Trump, Erdogan und die AfD: Zeit für mehr Info im Radio?

BitterLemmer MA big

Wie groß muss die Not sein, dass die eigentlich ungenießbaren öffentlich-rechtlichen Nachrichtenradios die Gewinnerkategorie der MA Radio 2017/1 ausmachen? Die Zahlen sind ja geradezu beeindruckend: hr INFO plus 10,2 Prozent auf 54.000, B5 aktuell um 18,3 Prozent auf satte 184.000, INFOradio Berlin-Brandenburg um satte 33,8 Prozent auf 64.000 (alle im Vergleich zur MA Radio 2016/1, Zielgruppe 10+). Ähnlich dürfte die Entwicklung bei den nicht in der MA ausgewiesenen Sendern verlaufen.

Die Not muss sehr groß sein. Wir leben in Zeiten, in denen sich Menschen für die Welt interessieren. Trump, Flüchtlingspolitik, Zuwanderung, endloses Euro-Desaster, eine unberechenbare Führung in der Türkei – man könnte die Liste fortsetzen. Ihr wisst, was ich meine. Jeder von Euch trifft ja irgendwo Leute. Im Job, beim Bier, wo auch immer, und es wird viel mehr über Politik geredet als früher.

Es ist also die Stunde der Nachrichtensender. Hier zeigt sich offensichtlicher Nachfragedruck von Hörerseite. Der stößt auf ein Angebot der parteiamtlichen Routine. Das ist schon daran zu erkennen, dass ein reales Ereignis nur selten berichtet wird, wenn nicht ein Parteipolitiker dazu eine Wortabsonderung beiträgt. Die Präsentatoren sprechen zu ihren Hörern in einem Tonfall zwischen gelangweilt-arrogant bis zu arrogant-belehrend. In ihren Formulierungen wimmelt es von Substantivierungen und Scheinwichtigkeiten offiziöser Art. Journalistische Distanz zu Parteien ist hörbar nicht vorhanden, außer zur AfD. Die Trennung von Information und Meinung existiert nicht. Die Programme verkünden linientreu die parteikonsensualen Ansichten zu Ökologie, Gesundheit oder staatlicher Regulierung.

Die öffentlich-rechtlichen Nachrichtenradios sind also weder schön anzuhören noch inhaltlich spannend oder gar überraschend. Und trotzdem legen sie kräftig zu. Halt notgedrungen, mangels Alternative. Es gibt eben nichts anderes im Radio in dieser Richtung.

Was es dagegen gibt: Viele Musikwellen. Die haben teils kräftig verloren, wie überhaupt diese MA eine der eher heftigen Gewinne oder Verluste war. Die ENERGY „City Kombi“ büßte 19,2 Prozent ein, was sich an den fast durchgehenden Verlusten der ENERGY-Sender nachvollziehen lässt. Die beiden privaten niedersächsischen Landeswellen Antenne und ffn verloren je um die 15 Prozent. Radio FFH verlor gar ein Fünftel seiner Hörer. Antenne Bayern fing sich ein Minus von 16 Prozent ein, gänzlich ungewohnt nach den dauerhaften Höhenflügen der letzten Jahre. Woran das liegt? Da werden sich die Verantwortlichen in den nächsten Tagen sicher viele Gedanken zu machen.

An einem jedoch wird es eher nicht liegen: An handwerklichen Problemen. Der Tonfall bei den Musikradios ist menschlich und zugewandt, ganz gegenteilig also zu dem, was die Nachrichtensender bringen. Jede dieser Stationen ist in jeder taktischen oder technischen Hinsicht auf der Höhe der Zeit. Es dürfte also etwas Grundsätzliches sein, was hier gerade im Markt passiert. Da scheint sich ohne großes Zutun, einfach aufgrund des Weltgeschehens, eine Wende bei der Nachfrage zu vollziehen. Hin zu Diskurs und Info, nur eben unerfüllt.

Das kann man als Problem sehen, aber auch als Chance. Gewinnen Nachrichtenimages gerade einen höheren Wert als in früheren Jahren? Würde der Aufwand lohnen, mehr Ressourcen in Info-Formate zu stecken? Als verstärktes Element in Musikradios? Oder vielleicht auch endlich mal als professionell gemachtes privates Info- oder Talkradio?

Die Radiolandschaft mit ihrer unübersichtlichen Regulierung und ihrer verschränkten Gesellschafterstruktur ist nicht unbedingt für schnelle und radikale Wendungen bekannt. Aber vielleicht kommen wir gerade an einen Punkt, an dem es wichtig wird, sich veränderten Bedingungen zu stellen. Und nebenbei den ARD-Sendern mal zu zeigen, dass wir Privaten auch Info besser können als sie.


Christoph Lemmer Portrait 2012 100
Offenlegung: Christoph Lemmer arbeitet u.a. für Antenne Bayern. 

E-Mail: christoph@radioszene.de