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Bruce Springsteen – Born to run: Eine Liebeserklärung an das Radio

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Was hat Bruce Springsteen mit Radio zu tun? Eigentlich lief bei ihm zuhause doch immer die Glotze? Aber nein, Radio spielte in seinem Leben sogar eine große Rolle, wie seine nun erschienene Autobiografie zeigt.

In einer Autobiografie geht es nicht um Autos, obwohl man dies bei Bruce Springsteen durchaus erwarten würde: Seine Songs handeln sehr oft von Autos. Von Menschen, die im Auto auf der Flucht sind, vor ihrer Vergangenheit, ihren Träumen, ihren Ängsten, vor sich selbst. Natürlich ist er auf dem Buchcover auch mit einem Auto zu sehen.

Dass er es anfangs mit den Autos gar nicht so hatte, erbärmlich fuhr und auch gar keinen Führerschein besaß, hätte man weniger erwartet. Auch davon erzählt sein Buch „Born to run“, in dem er erstmals selbst über sein Leben schreibt, benannt nach Springsteens wohl bekanntestem Titel.

Der erste Teil des Buchs erinnert noch an die vor drei Jahren erschienene, bereits sehr lesenswerte Biografie von Peter Ames Carlin. Sie war das erste Buch über Bruce Springsteen, das von ihm auch autorisiert worden war – und dies, obwohl er darin gar nicht so gut weg kam und offen geschildert wurde, dass er zu den Menschen in seinem Umfeld, ob seine Bandkollegen oder seine erste Frau, nicht immer fair war. Auch, wie schwierig der lange Weg zum Erfolg war und welch Rückschläge er eigentlich in einer seiner kreativsten Phasen hatte, weil er die Rechte an seinen eigenen Songs und mit diesen auftreten zu dürfen wegen eines Rechtsstreits einige Jahre nicht mehr hatte und manche seiner größten Hits deshalb zunächst nicht durch ihn selbst, sondern Coverversionen bekannt wurden.

Dass es für ihn und seine Familie sehr schwierig war, mit seinem Vater und dessen Stimmungen auszukommen und dass eine besondere „Freiheit“ seiner Kindheit und Schulzeit darin bestand, bis tief in die Nacht fernsehen zu können (und dann in der Schule übermüdet einzuschlafen), weil sich niemand darum kümmerte, wurde damals auch bekannt. Eine normale Karriere wird so sicher nicht begründet. Für einen Rockmusiker, der Geschichten aus dem wahren Leben der Arbeiterklasse erzählt, sah es dann mit viel Fleiß und Glück anders aus. Tatsächlich löste ein Auftritt von Elvis im Fernsehen das Interesse von Bruce aus, Rockmusiker zu werden.

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In der aktuellen, von ihm selbst verfassten Biografie geht es jedoch noch wesentlich weiter. Wie seine Konzerte hat auch dieses Buch mit über 670 Seiten Überlänge, er schrieb seit 2009 daran. Hier spricht Bruce darüber, dass er auch einige der Probleme seines Vaters geerbt hat und mitunter sehr unter seinen Stimmungen litt und leidet. Aber auch über viele sehr schöne Erinnerungen. Und von diesen betreffen etliche das Radio:0499b7b54d0b4a18ad71466184b1cd4f

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Steve [van Zandt] und ich haben uns oft darüber ausgetauscht, dass wir wirklich genau zum richtigen Zeitpunkt zur Welt gekommen waren. in den Sechzigern, als Rock und das Radio ihr goldenes Zeitalter erlebten, waren wir Teenager gewesen […], vereint in der Ekstase und den Verwirrungen ihrer Zeit und zugleich geeint durch die Stimme ihres jeweiligen Jüngers, ihres örtlichen Rock-DJs.
S. 568, „Rock’n Roll Hall of Fame“

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Als es passierte, stand ich gerade an einer Straßenkreuzung in Connecticut […]. An der Ampel hielt ein Auto, und aus den Radioboxen dröhnte „Spirit in the Night“. Das erste mal, dass du deinen Song im Radio hörst – der größte Rock’n Roll-Traum überhaupt! -, vergisst du nie.
Plötzlich war ich Teil jenes geheimnisvollen Zugs der Popmusik, der mich schon damals, als ich im Auto meines Großvaters an den „Knöpfen“ des Funkturms vorbeirollte und einlullende Doo-Wop-Klänge meine schläfrigen Augen liebkosten, in seinen Bann gezogen und nie wieder losgelassen hatte. Das Radio hatte mich in meinen Teenagerjahren am Leben erhalten und mir die Luft zum Atmen geschenkt.
Für meine Generation hörte sich Musik am besten an, wenn sie aus einer dieser winzigen blechernen Radioboxen kam. Später, im Studio, stand auch immer ein kleiner Radiolautsprecher auf dem Mischpult, und wir segneten einen Mix erst ab, wenn der Song auch auf diesem Lautsprecher ordentlich Druck hatte. Musik aus dem Radio ist wie ein gemeinschaftlicher Fiebertraum, [….].
Läuft im Radio großartige Musik, ist das wie ein natürlicher subversiver Akt gegen die kontrollierten Nachrichten, die täglich von den Machthabern, den Werbefirmen, den Mainstream-Medien, den Nachrichtenagenturen und den Wächtern des Status quo mit ihrer Geist, Seele und Lebenslust abstumpfenden Agenda über den Äther geschickt werden.
In den Sechzigerjahren stammte die erste von mir als aufrichtig und ungefiltert empfundene Beschreibung meiner Welt von Leuten wie Bob Dylan, The Kingsmen, James Brown und Curtis Mayfield. „Like a Rolling Stone“ überzeugte mich davon, dass eine wahrhafte, ungeschminkte und kompromisslose Sicht der Dinge über das Radio Millionen von Menschen erreichen konnte, […].
Als ich dort an der Ecke stand und „Spirit in the Night“ aus dem Autoradio eines Fremden hörte, fühlte ich mich endlich glücklich. […] Auch jetzt noch, dreiundvierzig Jahre später, jagt mir der gleiche wonnige Schauder über den Rücken, wenn die Radiowellen zum ersten Mal ein neues Stück von mir in die Welt hinaustragen.
S. 252, „I heard It on the Radio“

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In den Fünfzigern, Sechzigern und Siebzigern war der Radio-DJ noch immer ein rätselhaftes, kaum greifbares Wesen. Wenn die Stadt sich schlafen legte, saß er allein im Studio, umgeben von unzähligen Regalen randvoll mit der großartigsten Musik, die du je zu hören bekamst. der DJ war ein wahrer Freund; […].
„Hound Dog“, „I Want to Hold Your hand“, „Like a Rolling Stone“ – sie alle kamen über das AM-Radio zu mir und ermutigten mich, die Mauern meines Heimatstädchens einzureißen und meinen Traum leben zu wollen. […].
S. 268, A DJ saved my Life

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Damals […] gab es für mich zwei einschneidende Radio-Erlebnisse. […]. Der erste Sender, bei dem wir aufschlugen, wollte uns nicht einmal ins Gebäude lassen. Beim zweiten kamen wir rein und trafen sogar den DJ. Der legte „Blinded“ auf und gab dem Song genau zwölf Sekunden, bevor er genug hatte. […] und zzzzzrrrrriiiippp, kratzte die Nadel alles kaputt, was ich geschaffen hatte und woran mein Herz hing. […]. Danach wußte ich, dass ich nicht für die Top 40 gemacht war.
S. 268, A DJ saved my Life

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Mein zweites radiobezogenes Aha-Erlebnis ereignete sich bei einem schlecht besuchten Gig […], wo ein gewisser David Dye auftauchte, seines Zeichens DJ bei WMMR […]. Er sah zu, wie wir vor dreißig Konzertbesuchern spielten, kam nach dem Gig zu uns und sagte: „Hey Mann, ihr gefallt mir“. Als wir in dieser Nacht in unserem Tournus die Stadt verließen, hörten wir im Radio, wie Greetings from Asbury Park für die schlaflosen Musikliebhaber der Gegend gespielt wurde.
S. 268, 269 A DJ saved my Life

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In der Zeit vor den Achzigern und vor dem Pay-to-play-System waren diese Leute Promoprofis, die ihr eigenes Ding durchzogen und damit nicht nur die Industrie ausbremsten, sondern mir auch ein paar Hits schenkten, die ich andernfalls womöglich nicht gehabt hätte. Dann kamen die computergesteuerte Programmerstellung und die landesweit vereinheitlichten Playlists, und die Radiolandschaft veränderte sich für immer. Aber damals, als wir „fast berühmt“ waren, ließen uns diese Männer und Frauen viel Liebe und wertvolle Unterstützung zukommen und boten uns und unserer Musik eine dringend benötigte Bleibe.
S. 269, A DJ saved my Life

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Und auch ich hörte Bruce zuerst im Radio. Der AFN spielte erstmals Born to Run, ein Stück, das sofort auffiel und bei dem ich mich wunderte, wieso es zuvor nie gelaufen war und von wem es wohl war.

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Ein ähnliches Aha-Erlebnis gab es dann viele Jahre später. Ich wollte Bruce’s neuestes Album erwerben. Fand es aber im Plattenladen nicht und fragte danach. Antwort:

Da hinten, bei den Top 20

Und zwar auf Platz 1.

Na da hätte ich Bruce nie gesucht! Und er sich selbst auch nicht…

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Ganz klar: ohne Radio wäre aus Bruce nie Der Boss geworden. Und dieses Buch beantwortet viele Fragen, die ich ihm schon 1984 zur „Born in the U.S.A.“-Tour stellen wollte, die er damals aber wohl noch nicht beantwortet hätte. Außer in seiner Musik. Die sprach immer schon davon.

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Bruce Springsteen: Born to Run

Die Autobiografie

Erscheinungsdatum: 27. September 2016
672 Seiten Hardcover mit Farbteil
27,99 EUR (D)
ISBN 978-3-453-20131-6
Heyne, München 2016
Erhältlich auch bei amazon.de (Bezahlter Link)

 

(Teaserbild: ©brucespringsteen.net)

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