NRW droht VIVA mit Sendeschluß

Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen droht Viva mit Lizenzentzug, sollte der Sender Köln verlassen und nach Berlin umziehen. Das berichten Spiegel online und die Nachrichtenagentur Reuters.

Die Drohung hatte die für Medien zuständige Staatssekretärin Miriam Meckel ausgesprochen – und nach Ansicht unseres Kolumnisten Bitterlemmer damit ein Tabu gebrochen:

Erstmals habe ein Politiker öffentlich klargestellt, wie Medien- und Lizenzpolitik tatsächlich funktioniert.

Hier Bitterlemmers offener Brief an die Staatssekretärin:

bitterlemmer spSehr geehrte Frau Staatssekretärin Professor Dr. Miriam Meckel,

ich habe mich sehr über Ihre Stellungnahmen im Spiegel und bei Spiegel online gefreut, in denen Sie dem Fernsehsender Viva und seinen Gesellschaftern aus standortpolitischen Gründen mit Sanktionen bis hin zum Lizenzentzug drohen. Sie haben mit Ihren Äußerungen endlich das verschwiegene Treiben um die Erteilung von Lizenzen beendet, das viele zwar schon immer erahnt haben, das wir aber bislang niemals in zitabler Weise dokumentieren konnten.

Jetzt können wir – dafür gebührt Ihnen Dank.

Zum ersten Mal lesen wir in zitatfähiger Form von „informellen Absprachen“, die es da gegeben haben soll – nein: gegeben hat, wie Sie ausdrücklich mitteilen. Endlich erfahren wir ganz offiziell, daß Sie, die Regierung des Landes NRW, mit Rundfunkgesellschaften herumkungeln. Daß Sie „informell“ Deals abschließen, wobei „informell“ mit Vertraulichkeit (also Aussperrung der zahlenden Öffentlichkeit) zu übersetzen ist.

Ihre Äußerung ist in keiner Weise skandalös. Sie ist vielmehr höchst begrüßenswert, weil sie einen seit Jahren andauernden Skandal offenlegt. Bisher hatten Sie und Ihresgleichen die Omerta immer streng respektiert, so daß es bei der unbeweisbaren Vermutung bleiben mußte. Aber jetzt haben wir dank Ihrer klaren Worte Gewißheit.

Aus Ihren Äußerungen folgt, daß nunmehr gleich eine Reihe grundsätzlicher Klarstellungen getroffen sind und wir nunmehr unter Berufung auf Sie, Frau Staatssekretärin, folgendes feststellen können:

Sendelizenzen, jedenfalls in NRW, werden nicht nach nachvollziehbaren und meßbaren Kriterien vergeben, sondern nach politischem Wohlverhalten. Das haben Sie, liebe Frau Professor Meckel, dadurch belegt, daß Sie den Gesellschaftern von Viva mit Überprüfung der „bestehenden Lizenzierungsbedingungen“ gedroht haben, falls diese Köln den Rücken kehren sollten. Hier sollen die Lizenzbestimmungen also konkret mit der Standortpolitik verknüpft werden.

Nicht die Medienbehörde entscheidet, wer senden darf und wer nicht, sondern die Landesregierung. Das ergibt sich schon aus dem Umstand, daß Sie es waren, die den Viva-Gesellschaftern droht und nicht der Herr Präsident Ihrer Medienanstalt. Hier ist Ihnen wohl dankenswerter Weise das Temperament durchgegangen, so daß Sie gar nicht erst den umständlichen Weg gegangen sind, dem Herrn Präsidenten die öffentliche Drohung aufzutragen. Die Richtigkeit dieser These ergibt sich auch aus der Verknüpfung mit Ihren standortpolitischen Zielen. Sie bestätigen damit übrigens in aller Öffentlichkeit, was ich selbst in den 90er Jahren einmal persönlich, aber leider auch nur „informell“ erfahren hatte. Ein Beteiligungsmanager eines großen Medienbetriebes in Ihrem Bundesland hatte mir damals erklärt, der Herr Ministerpräsident habe einer Gruppe von Verlegern verbindlich versprochen, niemand anders als die heutigen Radiogesellschafter dürfe in NRW Radiosender betreiben, man werde einfach niemanden von außen hereinlassen. Man sieht: „Informelle“ Absprachen zählen mehr als Gesetze.

Die Regierung steht über dem Gesetz. Plant sie etwas gesetzwidriges, dann ändert sie das Gesetz und verhält sich somit wieder gesetzestreu. Hier danke ich nicht nur Ihnen, sondern auch der Nachfrage des Spiegel-Redakteurs, der Sie interviewte. Ihnen gebührt der Dank für die offene Ankündigung, eine eventuelle Widerspenstigkeit des Viva-Gesellschafters Viacom notfalls durch Gesetzesänderung zu ahnden. Das mag zwar eine etwas freihändige Auslegung des Rechtsstaatsbegriffs sein, soll aber hier und da schon vorgekommen sein. Auch hier scheint Ihr Temperament für Ehrlichkeit gesorgt zu haben, ansonsten hätten Sie sich eines der Herren oder Damen Parlamentarier zur Verkündung dieser Absicht bedienen können, denn nach unserer Verfassung beschließt nicht die Regierung die Gesetze, sondern das Parlament. Kompliment, daß Sie auf die Fassade verzichtet haben.

„Öffentlich-rechtlich“ ist ein Synonym für staatlich. Die GEZ-Gebühr ist in Wahrheit eine zweckgebundene Steuer. Auch Ihre Medienbehörde, liebe Frau Staatssekretärin, ist offiziell als „öffentlich-rechtlich“ klassifiziert, und sie wird nicht aus dem Landeshaushalt finanziert, sondern aus den GEZ-Gebühren. Dennoch ist sie – wie wir jetzt aus Ihrem Munde erfahren – ein Erfüllungsgehilfe Ihrer politischen Zielsetzungen. Wäre das öffentlich-rechtliche System tatsächlich staatsfern, wie offiziell immer behauptet, wäre das unmöglich. Es wäre wünschenswert, wenn Ihre Äußerungen zum Anlaß für eine grundlegende Überprüfung auch des ARD/ZDF-Systems würden, wobei allerdings zu befürchten steht, daß die Paten des Systems – nicht zuletzt in den Parteien – daran kein Interesse haben und alles unternehmen werden, eine solche Diskussion schnellstens auszutreten – sollte sie denn überhaupt beginnen.

Ich möchte Ihnen also noch einmal ausdrücklich für Ihre offenen Worte danken und Sie ermuntern, auf diesem Wege weiterzugehen. Sie leisten damit einen großartigen Beitrag für eine offene und ehrliche Diskussion und schaffen Transparenz, wo bisher eher Bodennebel die Sicht versperrte.

Herzlichst Ihr

Bitterlemmer

Lemmer
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de