MA-Rhetorik

Bitter Lemmer

Das ging echt schnell: Kaum war das Endspiel vorbei, Materazzi gefällt, Zizou geächtet, da rollte Fußballdeutschland sein schwarz-rot-geil wieder ein und ging nach Hause. Frust schieben statt Fanmeile. Problembeck statt Klinsi. Große Koalition statt Nationalmannschaft. MA statt Tabelle.

Fast alle haben verloren, fast alle behaupten das Gegenteil. Wie in der Politik: Wenn die Realität nicht die gewünschte ist, wird sie durch Rhetorik ersetzt. Es wird so lange in den Zahlen gewühlt, bis irgendein positiv deutbares Detail gefunden ist. Mitarbeiter, Gesellschafter und Berichterstatter werden mit purer Propaganda beworfen. Gesicht wahren, lautet die Devise – leider die einzige Disziplin, in der wir Deutschen die Asiaten derzeit übertreffen.

Klinsi ist da anders. Vielleicht, weil er echten persönlichen Erfolg vorzuweisen hat, der von niemandem wegdiskutiert werden kann. Weil er strategisch und konsequent daran gearbeitet und etwas riskiert hat. Seine neuen Trainingsmethoden und sein neuer Spielerkader waren mutige Entscheidungen, für die er fast zwei Jahre lang Prügel bezogen hatte. Trotzdem blieb er hart. Mit dem Erfolg überzeugte er am Ende auch seine natürlichen Feinde, die opportunistischen Feiglinge.

Dummerweise hatten die umgekehrt auch Klinsi überzeugt – dahingehend nämlich, daß in Deutschland der gnadenlose Populismus regiert und gutes Meinen mehr zählt als gutes Machen. Populismus manifestiert sich heutzutage vor allem in jeglicher S-Ideologie – sozial bis sozialistisch, mit und ohne N in der Vorsilbe. Der S-Populismus schürt Ängste vor Ausländern – vor denen hier im Land und/oder in Form der Globalisierung -, Ängste vor dem Atom, dem Fortschritt und jeglicher Veränderung. Der S-Populismus liebt den Stillstand, hält alles Neue erstmal für angsteinflößend und bedenkenerweckend und sieht grundsätzlich nur die Risiken, nie aber die Chancen.

S-Populisten schüren Ängste, weil sie selber ängstlich sind. Sie fürchten Konkurrenz. Doch statt einfach besser zu sein als die anderen errichten sie protektionistische Mauern. Sowas wie gesetzlichen Zwangs-Ladenschluß, Zwangs-Sozialversicherung, Zwangs-Krankenversicherung oder Kündigungsschutzgesetz. Die Spezialmauern im Radiogeschäft heißen Medienrecht und Beteiligungsklüngel. Erstaunlicherweise bemerken viele Chefs nicht die Widersprüche, die diesem System innewohnen. Einerseits stellen sie keine neuen Mitarbeiter fest ein (wg. Kündigungsschutzgesetz – man wird die ja nie wieder los), andererseits ist man heilfroh, daß derselbe Regulierungswahn den heimischen Bundesland-Markt unter Kontrolle und allzu viel Konkurrenz fern hält.

Die höchsten Schutzmauern stehen natürlich um den Staatsfunk. Gemäß Orwell’scher Neusprech-Definition wird dieses Gebilde als staatsfern bezeichnet, obwohl es – einzigar-tig – eine staatlich-gesetzliche Entwicklungs- und Bestandsgarantie besitzt, seine Einnahmen nicht vom Markt abhängen, sondern von den Landtagen und seine Spitzenpersonalien von parteipolitisch-staatsnahen Rundfunkräten besorgt werden.

Immerhin gab es diesmal eine kleine Quittung dahingehend, daß der Privatfunk weniger Hörer verloren hat als der Staatsfunk. Dafür hat der staatliche Bayerische Rundfunk die bemerkenswerteste Pressemitteilung abgeschossen. Da wird über den “Ausbau der Infor-mationsstrecken” schwadroniert, während ausgerechnet das hauptsächlich langweilige PC-Programm B5 kräftig verloren hat und ein angeblicher Erfolg von B1 (in der MA minus 50.000 Hörer/Stunde netto) mit irgendwelchen Zahlen herbeiphantasiert wird, die nach “Hörer gestern” klingen und wohl eher zur Verwirrung der Geister in den Topf geworfen wurden. Vielleicht, um von einer der Ausnahmen dieser MA abzulenken, dem klaren Erfolg der Antenne Bayern. Dafür: Glückwunsch!


Lemmer
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de