Wedel Software

Patrick Lynen: „Was hab ich da bloß wieder angestellt?!“

Patrick Lynen im SWF3-Studio
Patrick Lynen im SWF3-Studio

Der Mann, der darüber nachdenkt, hat in irgendeiner Nacht mal am Selbstfahrerpult alle Knöpfe live on air getestet – inklusive der Ausschalttaste. Es waren lange zwei Minuten in denen auf SWF3 nichts, aber auch gar nichts zu hören war, bis er sich wieder melden konnte. Die Hörer fanden es lustig! „Dead air. Wollte mal den Hauptschalter ausprobieren… ich war wahrscheinlich immer sowas wie der Rudi Dutschke des Radios“, kommentiert er lächelnd den bewusst inszenierten Supergau und betrachtet sich selbst als das größte Experiment. „Ich mag mich immer wieder entwickeln, muss die Dinge weiter denken und die nächste Hürde nehmen. Nach der Praxis kommt die Weitergabe von Wissen an Kollegen. Nur durch gute Vorbilder lernt man überhaupt. Und wenn es schon so wenige Vorbilder gibt – dann muss ich es halt machen…“. Weil Radio für ihn nie genug sein kann und täglich neu erfunden werden muss. Am Ball bleiben und treffen. Auch ein Tor schießt sich nicht von allein. Es braucht das intelligente Dribbeln und den furchtlosen Stürmer auf dem Weg nach vorne. Wenn der blockiert ist, passiert gar nichts – außer Langweile. Das wäre in etwa so das Wort, mit dem man die Schwunglosigkeit der heutigen Rundfunklandschaft beschreiben könnte, zumindest da, wo hinterm Mikrofon nichts außerplanmäßiges mehr passiert. „Radio entwickelt sich in die Armseligkeit“ hat er jüngst in einem Interview gesagt und fordert die „Rückkehr zu den Radiowerten von vor 15 Jahren“, denn „die Zukunft des Radios liegt in seiner Vergangenheit“.

Kommunikation ist alles

Oft hat sich Patrick Lynen gefragt: Warum bin ich zum Radio gegangen? Warum nur zum Radio? Mittlerweile kennt er die Antwort. „Das Spannendste im Leben sind Menschen. Höhepunkte, Pausen, Durststrecken, Entäuschung, Freude. Und noch viel spannender ist Kommunikation.“ Dies gilt auch für seine beruflichen Aktivitäten. Ob er coacht, berät, trainiert, moderiert. Er möchte seinem Gegenüber mit Wertschätzung und Respekt begegnen. „Das geht natürlich nur schwer bei sogenannten ‚Gegenspielern’ im Job“, gibt er zu. „Aber selbst hier hab ich mir Gleichmut zur Aufgabe gemacht – ich hole sie ab und integriere sie. Mach deinen Frieden mit ihnen. Schenke ihnen nicht zuviel Kraft und Aufmerksamkeit. Das kostet nur Energie. Aus meinen Misserfolgen beim Radio und in den Medien habe ich das meiste gelernt. Meine ‚Feinde’ waren die wichtigste Lektion im bisherigen Leben.“

Kommunikation ist der Oberbegriff für Information, Verbindung und Verkehr aber auch für die Verständigung zwischen den Menschen. Die Medien sind das Transportmittel und die Schnittstelle, um Gedanken miteinander zu verbinden. Dem Radio kommt dabei eine besondere Brückenfunktion zu. Für Patrick Lynen ist Kommunikation mehr als nur reden, mehr als nur texten, mehr als nur Stimme und nicht nur der Austausch von Worten. „Fühlt sich der Hörer (Gesprächspartner) wohl? Fühlt er sich überfahren, bedrängt oder zu sehr auf Distanz gehalten? Wie sieht die zur Situation passende Haltung, Mimik oder Geste aus?“ Für ihn ist Kommunikation oder auch Moderation nicht nur eine Frage des Handwerks, sondern auch eine Frage der ‚Haltung’ und Einstellung. „Nicht selten kommt die Dimension der Selbstoffenbarung dazu. Wer nichts von sich preisgibt (Fakten, Beziehungsebene, Appelle), zwischen den Zeilen ‚sendet’, der wird als neutraler Funktionsträger (‚langweilig’) wahrgenommen. Echte Kommunikation oder Moderation – und damit dauerhafte (Hörer)bindung – muss deutlich mehr leisten.“

Nur wer Träume hat, der kann sie sich auch erfüllen

Patrick Lynen im Europapark„If there’s an elephant in the room – introduce him.“ Patrick Lynen zitiert einen Satz von Randolf Frederick Pausch. Ein Naturtalent und großartiger Kommunikator – vermutlich auch ein von Licht, Freundlichkeit und Leidenschaft bewohnter Mensch. Bis zur Sekunde seines Todes. Am 18. September 2007 hielt er an der Carnegie Mellon University seine letzte Vorlesung. Er hatte Krebs im Endstadium. „Dieser Mann hat einen Großteil meiner Lebens- und Arbeitseinstellung hervorragend auf den Punkt gebracht“, sagt Patrick und lässt uns teilhaben an dem, was er für sich als prägend aus dem Vortrag mitnehmen konnte.

Randy Pauschs letzte, fast 90-minütige Vorlesung, die er „Really achieving your childhood dreams“ („Deine Kindheitsträume wirklich wahr werden lassen“) genannt hatte, verwandelte er in eine mit zahlreichen Witzen über den Tod und die Computertechnik gespickte Show, dass das Publikum ständig lachen musste. Keine Betroffenheit, kein Selbstmitleid, keine Tränen. Ein TV-Reporter, der ihn fragte, ob er Weihnachten noch lebe, erhielt die Antwort: „Die Chancen stehen 50:50“. Auf die weitere Frage, ob er damit rechne, auch noch den Vatertag am 15. Juni 2008 mit seiner Familie verbringen zu können, meinte Randy Pausch nur trocken, dass man ihm dafür keine Geschenke mehr besorgen solle. Aber dann erzählte er, dass er sich selbst noch einen Apple Computer gekauft habe. Im weiteren Verlauf seiner Vorlesung zeigte der berühmte Professor Absageschreiben, die er auf frühere Bewerbungen erhalten hatte und schlussfolgerte: „Rückschläge erinnern dich daran, was du wirklich willst.“

Er fuhr fort und erzählte seinen gebannt lauschenden Zuhörern von Streit und Frust mit Mitmenschen, der dann doch irgendwann beendet war. Sein Fazit: „Sei geduldig mit anderen, irgendwann werden sie dich überraschen und beeindrucken.“ Misserfolge im Leben? „Erfahrung ist das, was du bekommst, wenn du nicht bekommen hast, was du wolltest.“ Wie er seine wichtigsten Erfindungen gemacht hat? „Mauern sind dazu da, Leute abzuhalten, die etwas nicht dringend genug wollen.“ Und er fügte sein generelles Lebensmotto hinzu: „Wenn du ein gutes Leben führst, werden deine Träume wahr werden.“ Alle Eltern forderte er auf: „Wenn eure Kinder ihre Zimmerwand anstreichen – lasst sie. Entspannt euch einfach.“ Das Video im Internet über seine Vorlesung, seit langer Zeit ein echter Hit bei „youtube“, wurde weit über zwei Millionen Mal angeschaut. Menschen auf der ganzen Welt vernetzten es mit ihrer Homepage.

Der Professor und seine Haltung haben bei Patrick Lynen einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Mit den Worten „Wenn da ein Elefant im Raum ist, stellen Sie ihn besser vor“ hat Randy Pausch seine „last lecture“ begonnen – und damit auch gleich eine Grundregel der Kommunikation beherzigt, die Patrick auf Radio bezogen so ausdrückt: „Lasse niemanden außen vor. Hol alle ins Boot. Sorge nicht für unnötige Fragezeichen bei deinen Hörern.“ Für ihn hat die eigene Lebensqualität sehr viel mit Kommunikation zu tun. Im Umgang mit anderen, aber auch in der inneren Kommunikation mit sich selbst.

Patrick und Stephan Kaiser beim belgischen Sender Radio Fantasy
Patrick und Stephan Kaiser beim belgischen Sender Radio Fantasy

Wieder Persönlichkeit zulassen

Wer ist dieser Detlef Wilhelm Patrick Lynen – ehemals Kultmoderator von SWF3? Ein immer noch (altkluger) jugendlicher Draufgänger? Ein Spinner? Jemand, der alles besser kann (und weiß)? Auf jeden Fall ein Mann mit Prinzipien, Ecken und Kanten – der seine Freiheit liebt, zu sich steht, sich treu bleibt, und auf der Suche nach sich selbst das Ziel nicht aus den Augen verliert. Der sich nicht verbiegen und in eine Schublade stecken lässt. Der das Glück hatte sich schon im Teeniealter hinterm Mikrofon ausleben zu können. Dem später noch jemand sagte: Mach mal! Und damit einen Vertrauensvorschuss gab, der vielen Nachwuchstalenten heute fehlt. „Du brauchst jemanden, der dich betreut, fördert und coacht, der Potentiale und Wege aufzeigt. Erst kleine Versprecher, Menschlichkeiten und Pannen machen dich glaubwürdig.“ Wer in Grenzsituationen kein solides Handwerk abrufbar hat, hält sich an ein paar Floskeln fest und wirkt sofort gestresst, wenn seine Spontanität gefordert wird. „Kanten definieren Marken. Wer alles schleift, der schwächt seine Marke.“ Genau da möchte Patrick ansetzen: Lasst wieder Persönlichkeit zu. Persönlichkeiten sind unterschiedliche Menschen, keine programmierbaren Sprachroboter. In den Moderatoren auch etwas Gutes sehen, die Stärken aufzeigen, damit sich im Radio nicht jeder einfallsarm und spannungslos anhört. „Wir sind alle deswegen wo wir heute sind, weil nicht immer jemand kam und sagte: So machen wir das nicht“, ereiferte sich Patrick in einem Radio-Interview. „Wenn du keine Fehler machen kannst, dann kommst du nicht über die Wolken, dann bleibst du immer drunter.“ Seine Erfolgsformel: „Bei Radio Luxemburg gab es eine Marke. Und dann haben sie flexible Individuen als dazu passende Submarken gesucht. Die sollten Menschen mögen. Und die Freiheiten wären definiert durch Leistung. Wer heute ein Programm machen würde mit Freiheiten für die Moderatoren, der könnte sich vor Bewerbungen nicht retten!“

Geile Zeit in Belgien

Groß geworden ist Patrick Lynen mit Sendern wie Veronica auf Hilversum 3, BBC Radio 1, SWF3 und Radio Luxemburg. Sein größtes Idol: Jochen Pützenbacher. Über seinen Traumberuf brauchte er nicht lange nachzudenken. Da brannte er förmlich rein, als er von einem unheilbaren Fieber angesteckt wurde, das ihn mit dem Satz: Komm vorbei, bring deine Platten mit… aufheizte und nicht mehr los ließ. Der Funke sprang über bei einem Schulfreund. Da lief so ein merkwürdiger Sender aus Belgien mit dem fantasievollen Namen Radio Herrmann (später Radio Aktivität). Patrick wurde hellhörig und so landete er alsbald bei dem „Sender aus der Dachkammer“. Die Piratensender jenseits der Grenze, die später legalisiert wurden – das war seine Talentschule. Bei den Hobbyfunkern unterm Speicher hat er seine erste „One Man Show“ auf Kassette produziert und wie er heute gesteht: „Ohne Verstand Radio gemacht.“ Einfach so – mit all seinen Höhen und Tiefen. Das dumpfe Vibrationsgeräusch vom Lüfter zur Kühlung des Senders dröhnte aus dem Hintergrund immer mit auf die Antenne und verpasste der Non-Stop-Musik auf den Vier-Stunden-Bändern eine ganz besondere Schwingung. „Das war schon geil!“ aber auch illegal. Deshalb trat Patrick unter verschiedenen Pseudonymen auf, zum Beispiel Tim Mix oder Peter Philipp. Seine zweite Station hieß Radio Benelux.

Mit Volldampf nach Luxemburg

RTO – Radio Telstar Offenburg-Team
RTO – Radio Telstar Offenburg-Team

Von den belgischen Sendern ging es nach Süddeutschland zu Radio Telstar Offenburg (RTO), einem der ersten privaten Hörfunksender in Baden-Württemberg. Der damalige Geschäftsführer Frank Leonhard erinnert sich: „Er fing bei mir gleich mit Sendestart an, das war am 15. August 1987, und zwar mit dem dritten seiner Vornamen. Er moderierte von 19.00 bis 21.00 Uhr die Sendung »Volldampf Radio«. Wir hatten ja täglich nur viereinhalb Stunden Sendezeit, im Wechsel mit Radio Ohr. Entsprechend dem Titel der Sendung stand Patrick tatsächlich unter Volldampf. Die Sendungen wurden meist in seinem Studio zu Hause aufgezeichnet und kamen per Kassette zu uns. Das System klappte einwandfrei. Bei mir startete seinerzeit fast die komplette Mannschaft von Radio Telstar International (RTI), nachdem man in Ostbelgien den Laden dicht machen musste. So ging es fast nahtlos weiter. Ich erinnere mich noch lebhaft an eine Live-Sendung mit Lynen hier in Offenburg, in der er eine absurde Meldung verlas, wo es um einen in der Kneipe in Brand geratenen Vorhang ging und er das Lachen während der kompletten Sendung nicht unterdrücken konnte.“

„Mein Studio war Marke Eigenbau für ein Invest von etwa 500 DM. Normaler Plattenspieler mit Fernstart“, kommentiert Patrick die Rückschau. „Die Zeit mit Frank war Klasse. Absolut Radioverrückte haben damals ihren Traum realisiert. Und das eben zum ersten Mal legal in Deutschland.“ Nach RTO – und damit bereits stattlichen sieben Jahren Radioerfahrung – bewarb er sich mit 21 Jahren bei Radio Luxemburg mit einer kecken Demokassette, auf der er sich knappe eineinhalb Minuten lang selbst vorstellte und erzählte, was er in seiner Radiozukunft machen wolle – nicht ohne den Hinweis: Wenn euch mein Stil gefällt, ruft mich doch einfach an! („Radio Luxemburg war schon auf dem Weg nach unten, da kam ich – in der Endphase des Erfolgs“). Unterhaltungschef Jochen Pützenbacher, der täglich mit einem Riesenberg von Kassetten und meistens nicht brauchbaren Bewerbungen konfrontiert wurde, traute seinen Ohren nicht: Was ist das denn? „Ich heiße Patrick Lynen und wenn Sie jemanden suchen, ich bin sowieso der Beste“ – Den rufst du aber mal an! Noch verrückter – sein Anrufbeantworter. Den lädst du jetzt ein! Und so beglückte der Newcomer mit der Sonne in der Stimme bald mittwochs abends das RTL-Radioland und wünschte samstags um 5.30 Uhr „Guten Morgen“. Und er war sich sicher: „Ich will Radio machen bis ans Ende meines Lebens. Ich bin auch zu nichts anderem geeignet.“ Inzwischen relativiert der 42-Jährige den Satz ein bisschen: „Ja, das möchte ich sicher auch noch mit 60 – immer mal wieder Radio machen – aber nur mit einer kleinen Sendung eventuell am Wochenende oder am Abend, einmal in der Woche.“

„Heute würde ich zum Casting geladen, müsste einen Wissenstest machen, dann zum Re-Casting“, sagt Patrick. „Damals hat ein (!) Mann entschieden. Jochen Pützenbacher. Aus der Intuition heraus. Nicht irgendein Casting-Beauftragter.“ Er hat großen Respekt vor dem „Meister“, der ihn nicht nur gefördert hat, sondern den er auch in jungen Jahren jeden Tag im Radio genießen durfte. Auf Radio Luxemburg gab es 1989 abends die Sendung »19/24« für junge Leute – gemacht von jungen Leuten. Patrick war mit im Team. „Das war eine Nischenzeit – die hat bei RTL keinen interessiert. Deshalb durften wir alles versuchen. Das ist auch wichtig für die Entwicklung. Heute darf das keiner mehr.“ Die Musik für das Abendprogramm konnten sie allein oder zusammen mit der Musikredaktion auswählen. „Da waren alle im Boot: Musikplanung und Moderation. So hatte ich einen Bezug zur gespielten Musik. Man kann mit modernen Musikplanungsprogrammen auch individuell von Mods gewünschte Songs strategisch einplanen – es ist nur eine Frage des Willens.“

Vom Trendsetter zur Fantasielosigkeit

Frank Plasberg AutogrammkarteBei RTL Radio Luxemburg blieb Patrick Lynen bis Ende 1990. Dann bewarb er sich bei Programmchef Peter Stockinger in Baden-Baden. „Weil da Persönlichkeiten wie Elmar Hörig, Frank Laufenberg, Frank Plasberg & Co. sendeten. SWF 3 war so eine Art frühes Privatradio und damals Trendsetter. In Wort und Musik. Das Erfolgsgeheimnis lag in einer Mischung aus Format und Personality.“ Hier konnte er sich zunächst nachts weiter erproben und seine Grenzen ausloten („Ich hab bis heute immer noch die Hosen voll nach dem Urlaub oder wenn ich länger nicht on air war.“) Parallel dazu saß er – in der Woche, wo er nicht in Baden-Baden war – noch in seiner alten Heimat beim NRW-Lokalsender „Antenne AC“ als Peter Philipp hinterm Mikro und lernte verschiedene Programmphilosophien kennen.

„Damals war mir noch nicht im Ansatz klar, welchen Weg das Radio nehmen würde“, sagt Patrick im Hinblick auf die einsetzende Amerikanisierung des deutschen Rundfunks, die alles aus dem Ruder laufen ließ und teilweise nur noch dem Kommerz geschult ist. Renditeorientiertes Radio – zur Fantasielosigkeit verdammt. Dinge, die ihn zutiefst erschrecken. „Weil in einer Demokratie ‚Gleichschaltung’ von Radio niemals sein darf, weil man sich reiben können muss an dem gesagten Wort. Vielleicht erlebt das Radio ja einen ähnlichen Kollaps wie das Bankensystem. Wenn die Gier überhand nimmt, dann muss es nach der Theorie von vielen Wirtschaftswissenschaftlern dazu kommen. Und danach kann aus den Trümmern hoffentlich etwas Neues und Besseres entstehen.“

Bei SWR3 blieb er bis drei Monate nach der Fusion, moderierte anschließend zwei Jahre bei hr3. Immer, wenn Veränderungen einsetzten, die seinem Freiheitsideal widersprachen, suchte Patrick Lynen nach neuen Herausforderungen. Klare Ansagen – heißt seine Devise. Keine unnötigen Kompromisse, keine falschen und verlogenen Allianzen. „Ich stehe für eine (hoffentlich) hochqualitative Art von Radio. Und lasse mir nicht einreden, dass das ja alles auch ein wenig wärmer, freundlicher, kuscheliger, anbiedernder und schleimiger geht. Freund ist Freund. Feind ist Feind. Jeder weiß wo er steht.“ Wegen seiner direkten Art eckt er manchmal an und seine standhafte Ehrlichkeit ist auch nicht jedermanns Sache. Er braucht Visionen, um besser als der Durchschnitt zu sein und sagt offen was nicht mehr stimmt am System. Spannungsgeladen findet er die Mail eines Kollegen, der als Unterhalter in einer Eisdisco dreimal so viel verdient, wie für dieselbe Zeit als Moderator bei einem Regionalsender und zu dem Schluss kommt: Heutzutage ist man als blöder Dorf-DJ populärer wie als Radiomoderator.

Radio mit Leib und Seele

2000 machte sich Patrick mit Lynen Media selbständig. Seitdem arbeitet er als Dozent, Trainer, Berater und Coach für private und öffentlich-rechtliche Medienunternehmen. Unter anderem berät er 100’5 Das Hitradio – den erfolgreichsten Sender in der Aachener Region, auch eine slowenische Radiostation gehört zu seinen zahlreichen Kunden. ER ist das Produkt, das sich selbst vermarktet. Sein wichtigstes Ziel: die sendereigene Identität durch ein geschärftes Moderatorenprofil stärken. Zum Quer- und Umdenken ermutigen. Die innerbetriebliche Kommunikation verbessern. „Ich bringe oft Licht ins Dunkel. Kann teils was retten und den Leuten die unsinnigen Dogmen in ihrem Kopf nehmen. Die haben Chefs oft (bewusst oder unbewusst) da reingepflanzt. Und manchmal öffnen Seminare oder Coachings eine ganz neue Welt. Ich habe da regelmäßig grandiose Erfolgserlebnisse.“

Patrick Lynen bei "Rock am Ring"
Patrick Lynen bei „Rock am Ring“

An Konferenzen teilnehmen, „on the job“ schulen, Radio leben mit Leib und Seele, wichtige Impulse geben, außergewöhnliche Ideen entwickeln, dem Radiosender höhere Imagewerte, Marktanteile und Verweildauer verschaffen, Ziele erarbeiten und konsequent verfolgen. Research ersetzt nicht eigene Ideen und ein Gespür für Trends. Ohne Mut zum Risiko sind Erfolge nur von kurzer Dauer. Das ist knapp ausgedrückt die Firmenphilosophie von Lynen Media. Auf Seminaren steht Patrick für die „Freiheit der Lehre“. Seine Kurse sind seit Jahren ausgebucht. Auch als Autor ist er erfolgreich. „Das wunderbare Radiobuch“, in dem er seine langjährigen Erfahrungen am Mikrofon weiter gibt, ist bereits in der zweiten Auflage erschienen. Eine dritte hat er schon im Kopf.

Die Nacht ist zum Reden da

Von März bis Ende Mai 2007 zog es Patrick wieder zurück ans Mikrofon. Er moderierte ab Mitternacht bis zwei Uhr den Night Talk »NEONOX« und plauderte live mit Nachtschwärmern aus ganz Deutschland. Jeder konnte anrufen, seine Geschichte erzählen, eine Meinung haben oder mit anderen diskutieren. Die Sendung lief unter anderem bei Energy Sachsen, MAIN FM, Radio Galaxy, Die neue Welle, Gong FM und Fantasy 93.4. Durch die Partnerschaft mit TRAUMPARTNER TV war »NEONOX« sogar visuell erlebbar. Die Resonanz war erstaunlich gut. „Da kann man auch mal ein Gespräch führen, das länger als zweieinhalb Minuten dauert. Menschen öffnen ihr Herz und ihre Seele. In welchem Radioumfeld ist das so überhaupt noch möglich?“ Doch das Konzept mit dem „Talk als Trendthema der nächsten Jahre“ ging nicht auf. Das bereits Mitte 2006 gestartete Format wurde eingestellt. „Das hatte viele Gründe“, erklärt Patrick die Umstände. „Vor allem haben es nicht genug Radiosender übernommen. Wir hatten am Ende nur elf Stationen. In der Nacht zu wenig.“

Was wäre, wenn…

Patrick Lynen eine neue Station ganz allein auf den Sender bringen könnte… „Ich hätte das komplette Team schon beisammen. Alte Weggefährten und Radioverrückte. Alle exzellente Handwerker. Es würde ein Personality-Radio mit Musikauswahl durch die Moderatoren. Nur das sorgt für maximale Identifikation mit der Sendung. Die müssten sie fünf Tage vorher einreichen, damit es geplant und abgestimmt werden kann. Wir wären gnadenlos kantig, ironisch und böse. Denn da ist die wahre Nische. Ein ‘Un-Radio’ mit Anspruch auf Erfolg.“

Fernsehen, nein danke!

Die Stimme von Patrick Lynen kennt man auch aus vielen Trailern, die bei VIVA, RTL, RTL2, Super RTL, VOX und SAT.1 gelaufen sind. Jahrelang hat er für die »Harald Schmidt Show« jeden Abend den Opener gesprochen. Bei »PISA – der Ländertest« oder der »Maus-Show in der ARD« (beide mit Jörg Pilawa) macht er das auch heute noch. Aber Fernsehen ist ansonsten nicht sein Ding. „Es gab Gelegenheiten für das Fernsehen, ich hätte mich da sicher rein gearbeitet, und sicher gibt es im Fernsehen Leute, die schlechter aussehen und dennoch Erfolg haben, aber irgendwie hat mich das nie gereizt. Die Kohle wäre ein Argument gewesen, allerdings ist TV definitiv mit der Aufgabe von Privatsphäre verbunden. Ich könnte ganz schlecht damit umgehen, dass mich (zu viele) Leute auf der Straße erkennen, im Café beobachten. Andere Kollegen – wie beispielsweise mein guter Freund Thorsten Schorn (RTL stern tv, WDR Zimmer frei) genießen das in gewisser Weise. Dann ist das völlig ok. Mir würde es zu viel Energie rauben. Ich bin ein hörender Mensch. Viele Dinge werte ich tatsächlich über den Sinn des Hörens aus.“

Stillstand ist der Tod

04 07reviveltreffen„Eine Personality hat eine eigene Duftmarke“ hat Patrick Lynen vor Jahren in einem Interview gesagt. „Im TV heißen solche Leute Hape Kerkeling.“ Er führt als Beispiel auch gerne Herbert Grönemeyer an: keine tolle Stimme, aber auf jedem Album ein grandioser Song. Gab es mal eine Situation, wo ihm als Moderator oder im Job nichts mehr eingefallen ist? „Ja, aber dann habe ich was an der Situation geändert.“ Die Relevanz von Radio definiert sich seiner Meinung nach künftig nur noch über die tragenden Persönlichkeiten. Davon ist er fest überzeugt. „Internet hat sie nicht, individualisierte Musikabspiel-Tools haben sie auch nicht. Wenn das Radio nicht jegliche mediale Relevanz verlieren möchte, dann muss es auf Persönlichkeiten als Leuchttürme, gute Musik und/oder Talk setzen. Persönlichkeiten sind Ankerpunkte in einer unübersichtlicher werdenden, zerfaserten (Medien-)welt. Das Radio zahlt sie derzeit schlecht, verprellt sie, hat nicht genug Mut sie zu beschäftigen und ihre Kanten zu tolerieren.“

Der Virus ist noch da

„Moderation ist meine absolute Leidenschaft. Nichts macht mir im Leben mehr Spaß als das“, stellt Patrick Lynen fest. „Aber eben nur in einem gewissen Freiraum.“ Bei der Morgensendung hr1-START hat er die gesuchte Nische gefunden. „Man darf Interviews machen (auch mal vier Minuten lang), mal frech sein, die Musik ist okay.“ „Was er jetzt auf hr1 mit seiner Partnerin Marion Kuchenny macht, ist erste Klasse“, schwärmt ein Hörer. „Hochjournalistisches Morgenradio. Top-professionell und doch herrlich moderativer Geschlechterkampf.“ Patrick kontert: „Ist es nicht“ und stellt klar: „Wir ärgern uns gegenseitig. Und das ist echt.“ Früher war er eine Ein-Mann-Show, mittlerweile findet er sich allein langweilig. „Weil ich mit meiner Kollegin ganz gut kann. Und das ist ein Plus für die Sendung. Über die Jahre wird man dann eher Teamplayer.“

Patrick Lynen (Bild: hr1)
Patrick Lynen (Bild: hr1)

„Im Zweifel – machen!“, sagt Patrick noch, verschwindet durch die Tür und nimmt mal eben flott ein Interview auf. Stillsitzen ist dann doch nicht seine Stärke. „Jeder hat eine Taktung im Leben. Mach nicht den Fehler und versuche gegen sie zu leben…“.

Bildnachweise (von oben):

Patrick im SWF3 Studio; Patrick im Europapark mit SWF3 Elch T-Shirt; Patrick und Stephan Kaiser beim belgischen Sender Radio Fantasy; Die Moderatoren der ersten Stunde bei Radio Telstar Offenburg (RTO) – von links: Patrick Schneider, Regine Kexel, Patrick Lynen, Stephan Kaiser, Heribert Bender, Friedhelm Lynen von Berg; Autogrammkarte Frank Plasberg (SWF3); Patrick moderiert Rock am Ring (1991, SWF3); Hier unter den Dachbalken – auf Baraque Michel im Hohen Venn in Ostbelgien – hat Patrick (links im Bild) mit Radio Benelux Piratenradio gemacht. Kürzlich war Revivaltreffen mit den ehemaligen Machern. Vor ihm seine beiden Kinder, rechts außen Helmut Slawik – der Ex-Macher von Radio Benelux und Radio Fantasy. Von dort sendet immer mal wieder ihr Spaß-Piratenprojekt „Real FM“; Patrick Lynen und Marion Kuchenny im Studio von hr1.

Autorin: Von Anita Pospieschil (RADIO JOURNAL)

Link:
www.lynen.de

XPLR: MEDIA Radio-Report