ich glaube genau da hat sich etwas verändert, was wir alle eigentlich auch sehen und spüren. Die Tage las ich, Menschen gehen wieder in Vereine, sie engagieren sich in ihrem „Nahbereich“. Bei mir auf dem Land gründet sich gerade ein Dorfladen und ich weiß endlich, was das eigentlich ist. Tatsache ist, Menschen bewegen sich in überschaubaren Regionen und suchen die „kleinere Einheit“. Das „Draußen“ der Trumps und Erdogans ist nicht mehr fassbar und macht vielen Menschen Angst. Wenn dem so ist, dann ist das für uns Radiomacher eine echte Chance, weil wir sind regional, wir sind lokal, wir lachen und weinen mit unserem Publikum.
Es ist legitim, die Schwächen der MA-Mechanik durch die 10.000-Euro Frage zu nutzen und dem Hörer seine Rechnungen zu bezahlen, denn der Spieltrieb liegt in uns allen. Wenn’s der Quote hilft und Du die Kohle hast, verschenk sie an jemanden, der sie dringender braucht! Radio darf spielen und Radio muss und soll auch mal albern sein. Aber wenn das alles ist, dann ist es zu teuer, weil zu billig. Zu teuer, wie viele in diesen Tagen sehen, da die Zahlen es Ihnen nicht danken und sie feststellen, dass Gewinnen nicht bindet, verlieren schon mal gar nicht.
Degradieren wir unsere Hörer nicht zu gierigen Zockern! Wir binden sie durch Respekt, Haltung und unsere Verankerung in ihrer Gemeinschaft – in diesen Tagen mehr denn je und das wird sich auch sobald nicht ändern. Unsere Gesellschaft befindet sich in einem fundamentalen Wandel und braucht gerade jetzt die außergewöhnlichen Kommunikationstalente, Menschen, die die Lebenswirklichkeit ihrer Hörer teilen, die mit ihnen lachen und weinen. Wenn diese Talente und ihre Programme es schaffen, “der Club zu sein, zu dem man gehören will“ und zu spiegeln, was wirklich bewegt – und das ist nicht „In drei Tagen ist Wochenende und damit zu 6 Hits am Stück, juchuuu!!!“ – dann hat unser Lieblingsmedium wirklich die Kraft zu binden.
Als Jurymitglied des deutschen Radiopreises habe ich mich im vergangenen Jahr wahnsinnig über die Kollegen von RT1 in Augsburg gefreut. Die haben die Eröffnung der ersten öffentlichen Toilette in der Gemeinde Niederneufnach zu einem saukomischen Event gemacht, an dem die gesamte Ortschaft teilnahm, die Region sich schlappgelacht hat und die Jury sie nominierte. RT1, ein Sender, der es sich niemals leisten könnte, Rechnungen zu bezahlen, keine 10.000 Euro für die „Augsburg-Frage“ ausloben kann und die großen öffentlich-rechtlichen und privaten Konkurrenten (damals auch mich) trotzdem wahnsinnig macht, weil er seit Jahrzehnten Marktführer ist. Warum wohl?
Deshalb bewegen wir uns mit dem was „die da Draußen“ bewegt. Sind wir nicht nur Begleitmedium, sondern echter Begleiter in immer diffuseren Zeiten und sprechen wir wieder die Sprache unserer Hörer. Das sind ganz normale Menschen, die einfach nur gutes Radio, Information und Spaß haben wollen. Und ihre Rechnungen zahlen die meisten am Ende sowieso notgedrungen selber.
Über den Autor
Viktor Worms moderierte die ZDF Hitparade, war Programmdirektor bei ANTENNE BAYERN und ZDF-Unterhaltungschef. Er war in den vergangenen Jahren als Strategie- und Moderationscoach u.a. tätig für R.SA, DRadio Wissen, bigFM, ROCK ANTENNE, RPR1. sowie die ARD.ZDF Medienakademie. Er ist seit 2015 Jurymitglied des Deutschen Radiopreises.
Neben seiner Tätigkeit als TV Producer ist er Vorstand der Hugo-Tempelman-Stiftung sowie Beirat der Tabaluga Kinderstiftung. Seit 2015 ist er Jurymitglied des Deutschen Radiopreises.