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Der Schlager ist zurück im Radio

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Rolle rückwärts bei der ARD – nachdem einige öffentlich-rechtliche Landessender in den vergangenen Jahren den Deutschen Schlager aus ihren Programmen genommen haben, dürfen sich Schlagerfans zumindest im hohen Norden sowie in Mitteldeutschland schon bald auf die Rückkehr des Genres in die dortigen Radiosender freuen.

Einen Haken hat die Nachricht: die neuen Schlagerwellen werden über Antenne nicht via UKW sondern im neuen digitalen Standard ausgestrahlt. Diese Technik erfordert vor dem Hörgenuss die Anschaffung eines DAB+ tauglichen Empfangsgerätes.

Hello again

NDR-PlusDen Anfang macht der Norddeutsche Rundfunk. Die Vierländeranstalt startete am 5. Juli NDR Plus – das norddeutsche Schlagerradio als Digitalradio und als Livestream im Internet. Das Programm ersetzt den Ansagedienst NDR Traffic, der bislang über DAB+ verbreitet wird. Bei der Musikmischung bilden deutschsprachige Titel den Hauptanteil, ergänzt durch einen Mix aus internationalen Schlagern, Evergreens und instrumentaler Musik. Aus der zentralen Hörfunk-Nachrichtenredaktion kommen zu jeder vollen Stunde Nachrichten und Wetter sowie im Anschluss aktuelle Verkehrsinformationen für den Norden.

Norddeutsches Flair

NDR Plus ist ein gemeinschaftliches Projekt aller vier Landesprogramme unter Federführung des Landesfunkhauses Hamburg und der Programmdirektion Hörfunk des NDR. Das Schlagerradio wird an vorhandene Abteilungen angebunden und unter starker Nutzung von Synergien erstellt. Konkret heißt das, die Zusammenstellung der Musik erfolgt durch die Redaktion von NDR 90,3 unter der Leitung von Musikchef Klaus-Peter Otto. Dort wird auch der Sendeablauf überwacht.

Klaus-Peter Otto (Bild: ©NDR)
Klaus-Peter Otto (Bild: ©NDR)

Klaus-Peter Otto: „Gespielt werden populäre, entspannte und melodische deutschsprachige Titel der letzten 50 Jahre mit Interpreten von Rex Gildo über Marianne Rosenberg bis hin zu den Flippers, Andrea Berg und Helene Fischer. Wichtiger Bestandteil werden Produktionen heimischer Künstler sein, wie z.B. Mary Roos, Godewind, Gaby Albrecht und Gerd Christian, die dem Programm ein unverwechselbar norddeutsches Flair verleihen werden. Ergänzt wird der Mix durch eine Beimischung von internationalen Schlagern, Evergreens und instrumentaler Musik mit Interpreten wie Julio Iglesias, Petula Clark, Abba, James Last und Ray Conni.“

Joachim Knuth (Bild: NDR/Marcus Krüger)
Joachim Knuth (Bild: NDR/Marcus Krüger)

Joachim Knuth, NDR-Programmdirektor Hörfunk ergänzt: „Zwar ist das Interesse am deutschen Schlager in den vergangenen Jahren deutlich gesunken, aber dennoch vermissen eine Reihe von Hörern dieses Musikgenre im bestehenden Angebot. Diese Lücke möchte der NDR schließen – nicht mit einem Vollprogramm, sondern mit dem digitalen Zusatzangebot NDR Plus. Damit ergänzen wir – mit geringem finanziellem Aufwand – unser Klangbild und unsere digitalen Radiosender.“

Virtuelle „Schlagerwelt“ im Aufbau

Jubel auch bei den Schlagerfreunden in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Nachdem auch die dort sendende ARD-Anstalt in den letzten Jahren deutschsprachige Schlager konsequent aus den Landesprogrammen gegen überwiegend englischsprachige Oldies getauscht hatte, verleiht der Mitteldeutsche Rundfunk dem Genre nun neues Gewicht und bündelt seine „Schlagerwelt“ im TV, im Netz und im Digitalradio. Das DAB+ Schlagerprogramm wird „MDR Schlagerwelt“ heißen und noch in diesem Jahr auf Sendung gehen.

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Das neue Programm soll Teil einer multimedialen Plattform sein, die in Zusammenarbeit der drei MDR-Landesfunkhäuser in Magdeburg, Dresden und Erfurt mit dem Programmbereich Unterhaltung der MDR- Fernsehdirektion aufgebaut wird. Zielgruppe sind Hörer, Zuschauer und User, die sich für Schlager und deutschsprachige Musik interessieren sowie einen ausgeprägten regionalen Bezug der Wortanteile des Programms erwarten. Immer zur halben Stunde werden Landesnachrichten gesendet, die getrennt in den beteiligten Bundesländern zu hören sind. Nach Auskunft des Mitteldeutschen Rundfunks bietet dieses Programm für Schlagerinteressierte einen zusätzlichen Mehrwert, indem über alle Verbreitungswege – Radio, Fernsehen und Online – eine virtuelle Schlagerwelt aufgebaut wird. Die Produktion und Federführung liegt im MDR-Landesfunkhaus Thüringen.

Gesetz verhindert WDR-Schlagerwelle

WDRAuch beim Westdeutschen Rundfunk (WDR) gab es Pläne für ein digital ausgestrahltes Schlagerprogramm. WDR-Sprecherin Annika Hoffmann: „Nach den guten Erfahrungen aus Bayern mit den auf die ältere Zielgruppe ausgerichteten Digitalprogrammen Bayern plus und BR Heimat hat auch der WDR über ein Programm für die ältere Generation mit Schlager, Volksmusik und Operette nachgedacht. Denn offensichtlich ist gerade die ältere Generation bereit, sich für den Digitalradio-Umstieg ein neues Radiogerät zu kaufen – also nicht übers Internet zu empfangen. Unsere Pläne fanden im Zuge der Novellierung des neuen WDR-Gesetzes im Januar 2016 leider keine Berücksichtigung. In Folge dessen gibt es derzeit keine aktuellen Pläne für ein erweitertes WDR-Angebot.“ Warum die NRW-Medienpolitik ausgerechnet der bevölkerungsreichen Schlagerhochburg Nordrhein-Westfalen ein Schlagerradio verweigert wird wohl deren Geheimnis bleiben. Am lieben Geld kann es nicht gelegen haben – das angedachte Programm war als Low-Budget-Spartenangebot mit nahezu ausschließlich Musik – und wenigen weiteren Programminhalten – angedacht.

BR-Programme als Vorbild: so viele Hörer wie nie zuvor

BR HeimatFür den Sinneswandel pro Schlager innerhalb der ARD-Anstalten gibt es eine Reihe guter Gründe. Erstens fördert die ARD mit zusätzlichen Gebührengeldern die Einführung der neuen Technologie. Und die Starts kostengünstiger Schlagerradios für eine von der öffentlich-rechtlichen Hand digital bislang nicht eben üppig versorgten – aber doch konstant großen – Hörergruppe ließe sich gegenüber den strengen Finanzkontrolleuren leichter vermitteln als das Anschieben weiterer Pop-Spartenradios. Zweitens dämmen die Sender mit diesen Angeboten die noch immer anhaltende Protestflut gegen die Streichung von Schlagern aus ihren UKW-Programmen ein. Die Wut enttäuschter Hörer führte in manchen Regionen gar zur Bildung von Bürgerinitiativen und Parlamentsanfragen. Drittens erfreut sich das Genre hartnäckig einer hohen Beliebtheit unter der Hörerschaft – und diese soll nicht ohne Not privaten Mitbewerbern überlassen werden. Vor allem aber registrierten die ARD-Riesen aus dem Norden und im Westen der Republik sowie in Mitteldeutschland aufmerksam die Programmpolitik im eigenen Lager: So erweisen sich beispielsweise die Spartenkanäle Bayern plus (Schlager) und BR Heimat (volkstümliche Musik) in Bayern bereits kurze Zeit nach Sendestart als echte Publikumserfolge und Beispiele für eine gelungene Programmausrichtung. Hier ersetzte der Bayerische Rundfunk (BR) die gestrichenen Schlageranteile innerhalb seiner Welle Bayern 1 durch zwei digitale – auf spitze Zielgruppen hin ausgerichtete – Musikbeiboote. Die neuen Mitglieder der BR-Familie präsentieren neben Schlagern bzw. volkstümlicher Musik auch Musikspezialsendungen sowie Nachrichten, Service, regionale Beiträge und Unterhaltung. Die ersten Hörerreaktionen auf die neuen Angebote sind nach BR-Angaben überaus ermutigend.

Norbert Küber (Bild: ©BR)
Norbert Küber (Bild: ©BR)

Bayern-plus-Wellenchef Norbert Küber: „,Seit ich digital höre, kann ich euch empfangen. Vielen Dank, dass es Bayern plus gibt, es ist ein Super-Programm.’ Diese Mail eines Hörers aus Kempten zeigt beispielhaft für viele begeisterte Reaktionen, dass das Konzept einer digitalen Schlagerwelle bei Bayern plus voll aufgegangen ist. Inzwischen hat Bayern plus so viele Hörerinnen und Hörer wie nie zuvor.“

Offzielle aussagekräftige Zahlen über die Nutzung digitaler Angebote in Deutschland sollen am 5. September vorgelegt werden. Auftraggeber dieser Erhebung sind u.a. die deutschen Landesmedienanstalten, die ARD und Radio Energy. Die von vielen Experten befürchtete fehlende Affnität des Schlager- und Volksmusik-Klientels gegenüber der vermeintlich komplizierten DAB+ Technik scheint indes vom Tisch. Stefan Frühbeis, Wellenverantwortlicher bei BR Heimat: „Es ist heute bereits klar erkennbar, dass der Empfang mit der neuen DAB+ Technik keinerlei Probleme bereitet.“

Musikbranche profitiert

Das Mehr an Programmvielfalt dürfte neben den Hörern auch den Musikschaffenden zugutekommen. Zuletzt hatten sich Interpreten, Urheber und Produzenten lautstark über den massiven Abbau von Schlageranteilen in den ARD-Hörfunkprogrammen beschwert. Bayern-plus-Chef Norbert Küber: „Auch in der Musikbranche hat sich Bayern plus als feste Größe etabliert – Stars wie Roland Kaiser, Nicole, Heino oder Michelle kommen gern ins Nürnberger Bayern-plus-Studio. Insgesamt waren im ersten Jahr rund 300 Prominente, Experten und Menschen mit interessanten Biographien zu Gast.“

Privatfunk kritisiert ARD-Pläne

SchlagerparadiesProtest gegen die öffentlich-rechtliche Schlageroffensive formiert sich dagegen auf Seiten der privaten Mitbewerber. „Wir sind einigermaßen irritiert, dass nach dem Bayerischen Rundfunk nun auch der NDR ein eigenes, digitales Schlagerprogramm starten möchte“, reagierte Frank Brach verärgert. Als Programmchef betreibt er mit seiner Sendergruppe RMN Radio seit über zwei Jahren das bundesweit via DAB+ ausgestrahlte Angebot Radio Schlagerparadies (vormals Schlagerhölle). „In den zurückliegenden Jahren haben sich alle großen ARD-Anstalten mit ihren ,Einserprogrammen’ vom Schlager verabschiedet, besonders der NDR hat seine Welle Nord schlagerfrei gemacht und als Format für jüngere Zielgruppen positioniert. Wir haben mit Schlagerparadies allen Schlagerfans eine echte Heimat gegeben, sind ins Risiko gegangen und haben in Digitalradio investiert. Und nun, da wir die Früchte für unseren unternehmerischen Mut ernten, gönnt uns die ARD den Erfolg nicht mehr“, so Brach gegen die nach seiner Auffassung „durchsichtigen Pläne von BR und NDR“. Frank Brach führt neben „sehr guten Hörerzahlen“ weitere Argumente ins Feld: „Schlagerparadies richtet sich an die Zielgruppe 20 bis 59 Jahre. Um den deutschen Schlager zu fördern, nehmen wir fortlaufend Newcomer-Titel in die Rotation. Es kann und darf nicht sein, dass dieser Erfolg jetzt mit Gebührengeldern zunichte gemacht wird. Ansonsten wird künftig jedes private Investment im deutschen Radio von vornherein verhindert. Das tut sich irgendwann keiner mehr an.“

Auch bei den Privatfunkverbänden Arbeitsgemeinschaft Privater Rundfunk (APR) sowie Verband Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) stoßen die neuen Schlagerangebote der ARD auf wenig Gegenliebe. Der VPRT sieht im Plan des NDR gar „eine Gefährdung der dualen Rundfunkordnung“. Ungeachtet dieser Diskussionen scheint der bisherige Erfolg die privaten Radiomacher eher zu beflügeln.

Herbert Pjede (Bild: @Schlagerparadies GmbH)
Herbert Pjede (Bild: @Schlagerparadies GmbH)

Herbert Pjede, Geschäftsführer von Schlagerparadies, erklärt: „Unser Hauptverbreitungsweg ist bereits heute DAB+. Wir rechnen mit permanent steigenden Verkaufszahlen der entsprechenden Empfangsgeräte. Da auch die Autohersteller nach anfänglichem Zögern mehr und mehr DAB+ Radios anbieten oder sogar serienmäßig einbauen, ist auch in diesem Bereich mit einem deutlichen Zuwachs zu rechnen. Berührungsängste können wir bei unseren Hörern nicht feststellen. Nicht nur die jüngeren Schlagerfreunde sind sehr DAB+-affin, auch die älteren unter unseren Hörern kommen mit den DAB+ Empfängern gut zurecht.“

XPLR: MEDIA Radio-Report