Thomas Koschwitz: „Hit-Radio aus purer Not“

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Von Danilo Höpfner (InfoDigital)

Deutschlands Radiolegende Thomas Koschwitz über gutes Radio, schlechte Programmchefs, die verlorene Seele des Höfunks, Chancen des Digitalradios, Spotify und die Ausbreitung des „Durchschnittsradios“. Und, ob es ein bundesweites „Radio Luxemburg“ noch einmal schaffen könnte.

Koschwitz auf allen Kanälen. Wer viel durchs Land reist, dem sind Stimme und Stil vertraut. Thomas Koschwitz gilt als „der“ Radiomann Deutschlands, moderiert wochentags auf RTL Radio, 104.6 RTL Berlin, Radio Brocken, am Wochenende auch auf Radio Nordseewelle, Antenne 1 und Antenne Pfalz. Wenige Sender, auf denen er zuvor nicht war.

Mit 19 Jahren wurde er 1975 der jüngste Nachrichtensprecher des Hessischen Rundfunks, wechselte vom Radio ins Fernsehen, um dort Thomas Gottschalk als Late-Night-Talker zu vertreten. Nach weiteren TV-Versuchen kehrt er mit seiner inzwischen bundesweiten TV-Bekanntheit zum Hörfunk zurück und gilt seither als versiertester Radiomacher in Lande. Während Deutschland auch im Digitalzeitalter noch immer auf neue Konzepte im bundesweites Privatradio wartet, macht Koschwitz mit seiner Syndication-Show bereits gelebtes bundesweites Privatradio. Nach Koschwitz-Art.

Koschwitz am Nachmittag bei 104.6 RTL (Bild: ©104.6 RTL)
Koschwitz am Nachmittag bei 104.6 RTL (Bild: ©104.6 RTL)

Danilo Höpfner: Herr Koschwitz, lassen Sie mich mit einer Alternativfrage beginnen. Was ist für Sie Radio?
a) Radio war mal ein tolles Medium, dessen Glanzzeit seit dem Ende von Radio Luxemburg aber längst vorüber ist
b) Radio ist ein Medium, das eigentlich sehr viel kann und bietet, aber die meisten Sender davon keinen Gebrauch machen und sich lieber auf leicht verdauliche Kost des Massengeschmacks verlassen
c) Radio ist das, wo ich mich wohlfühle, nach meinen Ausflügen ins Fernsehen und meinen dortigen Erfahrungen.

Thomas Koschwitz: Antwort B und C. (lacht) Wobei mir B wichtiger wäre.

Also leicht verdauliche Kost und Mainstream. Manche nennen es böse „Dudelfunk“.

Nun, so einfach lässt sich Radio nicht erklären. Am Ende des Tages ist Radio im Idealfall eine Kommunikation zwischen zwei Menschen, ohne dass sie sich sehen. Das ist einzigartig. Wenn man es schafft, einen Menschen mit einer gewissen Persönlichkeit hinter dem Mikrofon, einen anderen Menschen zu erreichen, zumeist im Auto oder zu Hause, dann ist das Grundprinzip des Radios erreicht. In der Gruppe hört man eher selten Radio. Jetzt muss man aber zwischen dem klassischen Radio, das die öffentlich-rechtlichen Sender einmal angefangen haben, und dem populären Radio, das die Privaten machen, unterscheiden. Gut, sie alle unterliegen einem Zeitgeist. Aber das populäre Radio, das wir heute kennen, ist sehr stark dominiert von Einflüssen derer, die mit dem Radio Geld verdienen wollen und müssen. Und da steht in der Tat die Musik, die leichte Kost, im Vordergrund. Warum das so ist, darüber kann man lange diskutieren.

Jan Böhmermann sagte mal im Interview, dass er sich um die Zukunft des Fernsehens eigentlich keine Sorgen mache, wohl aber um die des Radios. Er glaube, dass die Nutzer auf Dauer doch eher zu Spotify greifen würden, als auf mittelmäßige Radiomoderatoren zu setzen. Teilen Sie diese Sorge?

Nein, und ich frage mich auch, wie er auf diesen ungleichen Vergleich kommt. Denn Spotify ist das eine, schlechte Moderatoren sind das andere. Spotify ist nichts anderes als ein hochgerüsteter CD-Player, ein Walkman oder was auch immer, der mir Musik vorspielen kann. Aber letztlich entscheiden dort die Logarithmen, was ich zu erwarten habe auf Basis dessen, was ich gerne höre. Und Radio ist das einzige Medium, bei dem ich als Hörer nichts tun muss. Und ja, in einem Punkt hat Jan Böhmerman recht. Die Moderatoren sind in Deutschland nicht in dem Maße gefördert worden, wie sie hätten gefördert werden müssen. Aber warten wir doch mal ab, was YouTube mit Böhermanns Fernsehen so macht. Das findet jetzt zwar auch dort auch statt, aber wir werden sehen, in welcher Ecke Angebote wie ZDF Neo & Co. bleiben. Böhmermann tritt nur mit extremem Dingen
auf, und sei es, Herrn Erdogan zu beleidigen. Ich will damit sagen, dass die Qualität eines Moderators nicht nur davon abhängt, wie er sich mit extremen Reizspitzen nach vorne drängelt. Die Fähigkeit von Radiomoderatoren war und ist es, sich mit ihrer Persönlichkeit zum Tagesbegleiter zu machen nicht zu einer hinteren Kurzzeit-Reizfigur.

Aber gibt es denn tatsächlich so viele Radio-Persönlichkeiten? Sie sind schließlich eine der wenigen. Und wohl der Einzige, den man bundesweit kennt.

Thomas-Koschwitz (Bild: privat)
Thomas-Koschwitz (Bild: privat)

Das ist sehr komplex. Wir müssen hier schauen, wie sich das Radio entwickelt hat, auch das von Ihnen bereits angesprochene Radio Luxemburg. In den sechziger Jahren gab es eine erste Revolution im Radio. Als sich sehr dreiste Leute mit mutigen DJs außerhalb der Dreimeilenzone auf Piratenschiffen niederließen und dort Popmusik spielten, sehr zum Leidwesen der britischen Regierung und der BBC, die damals sehr langweilige Unterhaltungsprogramme im Angebot hatten. Die Jugend mochte die neuen Piraten, hörte diese über Mittelwelle. Dieses Radio war ihnen heilig, es war ihnen absolut egal, ob es da auf Mittelwelle rauschte oder nicht.

Ende der Siebzigerjahre gab es dann eine zweite Revolution im Radio, als die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland entdeckten, man müsse für die Autofahrer vielleicht eine Servicewelle einrichten, auf der Verkehrshinweise stattfinden. Das wurde am Anfang auch relativ lieblos gemacht, alte Frequenzen, die frei waren und tagsüber nicht genutzt wurden und abends für die sogenannten Ausländerprogramme herhalten mussten, die wurden da ausgepackt. Als man erkannte, wie langweilig und ohne Format und Kanten das war, hat man schließlich DJs das Programm machen lassen. Für ein, zwei Stunden. Das waren immer Freelancer, ganz wenige waren da fest angestellt. Jungs, die auf irgendwelchen Diskotheken oder sonstwie entdeckt worden waren oder über Umwege in die Unterhaltungsbranche kamen. Ich war einer davon. Weil aber keiner so richtig auf uns aufpasste, uns keiner reglementierte und die Quote noch keine Rolle spielte, konnten sich diese Wellen unfassbar entfalten. Namen wie Thomas Gottschalk, Günther Jauch, Werner Reinke, Frank Laufenberg gehörten dazu. Wir sorgten dafür, dass diese Programme zu „Kult-Dingern“ bei der Jugend wurden. Die Alten fragten „Was für ein Gejaule, was macht ihr da?“, junge Leute fanden das cool.

Und dann die dritte Revolution: durch einen Gesetzentwurf, der sehr im Sinne von Helmut Kohl war, wurde Privatfunk in allen Bundesländern erlaubt. Das führte dazu, dass die öffentlich-rechtlichen Sender extrem verunsichert wurden. Die stellten plötzlich fest, dass da Leute mit neuen Konzepten kommen. Die Leute vom Privatradio hatten aus purer Not, weil sie ihr Geld erst verdienen mussten und kaum Geld zum investieren hatten, Konzepte auf die Beine gestellt, mit denen sie möglichst schnell hohe Aufmerksamkeit erzielen konnten. Sie setzten auf die Ware, von der sie wussten, dass die beliebt sein würde: Popmusik, die in den Charts ganz oben angesiedelt ist, keine Musikredakteure der ARD mehr, die Programme nach ihrem Geschmack mit musikantisch wertvollen Inhalten füllen wollten. Die privaten Sender haben sich nur an der Hitparade orientiert.

Daraus haben die ARD-Radios hörbar gelernt…

Ja, denn diese Entwicklung hat bei den mit schwachem Selbstbewusstsein ausgestatteten ARD-Radios dazu geführt, dass die inzwischen genauso klingen, wie die Privatsender, oftmals sogar noch schlimmer. Der Unterschied ist nur, dass die Privaten das tun müssen. Sie müssen wirken wie ein Produkt, das gern zitierte Vergleichsbeispiel ist hier die Nivea-Dose. Wenn Sie sich eine Nivea-Dose anschauen, dann wissen Sie sofort: blau und weiße Schrift und Creme drin. Und so muss Pop-Radio aus Sicht der Privaten funktionieren. Wenn Menschen nur 20 Minuten pro Tag hören, dann muss ihr favorisierter Popsong dann auch kommen, wenn sie einschalten. Und das führt zu dieser unfassbaren Wiederholungshäufigkeit und leider auch zu dieser Langeweile, wenn man das Programm den ganzen Tag über hört. Man kann aber nur dann eine Pop- und Hitstation sein, wenn man den Hit immer dann liefert, wenn der Hörer gerade einschaltet.

Und dann gibt es noch eine vierte Revolution, und die heißt YouTube und findet gerade jetzt statt. Junge Leute, die vor nichts Angst haben, weil ihnen kein Controlling im TV oder Radio sagt, man müsse nun schnell den Forecast erreichen. Die sitzen nicht mehr im Studio sondern zu Hause, haben aber hoch entwickelte Kameras, die inzwischen kleiner sind als ein Handschuh und stellen ihre Videos ins Netz. Sie machen das inzwischen immer professioneller und erreichen wiederum mit ihren Klicks Millionen Leute.

Unterhaltung steht in Koschwitz ́Sendungen im Mittelpunkt. Immer wieder finden aber auch ernste und gesellschaftlich relevante Themen in die Sendung. Hier mit den Gästen Sandra Maischberger und Prof. Paul Kirchhof. Mit seinen bundesweiten Talk-Sendungen markiert Koschwitz eine Ausnahme in der Privatradio-Landschaft.
Unterhaltung steht in Koschwitz ́Sendungen im Mittelpunkt. Immer wieder finden aber auch ernste und gesellschaftlich relevante Themen in die Sendung. Hier mit den Gästen Sandra Maischberger und Prof. Paul Kirchhof. Mit seinen bundesweiten Talk-Sendungen markiert Koschwitz eine Ausnahme in der Privatradio-Landschaft.

Und was ist der rote Faden, der sich durch alle diese Revolutionen zieht? Alle Akteure hatten und haben keine Angst!

Das heißt, alle, die aus Spaß und Kreativität angefangen haben und sich entwickeln konnten, konnten das, weil sie keine Angst hatten, vor nichts und niemanden, weil sie auch keiner kontrollierte. Inzwischen sind all die Medien, nun auch das Radio, leider kontrolliert von der Angst, Hörer zu verlieren. Also machen wir alles, um zu vermeiden, dass jemand weg schaltet und das führt zu dem heutigen Durchschnittsradio. Und inzwischen macht die ARD auch alles, was Erfolg verspricht und den Marktanteil hochhält. Weil, „wenn wir keinen Marktanteil mehr haben, also nur noch Nischenprogramm anbieten, sind wir eines Tages nicht mehr wichtig und könnten von der Politik möglicherweise abgeschafft werden“. Das ist in Kurzform die große Sorge der öffentlich-rechtlichen Radios.

Demnach befinden wir uns noch in der „Radiorevolutionsphase Vier“ zwischen YouTube, Internet und Digitalisierung. Haben denn aus Ihrer Sicht die Radiosender derzeit die richtigen Antworten auf Angebote wie Spotify parat?

Ja und nein. Es gibt aus meiner Sicht den irren Versuch von Öffis wie Privatradios, mit Spotify zusammen zu gehen. Das ist deshalb irre, weil Spotify und iTunes ja versuchen, eigene Radioprogramme zu etablieren. iTunes sogar richtig mit Wortbeiträgen und Interviews, weil die schon merken, dass das Bedürfnis nach bekannten Stimmen vorhanden ist. Aber die Antworten der Sender sind noch zu schwach. Viele Radiomacher denken, sie müssten nur das, was man im Radio über UKW hören kann, einfach nur – möglichst mit bewegten Bildern – ins Netz stellen. Das reicht nicht.

Sie sind bei Radiosendern der ARD groß geworden, Arbeiten nun aber seit vielen Jahren im Privatfunk. Sie haben also einen direkten Vergleich: worin unterscheiden sich heute die ARD Popwellen von ihren privaten Mitbewerbern oder handelt es sich wirklich um identische Angebote?

Lassen Sie mich das so beschreiben: die privaten Sender stehen unter der Knute irgendwelcher Finanzleute, die sagen, „Ihr, die Programmacher, müsst eine möglichst hohe Einschaltquote erzielen, damit wir möglichst viel Werbung verkaufen können“. Also müssen sie möglichst gut bei den Hörern ankommen. Die ARD hat diese Vorgabe nicht, weil deren Programme durch die Gebühren bereits bezahlt sind, haben aber die große Sorge, dass sie den Marktanteil in der gesamten Branche verlieren könnten und eines Tages obsolet zu werden. Daraus schließen Sie, dass Sie ähnliche Dinge tun müssten, wie die privaten Stationen. Das konnte man übrigens im hessischen Markt ganz gut beobachten. Dort hat man aus meiner Sicht etwas Wahnwitziges gemacht. Man hat den Morning-Man vom privaten Radio FFH zum öffentlich-rechtlichen hr3 rüber geholt. Der Irrsinn besteht aus meiner Sicht darin, dass einer, der bis dahin hr3 gehört hat, das ja bewusst getan hat, weil er FFH eben nicht hören wollte. Jetzt holt hr3 genau diesen Stil rüber, in der Hoffnung, die hr3-Hörer zu halten und die FFH-Hörer dazu zu gewinnen. Und der hr fängt an, Strategien einzusetzen, wie sie auch Privatsender einsetzen, mit dem Ziel, stärker zu werden oder zumindest auf Augenhöhe mit FFH zu kommen. Denn FFH hat die gleiche Quote wie der Hessische Rundfunk mit seinen fünf Sendern zusammen. Das ist deshalb krank, weil die Ausrichtung eines öffentlich-rechtlichen Programms in Richtung Privatradio innerhalb des Senders viel Kraft kostet und die Sender gleichzeitig immer vergleichbare, immer ähnlicher werden. Dass eine Privatstation das tun muss, ist logisch, weil sie ihr Geld nur mit der Werbung verdienen. Da hängt die gesamte Existenz eines Unternehmens dran. Bei den öffentlich-rechtlichen Anbietern, finde ich, müsste ein größerer Mut und mehr Investitionen in größere Kreativität stattfinden. So gesehen ist der Böhmermann beim ZDF schon ganz richtig aufgehoben, weil er kreatives Potenzial hat. Ob er damit immer richtig umgeht, ist eine andere Geschichte. Aber er ist einer, der von der Kette gelassen wird, was ich mir auch im ARD-Radio sehr wünschen würde. Solche Forschungslabors hätte der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit viel mehr Leuten installieren müssen, auch auf die Gefahr hin, dass mindestens die Hälfte davon scheitert.

Die Medien in Deutschland leiden derzeit unter einer gewissen Vertrauenskrise. Das Böse Wort der „Lügenpresse“ macht die Runde. Der Hörfunk steht bei diesen Schmähungen allerdings kaum in der Kritik, diese prasseln auf Fernsehen und Presse danieder. Was bedeutet das für Sie? Verstehen die Menschen den Hörfunk besser, ist er näher am Menschen oder hat das schlicht mit der mangelnden gesellschaftlichen Relevanz des Mediums Radio zu tun? 

Ich fürchte beides. Mangelnde Relevanz ist das eine, Fernsehen wird bei allen sehr viel stärker wahrgenommen, wobei man inzwischen weiß, dass das Gehörte viel länger im Gedächtnis bleibt. Aber natürlich hat ein Bild eine viel stärkere magische Wirkung, vor allem dann, wenn es ständig wiederholt wird. Das Radio hat aber etwas, was in dieser Sparte fehlt. Eine Stimme ist sowohl vertrauensbildend als auch verräterisch. Eine Stimme strahlt Vertrauen aus. Nehmen Sie meine Sendung „Koschwitz zum Wochenende“, in der ich mit verschiedenen Politikern spreche. Auch mit Menschen, die mit mit den Lügenpresse-Theorien arbeiten. Bei mir wird keine unbequeme Antwort rausgeschnitten.

Wie gehen Sie denn mit Hörern um, die Ihnen, zum Beispiel im Sendegebiet Sachsen-Anhalt, sagen, ‚Herr Koschwitz, wir glauben Ihnen nicht, Sie sind doch auch Teil der Lügenpresse’. Was antworten Sie da? 

Das sagt keiner. Auch nicht bei Facebook oder allen anderen sozialen Netzwerken, wo ich ja auch bin. Das sagt keiner, weil die Leute merken, dass ich nicht lüge. Ich lasse Menschen mit einer anderen Meinung zu. Die Leute sagen ihre Meinung und ich glaube schon, dass der Hörer wahrnehmen kann, wenn ich die Antworten des Interviewpartners auch mal dumm finde. Aber, es muss erlaubt sein, auch diese dumme Antwort zu geben. All das sind Dinge, die in Fernsehen und Zeitung inzwischen verloren gegangen sind. Weil dort nachbearbeitet wird. Meine Erfahrung z. B. mit der Zeitung ist, dass Interviews nicht als Interview gedruckt werden, sondern als Bericht. Man liest also nicht meine wirkliche Antwort, sondern nur den Teil, der gerade passt. Darin treten teils vorurteilige Ansichten eines Journalisten zu Tage. Im Radio bemerkt man schon deutlich, ob da geschnitten wird oder nicht. Im Fernsehen sieht man oft nur kurze Ausschnitte und meist nur die, die eine Schlagzeile erzeugen. Ich habe das Privileg, am Wochenende mit einer Talk-Radiosendung ausgestrahlt zu werden. Und die leistet sich tatsächlich auch längere Wortbeiträge, die es erlauben ein komplexes Thema – auch wenn’s schwerfällt – komplex zu erläutern.

Kommen wir noch einmal auf den fehlenden Mut zurück, von dem Sie gesprochen haben, der sich in gewisser Weise ja auch in fehlenden Angeboten ausdrückt. Im föderalen Deutschland gibt es pro Bundesland immer ein bis zwei führende Privatsender, die dann von Bundesland zu Bundesland doch recht gleich klingen. In unseren Nachbarländern gibt es nationale Programme für Sparten und kleine Zielgruppen. Verkehrsradios, Jazzsender, Minderheitensender. Und überall dort laufen nicht nur die Hits mit gelegentlichen „geheimnisvollen Geräuschen“ dazwischen, sondern auch lange Wortbeiträge, Lesungen, Konzertmitschnitte, Politiker im Studio. Alles im privaten Hörfunk, wohlbemerkt. Dagegen sehen die Konzepte von der Ostsee bis nach Bayern recht verwechselbar aus. Hat der Föderalismus der Vielfalt im Hörfunk letztendlich geschadet? 

Ja, das muss man so sagen. Die Angst, dass man wieder „Hitlers Radio“ zu hören bekommen könnte, führte zu der Entscheidung, keine bundesweiten Radioprogramme mehr zuzulassen. Letztlich hat das dazu geführt, dass nun in jedem Bundesland das gleiche läuft. Das ist aber auch logisch. Die Regierung Kohl wollte schon damals dem als „Rotfunk“ verschrienen öffentlich-rechtlichen Angebot etwas entgegensetzen. Das hat am Anfang zumindest bei einem Teil der Radiopioniere funktioniert.

Es gibt aber noch einen Grund, warum wie so viele austauschbare Angebote haben. Zum Beispiel gibt es in Deutschland ein ganzes Heer sogenannte Berater, die den Programmdirektoren immer nur ein einziges Rezept verkaufen, nämlich das, das zuletzt funktioniert hat. Und da die Berater natürlich nicht nur bei einer Radiostation beraten, sondern bei ganz vielen, merkt man ganz schnell, dass die Beratungen immer zu dem selben Ergebnis führen.

Warum sind die Berater für die Stationen dann so wichtig?

… zumal sie auch sehr viel Geld kosten! Das ist ganz einfach: wenn es schiefgeht, kann der Programmchef gegenüber seinen Vorgesetzten immer sagen, man wollte ja eigentlich etwas anderes, aber der Berater hätte das ja so empfohlen. Den kann man dann feuern und den nächsten Berater ins Hause holen. Das ist eine der hässlichen Hintergrundgeschichten, die im Radio leider eine wichtige Rolle spielen. Inzwischen laufen die Berater auch in den öffentlich-rechtlichen Sendern schon rum. Und noch etwas scheint mir wichtig, wenn man sich die Startschwierigkeiten des Privatradios anschaut. Hinter den Sendern standen am Anfang vor allem die Zeitungsverlage. Die sind aus Sorge um ihre Anzeigenverkäufe ins Radio eingestiegen, damit ihnen das Radio nicht den örtlichen Werbemarkt, also die örtlichen Autohäuser, die örtlichen Veranstalter usw. wegnimmt. Ich habe es auch oft erlebt, dass aus den Verlagshäusern die unbeliebtesten und unfähigsten Führungskräfte ins Privatradio „abgeschoben“ wurden. Dort haben sie dann mit ihren mangelnden Kenntnissen und Fähigkeiten wiederum wenig begabte Moderatoren und Redakteure eingestellt. So gibt es einige Radiostationen, die von Anfang an ziemlicher Mist waren. Letztlich hat es aber funktioniert, denn eine Ware hat immer funktioniert: Hits spielen.

Aber da würde doch zumindest zum heutigen Zeitpunkt die Digitalisierung eine Reihe neuer, vielleicht auch bessere Angebote möglich machen. Auch nationale Angebote sind doch jetzt möglich und mit nationalen Multiplexen im Digitalradio ausdrücklich gewünscht. Allein sunshine live und Klassik Radio setzen auf diese Karte. Und die Programmreform von RTL Radio im letzten Jahr macht doch deutlich, dass die Nachfolger Radio Luxemburg heute nicht mehr so viel damit anzufangen wissen. Was fehlt denn jetzt noch zum Start des bundesweiten Hörfunks? 

Nicht nur der Mut, sondern ganz profan, auch Geld! Geld, um eine Station so hinzustellen, dass sie bundesweit auch eine entsprechende Strahlkraft entwickelt. Das ist das eine. Das andere ist: es herrscht ein ein gigantischer Irrtum, der mit Spotify und Last.Fm etc. einher geht. Denn diese Angebote sind typisch technisch gedacht. Ich habe zu Hause ein Radio mit Internetzugang, mit dem ich tausende Sender aus aller Welt empfangen kann. Die sind zwar schön nach Land und Stil aufgelistet, aber ich muss mich durch hunderte Stationen klicken, um mich zu entscheiden. Was dabei aber zu kurz kommt, ist, dass sich der ganz normale Mensch, der eine ganz normale Dosis Radio, TV und Zeitung haben möchte, einen Leuchtturm sucht bzw. eine Art Wegweiser in diesem Medienirrsinn braucht. Was hat er denn davon, wenn er gesagt bekommt, dass er Millionen Musiktitel im Web oder bei Spotify bekommt, wenn er am Tag höchstens hundert Titel hören kann. Also, die Idee von tausenden Sendern geht nicht auf. Das Gegenteil ist der Fall. Warum ist bei der Bild-Zeitung eine einfache Aussage auf der Titelseite? Weil es das beste Mittel ist, um Leser zu bekommen. Einfach. Schnell zu erkennen. Emotional berührend. Das machen Radiostationen mit Leuten wie Arno Müller von 104.6 RTL Berlin auch. Einfache, fast schlagzeilenartige Aussagen. Und immer dieselbe Person am selben Platz. So wie das Logo einer Zeitung. Immer gleich. Immer sofort erkennbar. Das ist für die Personen im Radio selbst natürlich ungeheuer anstrengend, seit 25 Jahren jeden Morgen z. B. eine Morningshow zu schmeißen.
Aber es zeigt Wirkung. Wenn man einschaltet, weiß man, wer da ist und dass man ihm trauen kann, sonst wäre er da schon lange nicht mehr. Diesen wichtigen Effekt beim Hörer haben Angebote wie Spotify schlicht vergessen.

Sie machen ja mit Ihrer Sendung ja schon eine Art bundesweites Radio, Ihre Sendung wird in Varianten auf mehreren Stationen in der ganzen Republik ausgestrahlt. Offenbar gibt es doch einen Bedarf an nationalem Radio? 

Ja, und man muss fairer Weise dazu fügen, dass ich hier einen zehnjährigen Fernsehvorteil habe. In weiten Teilen des Landes bin ich nicht durch das Radio, sondern durch das Fernsehen bekannt. Aber ich bin durch und durch Radiomann, und das hat mir stets dabei geholfen. Es hat ja auch mit anderen TV-Profis Versuche gegeben, Syndication im Radio zu betreiben. Das ist aber meist gescheitert, da die TV-Menschen Radio ganz anders begreifen. Sie verstehen z. B. schwerer, dass sie eins zu eins mit dem jeweiligen Men- schen sprechen. Das heißt, wenn ich da übers Wochenende rund eine Million Hörer habe, dann findet die Sendung für mich und den Hörer eins zu eins statt. Ich spreche nicht zu einem Massenpublikum. Da bin ich auch sehr penibel, wie ich meine Hörer auf Nordseewelle oder Radio Brocken anspreche. Da will ich nicht als „der wichtige Typ aus Berlin“ zu ihnen sprechen, der gar nicht weiß, wie die Radiostation heißt, für die ich sende.

Ihre Sendungen werden im sogenannten Voicetracking- Verfahren hergestellt. Sie gehen also nicht mehr live auf Sendung, sondern weitgehend vorproduziert, Jingles und Sendenamen der ausstrahlenden Station werden angepasst, um so gleichzeitig mehrere Stationen bedienen zu können. Inzwischen werden weite Teile privater Radiosendungen so hergestellt, auch mögliche Fehler werden so im Vorfeld ausgemerzt. Schön und gut. Aber haben solche Verfahren nicht auch ein wenig dazu beigetragen, dem Radio die ursprüngliche Seele zu nehmen? 

Ja. Ich gebe Ihnen da völlig recht, wenn es um die reine Musik geht. Wenn Werner Reinke bei hr1 am Samstagvormittag eine Sendung herstellt, die über dem Quotendurchschnitt liegt, dann hat das mit Herz und Seele der Livesendung zu tun. Bei mir kommen Herz und Seele zustande, indem ich meine Interviews ungeschnitten und damit ungeschminkt so sende, wie es aufgezeichnet wurde.

Das heißt, es wird alles so wiedergegeben, wie es stattfand. Es ist zwar nicht live, aber über den Charakter entscheidet die Gesprächsführung, an der nichts herummanipuliert wird. So kommt die Seele zustande, die Sie zurecht vom Radio erwarten. Darum habe ich mich auch für dieses Verfahren entschieden und mache keine Top 40-Geschichten, wie sie z. B. in Amerika sehr bliebt sind und identisch auf über 200 Stationen dort laufen. Das wäre nicht meins.

Glauben Sie, ein Format wie Radio Luxemburg hätte heute noch eine Chance in Deutschland? 

Die vier fröhlichen Wellen von Radio Luxemburg?

Genau die, nur eben modern. 

Naja, das kommt ja noch aus einer Zeit, in der die Menschen alles gehört haben, egal in welcher Tonqualität die knisternde Mittelwelle ankam, begierig nach Popmusik. Luxemburg war die einzige Quelle, wo man das herbekam. Zum ersten Mal saßen da lockere Persönlichkeiten wie Frank Elstner, die auf einmal ganz entspannt sprachen und nicht so steif, wie man das auf den ARD-Wellen kannte. Da hörte man dann ‚So ein Mist, ich bin hier grad in einen Scheißhaufen getreten, aber wir haben einen schönen Hit hier, den spiele ich Ihnen jetzt mal vor und in der Zwischenzeit schaue ich mal, was ich mit meinen Schuhen mache…’ Diese Art der persönlichen Ansprache kannte man damals noch nicht. Das war eine Erfrischung zu dem, was bisher da war.

Mit der Popmusik und der Art der Moderation hat Radio Luxemburg den Hörern und der Entwicklung des Radios einen großen Dienst erwiesen. Aber, das ist eben heute keine Innovation mehr. Das tun heute alle, darum ist das inzwischen langweilig. Der große Mythos von RTL Radio Luxemburg damals war, dass diese Station die einzige in Europa war, in der die Stars auftraten. Da die Privatstationen jetzt überall zu haben sind, ist dieses wichtige Alleinstellungsmerkmal einfach weg, man müsste einen neuen Weg finden. Wenn man es hinbekäme, mit einzigartigen Stimmen und einem Programmangebot, das ein bisschen kreativer ist, als andere Sender in Deutschland, könnte das schon erfolgreich ein. Aber dazu müsste man viel Geld in die Hand nehmen, nicht nur für das Programm, sondern auch für die Verbreitung. Und die Einzigen, die das heute leisten könnten, wären die Öffentlich-Rechtlichen.

Glauben Sie an eine Radiozukunft DAB+? 

Da bin ich mir unsicher.

Was lässt Sie zweifeln? 

Es ist natürlich ein Vertriebsweg, also ich will es nicht ausschließen. Ich vermute nur, dass die technische Entwicklung über Handy und WLAN diese Technik überholen könnte.

Sie wollen im Jahr 2030 noch immer auf Sendung sein Haben sie neulich einmal gesagt…

Jaaa!

Dann werden Sie 74 Jahre Alt sein. Das Radio meint es aber nicht unbedingt gut mit Menschen in diesem Alter. Diese Erfahrung hat auch schon Ihr Kollege Camillo Felgen von Radio Luxemburg machen müssen. Was glauben Sie, Können Sie dann noch zur Innovation im Radio beitragen. 

Also ich bin kein Hellseher, darum weiß ich das nicht. Die Frage ist ja viel mehr, macht man das, oder ist das nur ein Wunsch?

Ich habe gerade nicht ein Eindruck, dass ich steinalt wäre und ich glaube auch, dass meine Stimme nicht so schnell altert. Ich sollte viel mehr dafür sorgen, dass man mich dann optisch nicht mehr wahrnimmt. Der Vergleich zwischen Stimme und Gesicht ist schon ein Punkt, von daher ist es gut, dass ich aus dem TV verschwunden bin… Aber das Alter spielt keine große Rolle, solange die Birne junge ist.

Herr Koschwitz, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Hier können Sie Thomas Koschwitz hören

14:00 – 19:00 (Montag bis Freitag)
Koschwitz am Nachmittag
104.6 RTL, Radio Brocken und RTL RADIO – Deutschlands Hit-Radio

09:00 – 12:00 (sonntags)
Koschwitz zum Wochenende
RTL RADIO – Deutschlands Hit-Radio

10:00 – 13:00 (samstags)
Koschwitz zum Wochenende
Radio Nordseewelle (Niedersachsen)

09:00 – 12:00 (samstags)
Koschwitz zum Wochenende
antenne 1 (Baden-Württemberg)

10:00 – 13:00 (samstags)
Koschwitz zum Wochenende
Radio Brocken (Sachsen-Anhalt)

09:00 – 12:00 (samstags)
Koschwitz zum Wochenende
Antenne Pfalz und Antenne Landau (Rheinland-Pfalz)

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Das Interview mit Thomas Koschwitz erschien zuerst in der September-Ausgabe von InfoDigital.

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