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Radio & Musikstreaming – Freund oder Feind?

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Von Michael Krause

Vor kurzem war ich zu einer Sitzung der deutsch-französischen Hörfunkkommission als Gast geladen. Zusammen mit Radio-Verantwortlichen aus Frankreich und Deutschland sollte es um die Frage gehen, ob ich (als Vertreter von Musikstreaming) ein Feind oder ein Freund bin. Das Treffen hat mich dazu veranlasst noch mal über das generelle Verhältnis von Radio und Streaming nachzudenken.
 

Status Quo

Nachdem Radiomacher das Thema Streaming zunächst ein paar Jahre von außen beobachtet haben, wird jetzt der Druck größer, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Streaming ist im vergangenen Jahr (2015) erneut um 106 % gewachsen (Deezer sogar um 348 %) und laut einer Bitkom Studie, die allerdings auch Youtube (und andere nicht registrierungspflichtige Dienste einbezieht), streamen bereits über 20 Mio. Deutsche Musik im Internet.

Für die Radionutzung gilt allerdings auch: In Deutschland wird immer noch extrem viel Radio gehört. Aktuell in der Woche von 77 % der über 10-Jährigen und im Schnitt 189 Minuten am Tag.

Dies wird nur noch vom Fernsehen übertroffen, bei dem die durchschnittliche Nutzung bei 237 Minuten täglich liegt (Quelle VPRT.de). Musikstreaming liegt hier im Schnitt mit ca. 60 Minuten am Tag noch eher hinten.

 

Warum sollte sich das Radio trotzdem Gedanken machen?

Es gibt ein paar Themen, die dennoch Anlass sein sollten, sich Gedanken zu machen. Zum einen haben Radiosender nicht genug digitales Werbeinventar, um die Buchungslust der Kunden in diesem Bereich zu befriedigen. Performance Marketing wird bei den Werbekunden immer wichtiger und Radio tendiert dazu, in der Welt von Click-Through-Rates und feinstem Targeting immer weniger Interesse bei Marken zu erzeugen.

Die Webseiten der Sender sind tendenziell schwach frequentiert, einzelne Sender Apps bieten nicht genug Mehrwert für den Endkunden, um relevant zu sein. Aktuell müssen also zum Teil Budgets abgelehnt werden, weil sie nicht ausgespielt werden können.

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Wie eine Studie von Deloitte (s.o ) aber auch andere Studien zeigen, bricht außerdem die Nutzung bei der jungen Zielgruppe langsam aber unaufhaltsam ein und ein Abwärtstrend ist erkennbar. In anderen Ländern ist dieser noch dramatischer als in Deutschland.

Die jungen Zielgruppen konsumieren YouTube, Soziale Netzwerke und Streaming-Dienste. Lineares Radio spielt in ihrer Lebenswelt vielfach keine große Rolle mehr. Zumal gerade im privatem Radio die Sucht nach Reichweite ziemlich einförmiges Chartprogramm erzeugt hat, welches für viele Jugendliche einfach nicht mehr spannend genug ist.

Last but not least droht eine der Kernkompetenzen der Radios ihre Exklusivität zu verlieren. Radio produziert großartigen Audio Content. Vor allem der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann mit liebevollen Programmen glänzen. Hörspiele, wie der Radio Tatort, Talkshows, Comedy, Dokumentationen und Sportübertragungen bieten einen Mehrwert, der bisher dem Hörfunk vorbehalten war.

Aber auch diese Domäne gerät unter Druck. Wir bei Deezer haben mit dem Stitcher Katalog über 40.000 Podcasts integriert sowie zusätzliche lizensiert und produziert und setzen verstärkt auf Hörspiele und Hörbücher. Spotify ist sogar so weit gegangen, mit Schulz und Böhmermann zwei Zugpferde des Jugendprogramms direkt von radioeins abzuwerben und medienwirksam bei sich zu integrieren.
 

Freund oder Feind?

Die schwierigen Fragen für Radiomacher lauten also: Wie lässt sich die Jugend wieder erreichen, wie geht man mit Streamingdiensten um? Soll man sie ignorieren oder gar gegen sie vorgehen? Findet man Wege, mit ihnen zu kooperieren? Ich möchte in dieser Frage nicht im Sessel der Programmchefs sitzen, da die Entscheidungen nicht einfach sind, habe aber trotzdem eine klare Meinung.

Radiomacher werden digitale Musikstreaming-Dienste nicht mehr stoppen können. Diese werden weiter Zielgruppen abwerben und langsam mehr und mehr exklusive Domänen der Kunden gefährden. Sei es im Auto, wo Streamingdienste immer smarter und tiefer in Entertainmentsysteme integriert werden, oder in der Küche, wo statt FM Radio immer öfter Sonos- oder Bluetooth-Lautsprecher Einzug halten, in denen der Kunde nicht mehr auf FM Radio angewiesen ist.

Ignorieren oder auch boykottieren wird in meinen Augen langfristig keinen Zweck haben und das Wachstum weder maßgeblich verlangsamen noch stoppen.

Ich würde mich daher voll auf das neue Thema einlassen und Streamingdienste eher als Infrastruktur betrachten. ARD und ZDF lizenzieren ihre Programme ja auch an kommerzielle Kabelnetzprovider. Auch wenn diese für den Zugang Geld verlangen und zum Teil eigene Programme entwickeln oder lizenzieren. Der Vergleich mag für den Zweifler hinken, aber für meine subjektive Sicht passt er gut.
 

Mögliche Kooperationsansätze zwischen Radio und Streaming:

Moderatoren als Marken aufbauen:

Der Fall Böhmermann und Schulz zeigt, dass es im Audiobereich genau wie auf Youtube oder TV vor allem um Marken geht. Moderatoren mit klarem Profil, die junge Menschen begeistern und zu loyalen Fans machen. Ich würde Musikstreaming-Dienste nutzen, um den Markenaufbau dieser Moderatoren weiter voran zu treiben, sie Playlisten erstellen und kommentieren lassen, Podcasts aufnehmen und mit anderen Künstlern sprechen lassen, um die Reichweite zu erhöhen. Wenn ich dann exklusives Programm dieser Moderatoren in meinem linearen Programm habe, kann ich sicher auch junge Leute eher wieder dazu bewegen, sich mit FM Radio auseinanderzusetzen.

Gemeinsame Vermarktungsansätze suchen

Streamingdienste wachsen so schnell, dass es viel ungenutztes Werbeinventar gibt. Also genau das, was Werbekunden bei Radiosendern anfragen. Als privater Radiomacher würde ich daher Kooperationen mit Streamingdiensten eingehen und den Werbekunden dann konvergente Kampagnen im FM Radio in Kombination mit programmatischen Elementen im Musikstreaming im Paket anbieten. So kann ich meinen Umsatz und Gewinn erhöhen, ohne eigene Investments betreiben zu müssen. Mache ich damit Musikstreaming-Dienste unnötig groß? Vielleicht, aber stoppen kann ich sie (siehe oben) eh nicht, warum also nicht zumindest mitprofitieren, wenn die Salesforce eh im Hause sitzt?

Gemeinsame Contentproduktionen

Musikstreaming-Dienste werden sich weiter durch exklusiven Content voneinander abheben wollen. Schon jetzt gibt es um Sessions oder Inhalte von angesagten Moderatoren und Bands einen Bieterwettstreit. Hier würde ich mich als Radiosender einklinken und mit einem Streamer verbünden. Eine Session mit einer großen Band zum Beispiel lässt sich mit der gemeinsamen Power viel besser akquirieren. Die Nutzung kann dann linear exklusiv beim Radiosender stattfinden, die On-demand-Rechte können dem Streamingdienst zugestanden werden. Kosten lassen sich teilen. So profitieren beide Seiten.
 

Fazit

Das Verhältnis zwischen Radio und Streamingdiensten ist angespannt und wird aktuell intensiv diskutiert. Radio wird nicht über Nacht irrelevant, genauso wie auch CDs weiter verkauft werden. Eine Abwanderung (anfänglich eher junger Zielgruppen) zu digitalen Diensten lässt sich aber langfristig nicht stoppen und er wird sich auch im Laufe der Zeit nicht verringern. Ob mit oder ohne Kooperationen wird Musikstreaming nicht wieder verschwinden oder irrelevant werden.

Meine Handlungsempfehlung für die Entscheider beim Radio ist daher, sich auf die Streamingdienste einzulassen und das Beste draus zu machen. Wer sich von Anfang an voll engagiert und frühzeitig Kooperationen erarbeitet, wird langfristig am meisten profitieren. Die BBC ist mit einer engen Integration in Streamingdienste in England ein gutes Beispiel dafür, in welche Richtung die Entwicklung inhaltlich gehen kann.

Dieser Artikel ist original erschienen auf XING.de

 

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Über den Autor:

Michael Krause ist seit November 2015 Vizepräsident bei Deezer für den Bereich Zentral-und Osteuropa

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