Willi Steul: „UKW als Werbefläche für DAB+“

Foto: Deutschlandradio / Montage RADIOSZENE

Von Oskar Vitlif

Immer mehr Deutsche hören täglich Radio über DAB+. Das ist ein Ergebnis des diesjährigen Digitalisierungsberichts der Medienanstalten, der heute am 5. September 2016 vorgestellt wurde. Der Bericht zeigt anhand von über 8000 bundesweiten Interviews unter anderem, auf welche Weise Haushalte Radio empfangen. Demnach erreicht Digitalradio DAB+ eine Tagesreichweite von 35%, während 74% der Befragten Radio per UKW empfangen. Überdurchschnittlich oft nutzen 14- bis 29-Jährige DAB+ und Internetradio als meistverwendete Empfangsart für Radioprogramme.

Anlässlich der Veröffentlichung des Digitalisierungsberichts in Rahmen der IFA in Berlin spricht RADIOSZENE-Redakteur Oskar Vitlif mit Deutschlandradio-Intendant Dr. Willi Steul über die Entwicklung des Digitalradios in Deutschland.

 

RADIOSZENE: Herr Steul, wie steht es um das Digitalradio in Deutschland?

Deutschlandradio-Intendant Dr. Willi Steul (Bild: ©DLR/Bettina Fürst-Fastré)
Deutschlandradio-Intendant Dr. Willi Steul (Bild: ©DLR/Bettina Fürst-Fastré)

Willi Steul: Wir können hier auf der IFA in Zusammenarbeit mit der ARD, Deutschlandradio, einer Reihe von Privatsendern und den Landesmedienanstalten zum ersten Mal eine valide Untersuchung präsentieren, wie gehört wird. Da ist ein, auch für mich, erstaunliches Ergebnis: 74 Prozent der Hörerreichweite erzielt man natürlich über UKW, aber bereits 35 Prozent über DAB+ und nur 31 Prozent über Internetradio.

In der Diskussion wird ja immer wieder gerne erklärt, gerade auch ist das die Position in Nordrhein-Westfalen, DAB+ sei keine Technologie, die in die Zukunft führe, die Zukunft sei das Internetradio. Wir sehen aber: In dem Moment, wo Menschen über DAB+ hören können und auch über IP-Radio oder UKW, entscheiden Sie sich zu einem zunehmend hohen Anteil für DAB+.
DAB+ ist, was die Öffentlich-Rechtlichen angeht, bereits mit der Gebühr bezahlt, es entstehen keine Zusatzkosten. Und DAB+ ist auch die Technologie der Zukunft in Hinblick auf Sendekosten. Um Ihnen mal einen Vergleich zu nennen: Deutschlandradio bespielt heute etwas über 320 UKW-Frequenzen. Die gesamte Verbreitung kostet uns zwischen 36 Mio. und 38 Mio. Euro. Würden wir unsere Programme ausschließlich über DAB+ ausstrahlen, sinken die Kosten auf 23 Mio. bis 24 Mio. Euro.

Gleichzeitig erreichen wir per UKW mit Deutschlandfunk nur 70 Prozent der Menschen in Deutschland, aber alle zahlen dafür. Und mit Deutschlandradio Kultur nur etwas mehr als 60 Prozent. Mit DAB+ würden wir, zu geringeren Kosten, alle erreichen. Das ist das spezielle Interesse von Deutschlandradio, aber insgesamt können Sie hier auf der IFA ein Verkehrswarnsystem sehen, was über DAB+ läuft und das Ihnen auf den Meter genau z.B. ein Stauende anzeigt.

Willi Steul. Foto: Deutschlandradio / Bettina Fürst-Fastré
Willi Steul. Foto: Deutschlandradio / Bettina Fürst-Fastré

RADIOSZENE: Sollte das nicht die Aufgabe meines Navigationssystems sein? Viele Leute verwenden ja auch Ihr Smartphone als Navigationsgerät, wo dann z.B. per Google Maps die aktuelle Verkehrslage abgeglichen wird. Warum sollte ich dann mein Autoradio umrüsten auf DAB+?

Willi Steul: Der Vorteil besteht darin, dass es ein kostenfreier Basisdienst ist. Das ist übrigens etwas, das in der Diskussion zu wenig beachtet wird: Wenn Sie Radio im Internet über Ihr Smartphone hören, dann haben Sie innerhalb weniger Stunden de facto Ihre Flatrate ausgeschöpft. Bei DAB+ ist das nicht der Fall. Die Verbreitung der Programme per Internet funktioniert gut in Großstädten, wann Sie auch in der Eifel, in Mecklenburg-Vorpommern und im Bayrischen Wald problemlos funktioniert, steht in den Sternen. Zumal auch die Netzbetreiber dort wo wenig Menschen leben, außerhalb der Ballungsräume, kein hohes Interesse daran haben, das zu verbreiten.

Erstes DAB-fähiges Smartphone (Bild: ©LG)
Erstes DAB-fähiges Smartphone (Bild: ©LG)

RADIOSZENE: Es gibt im Moment nur ein Smartphone, das tatsächlich DAB+ kann. Das ist zwar schön – aber zu wenig. Welche Anstrengungen unternehmen Sie in der Hinsicht?

Willi Steul: Wir können ja nichts tun, das können nur die Handyhersteller. Das ist ein Markt. Wenn die Nachfrage da ist, werden sich die Anbieter dazu entscheiden das zu tun. Sie können diese Dinge nicht erzwingen, aber Sie können sie empfehlen, dafür werben und die Vorteile klarmachen. Die Entwicklung in Deutschland beim Verkauf der Geräte, auch was die Autos betrifft, ist steiler als in allen anderen vergleichbaren Ländern.

RADIOSZENE: Im Moment gibt es noch einige Lücken im DAB+-Netz. Sie investieren in den Netzausbau, bis 2021 soll DAB+ flächendeckend verbreitet werden können. Es bringt aber natürlich nicht so viel, wenn keine Leute DAB+-Geräte zu Hause stehen haben. Welchen Herausforderungen sehen Sie da noch ins Auge?

Willi Steul: Wir haben 140 Mio. Radiogeräte in Deutschland in Betrieb. Pro Jahr werden etwa 7 Mio. Geräte ausgetauscht. Würde man von heute an nur noch Rundfunkgeräte verkaufen, die einen UKW-Empfang und einen DAB+-Empfang haben, würde es 20 Jahre dauern bis alle ausgetauscht sind. Es besteht aber die Furcht der privaten Rundfunkanbieter: „Wie übersetzen wir unser Refinanzierungsmodell, das wir heute haben, in diese Digitale Zukunft?“ Ich habe Verständnis dafür, dass die Privatseite hier zurückhaltend ist, wenn man sich aber im Ausland umsieht, z.B. in Australien oder in Großbritannien, dann sind es gerade die Privatfunkbetreiber, die die Umstellung auf DAB forcieren. Die haben gesehen, dass sie mit der Möglichkeit mehr Programme zu senden, die sehr kostengünstig zu verbreiten sind, auch neue Felder für die Werbung erschließen. Und sie können auch den Lokal- und Subregionalfunk über DAB-Netze betreiben.

Digitalradio von AXIS (Bild: digitalradio.de)
Digitalradio von AXIS (Bild: digitalradio.de)

RADIOSZENE: Sie sprechen die eine Seite, die privaten Rundfunkveranstalter, an. Die andere Seite sind die Gerätehersteller. Welche Ansätze verfolgen Sie, um möglichst schnell zu erreichen, dass jedes Gerät im Handel DAB+-fähig ist?

Willi Steul: Es war zunächst eine Initiative von Deutschlandradio und der BBC, dass wir sagen, die Europäische Kommission müsste eine Empfehlung an die Mitgliedsländer geben, dass in jedem neu verkauften Gerät, was für den Rundfunk taugt, ein Chip verbaut ist, der den DAB+-Empfang ermöglicht. Das ist mittlerweile von der EBU übernommen worden als ihre Policy. Dies ist auch bereits von der Politik in Deutschland als ein Weg akzeptiert.

Man sieht an dem Beispiel Schweiz: In dem Moment, wo sich die Handelnden, nämlich privater Rundfunk, öffentlich-rechtlicher Rundfunk und Regulierungsbehörden zusammengerauft haben und sagen „das ist der Verbreitungsweg der Zukunft“, dann ist das ein klares Signal in den Markt. Dann entscheiden sich die Menschen für den Kauf von hybriden Geräten. So wächst das dann daraus. Nach wenigen Jahren hat dort DAB-und Internetradio UKW überholt (vgl. auch Radionutzung Schweiz: Digitalradio überholt UKW.

RADIOSZENE: Sie haben Länder, wie Australien, Großbritannien oder die Schweiz genannt. Das sind Vorreiter in der Einführung des Digitalradios. Andere Länder, wie Finnland, Schweden oder Österreich, tun sich da schwer. Ist DAB+ das Zukunftsmodell für Deutschland?

Willi Steul: Man muss die jeweiligen Bedingungen in den Ländern getrennt betrachten. Wenn wir im nächsten Jahr zu einer relativen Verständigung kommen, Sie werden nicht alle mitnehmen können, aber einen weitest gehenden Konsens haben, dann sind die Netze auch soweit ausgebaut, dass man wirklich für DAB+ werben kann. Wir müssen den Skeptikern und Widerständlern immer wieder entgegen argumentieren, man muss die Sorgen der Privatfunker ernst nehmen, aber steter Tropfen hüllt den Stein.

Dr. Willi Steul am Deutschlandradio Infostand auf der IFA 2012 (Bild: ©Bettina Straub)
Dr. Willi Steul am Deutschlandradio Infostand auf der IFA 2012 (Bild: ©Bettina Straub)

RADIOSZENE: Woher kommt es denn eigentlich, dass sogar in manchen ARD-Anstalten, die offiziell alle DAB+ unterstützen, über DAB+ geschmunzelt wird und es nicht wirklich für voll genommen wird? Radio Bremen z.B. hat seiner neuen Jugendwelle eine kleine UKW-Frequenz spendiert und der BR will sein Jugendprogramm PULS sogar auf eine ganze UKW-Senderkette hieven…
Obwohl DAB Vorteile hat, gibt es scheinbar weiterhin große Abneigung. Wieso?

Willi Steul: Es ist keine Abneigung. Es ist auch eine Kostenfrage, denn der Parallelbetrieb kostet Geld. Radio Bremen hat eine Stützfrequenz für sein junges neues Digitalangebot genommen, weil man natürlich über UKW eine größere Reichweite erzielen kann. Mit der Stützfrequenz erfahren die Leute vom Programm und können dann in DAB gehen.

RADIOSZENE: Schon länger bietet Deutschlandradio Inhalte bei iTunes an, neuerdings experimentieren Sie mit Spotify. Dort können Podcasts und vielleicht ja bald auch Moderationen eingepflegt werden. Ist lineares Radio ein Auslaufmodell – und DAB+ damit in Zukunft vielleicht gar nicht wichtig?

Willi Steul: Wir bedienen diese modernen Ausspielwege, aber das ersetzt nicht den linearen Rundfunk. Aus den letzten Media-Analysen wissen wir, die Nutzung von Radio nimmt sogar zu. Unser Rückgrat der Verbreitung ist das lineare Programm, hoffentlich bald ausschließlich digital über DAB+, dazu kommen andere. Und es wird Verbreitungswege geben, die wir heute noch gar nicht kennen.

RADIOSZENE: Herr Steul, vielen Dank für das Gespräch.