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„Blöd, aber gerecht“

Bitter Lemmer

Wie das Land, so die Branche. Die Zahl derjenigen, die bei Wahlen noch mitspielen, wird immer kleiner. Wie im Radio, wo die Gesamtzahl der Hörer in den letzten Jahren auch immer kleiner wurde.

Beide, Partei- wie Senderchefs, agieren dabei ganz ähnlich. Sie verwischen die Unterschiede zwischen Sendern oder Parteien. Sie konkurrieren um dieselben Zielgruppen. Sie flüchten sich in gekünstelte Marketingaktionen, um „den Unterschied“ zu präsentieren, den es in Wahrheit gar nicht gibt. Sie erfinden wohlfeile Schlagworte, von denen sie sich Zustimmung erhoffen, vergessen aber darüber Substanz und Inhalte.

Ein beliebtes Radioschlagwort heißt z.B. „Vielfalt“, ein völlig entleerter Begriff. Was soll damit gemeint sein? Dass der Sender im Vergleich zur Konkurrenz zur Vielfalt beiträgt? Dass das Programm in sich vielfältig sei? Dass eher selten dasselbe Musikstück mehrfach hintereinander wiederholt wird? Und warum soll „Vielfalt“ überhaupt ein Grund sein, einen Sender einzuschalten? Ist „Vielfalt“ neuerdings die Steigerung von „gut“, „spannend“ oder schlicht „hörenswert“?

In der Politik heißt das Schlagwort der Stunde „Gerechtigkeit“. Die Gesundheitsreform, die Steuern, Hartz IV, die Arbeitslosigkeit, die Umverteilung, das böse Siemens, das unfähige Airbus – alles vor allem ungerecht. Also muss Gerechtigkeit her, ist sich die schwarz-rot-rot-grün-blaugelb-braune Koalition einig. Vom PDS-Kommunisten bis zum NPD-Nazi, vom SPD-Sozi bis zum CDU-Sozi – alle wollen Gerechtigkeit. Arbeitsplätze statt Arbeitslosigkeit finanzieren, sagt die PDS, als wachse das Geld auf den Bäumen. Das glaubt auch die Regierungskoalition, die es mit vollen Händen ausgibt, ohne es zu haben. Für die Gerechtigkeit – zumal die „soziale Gerechtigkeit“ – ist kein Preis zu hoch. Aber was bedeutet „Gerechtigkeit“? Dass alle dasselbe haben? Dass alle gleichermaßen ihre Steuererklärung, das Gesundheitssystem oder die tiefere Schöpfungsquelle schwachsinniger Medienlizenzpolitik nicht mehr verstehen? Dass jeder, der die parteiamtlichen Gerechtigkeitsdefinitionen nicht teilen mag, ein ungerechter, also schlechter Mensch sei?

Arbeiten sie jetzt etwa alle gemeinsam an der Verblödung des Volkes? Zur Demokratie gehört Bildung, sagte unlängst Herr Paul Kirchhof, dessen Berufsbezeichnung „Professor“ seit dem letzten Wahlkampf ja ein Schimpfwort ist, was eine Menge über unser Land aussagt. Vor allem der staatliche Rundfunksektor scheint sich gerade darin zu gefallen, nunmehr den „Bildungsauftrag“, der ja eine Grundlage für die GEZ-Zwangsgebühr ist, auf innovative Weise auszuleben. Kein Interview im RBB-Inforadio, in dem nicht irgendwann die Killerfrage gestellt würde, die einheitlich bei fast jedem Thema lautet: „Und wie steht es um die Gerechtigkeit?“

Und wie, möchte man zurückfragen, steht es um die Intelligenz?

Lemmer
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de

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