Lizenz von Richters Gnaden

bitter lemmer kleinEs ist ein böser Trend, den die Justiz sich gegenüber den Medien angewöhnt hat und der seit Jahren in eine immer klarer erkennbare Richtung zeigt, nämlich die Aushöhlung der Medien- und Meinungsfreiheit und des Zensurverbots. Politik und Parlamente haben den Takt vorgegeben und Grundlagen für die Selbstentmachtung geschaffen, die die Justiz immer dankbarer aufnimmt. Im wesentlichen betrifft das die inzwischen heillos überzogenen Regeln zum Persönlichkeitsschutz, zum Datenschutz und den Medienstaatsvertrag.

Jetzt hat das Verwaltungsgericht Berlin sich als Ober-Lizenzbehörde aufgespielt und zwingt die Medienanstalt MABB, die befristete Lizenz für Radio Paradiso zu verlängern. Das ist ein grober Eingriff in die Autonomie der Medienanstalt. Dabei hatte die sehr transparent begründet, warum sie keine neue Lizenz an Radio Paradiso vergeben möchte. Das Radio, das sich kirchlich nennt, aber lupenreines Billig-Soft-AC sendet, hatte ein wert- und worthaltiges Programm beantragt und dafür die Sendeerlaubnis auf einer starken Frequenz erhalten. Nach sieben Jahren konnte jeder, der das Programm hörte, sich sicher sein, dass sich die kirchlichen Betreiber eine verlogene Parallelwelt geschaffen hatten. Die Papierform hatte nichts mit dem zu tun, was auf der Paradiso-Welle zu hören war. Das Programm war nichts anderes als eine billig produzierte Werbeplattform.

Diesen Widerspruch zu erkennen und daraus die Konsequenz zu ziehen, war logisch und einsichtig. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist dagegen ein Skandal – ganz gleich, wie die Begründung lautet, die bisher nicht vorliegt. Das Gericht hat damit eine unerträgliche Form von Bestandsschutz geschaffen, die im Grunde nichts anderes ist als eine Ewigkeitsgarantie. So etwas mag dem Herrgott zukommen, aber sicher nicht den Berliner Verwaltungsrichtern. Sie fügt sich außerdem in die unsägliche Praxis vor allem der Pressekammern in Hamburg und Berlin, die über die letzten Jahre ein Zensursystem für Unternehmen und Privatleute aufgebaut haben. Was mit dem Caroline-Urteil begann, ist heute in den Redaktion zur Routine geworden. Spezialisierte Anwälte haben es sich angewöhnt, Unterlassungsverfügungen schon vor der Veröffentlichung zu verschicken und damit Berichterstattung im Vorhinein zu verhindern. Die einschlägigen Gerichte, die sich den „fliegenden Gerichtsstand“ erfunden haben, winken Zensurbegehren fast schon routinemäßig durch.

Man könnte fast schadenfroh sein, dass es jetzt auch eine Medienanstalt erwischt hat. Tatsächlich ist hier aber ein weiterer Damm gebrochen, der die Medienfreiheit weiter einschränken könnte, was die Schadenfreude dämpft. Die Medienanstalten sind ja selber das Resultat einer komplizierten und ziemlich verqueren Definition von Medienfreiheit. Ihr Status ähnelt dem der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Sie werden aus GEZ-Gebühren finanziert und sind aus Sicht der politisch-rechtlichen Parallelwelt staatsferne Gebilde. Diese Konstruktion soll sicherstellen, dass eben keine staatliche Stelle entscheidet, wer in Deutschland senden darf, sondern eine staatsferne Stelle, deren Entscheidungsspielraum ähnlich definiert ist wie die Entscheidungsfreiheit einer Redaktion über ihre Inhalte.

Wenn der Spruch des Berliner Verwaltungsgerichts Bestand hat, dürfte sich der Status der Medienanstalten erledigt haben. Sie werden dann nur noch pro forma Lizenzverfahren führen können. Den faktischen Lizenzantrag werden anschließend die Anwälte der Besitzstandswahrer vor Gericht einbringen. Die Gerichte werden in Zukunft als letzte Instanz über die Zuteilung von Frequenzen entscheiden. Nachvollziehbarkeit und Transparenz haben sich damit auch erledigt. Denn bekanntlich hilft auf hoher See und vor Gericht nur der liebe Gott.

Die MABB will die Sache offenbar nicht auf sich beruhen lassen. Nach Eingang der Begründung will der Medienrat über seine Reaktion entscheiden. „Dazu gehört auch die Frage der Einlegung von Rechtsmitteln“, heißt es in einer Stellungnahme der Anstalt. Vielleicht hilft beten ja doch noch.

Lemmer
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de