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Fußball live im Radio: „Tooor für Mittweida!“

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Von Horst Müller

Live-Reportagen von großen Sport-Events sind der Traum für viele Nachwuchsleute im Radio und können durchaus Sprungbrett für eine große Karriere in den Medien sein. Doch vor den ersten Reporter-Einsätzen in der Allianz Arena oder im Signal Iduna Park ist jede Menge Training erforderlich. Medienstudenten der Hochschule Mittweida übertrugen deshalb live ein Spiel aus der 7. Fußball-Liga. [Titelbild: Fotomontage mit Bildmaterial von 99drei Radio Mittweida]

99drei Sportreporter Florian Bernhardt, Lukas Fröhlich und Marvin Christmann (Bild: 99drei Radio Mittweida)
99drei Sportreporter Florian Bernhardt, Lukas Fröhlich und Marvin Christmann (Bild: 99drei Radio Mittweida)

Wenn der SV Germania Mittweida in der sächsischen Kleinstadt seine Gegner aus der Landesklasse Mitte empfängt, verirren sich in der Regel nur ein paar Dutzend Anhänger, Spielerfrauen, Verwandte und Nachbarn inklusive, auf den Nebenplatz des örtlichen Stadions am Schwanenteich. Der Hauptplatz mit Tribüne und Sitzplätzen wird seit geraumer Zeit umgebaut und soll im September endlich wieder zur Verfügung stehen. „Na hoffentlich wird  unser Stadion noch vor dem Berliner Flughafen fertig“, witzelt einer der wenigen Zuschauer, die an diesem Samstagnachmittag zum Heimspiel gegen den SV Wesenitztal gekommen sind. Die Dramatik vor Beginn dieses Punktspiels der 7. Liga ist überschaubar: Mittweida ist zwar Tabellenzweiter, hat aber auf den Aufstieg in die Sachsenliga bereits freiwillig verzichtet. Der Gegner ist Tabellenvorletzter und scheint den Platzherren in der Spielstärke von vornherein hoffnungslos unterlegen zu sein.

99drei Moderatoren Dominik Schille und Fränze Schönbrodt (Bild: 99drei Radio Mittweida)
99drei Moderatoren Dominik Schille und Fränze Schönbrodt (Bild: 99drei Radio Mittweida)

Dennoch ist diesmal am Rande des Kunstrasenplatzes einiges los: Kabel werden verlegt, Reporterplätze aufgebaut und Mikrofone ausprobiert: „Hallo, hallo, hört ihr mich?“ Ein Teil der Sendemannschaft von 99drei Radio Mittweida ist angerückt, um das sportlich eher bedeutungslose Spiel der 7. Liga in Einblendungen live im Programm des Lokalsenders zu übertragen. „Wir wollen nicht nur theoretisch lernen, wie Sportübertragungen im Radio ablaufen, sondern wir wollen diese Erfahrungen selbst machen“, erläutert Fränze Schönbrodt Einsatz und Aufwand. Gemeinsam mit den beiden Programmchefs Bente Pohlmann und Kevin Funk hat sie das Projekt „Live-Übertragung“ geplant und auch gleich mit umgesetzt. Damit nichts schief geht, moderiert und koordiniert die Medienmanagement-Studentin im Studio die Spezialsendung, zusammen mit ihrem Kommilitonen Dominik Schille.

99drei Radio Mittweida ist der einzige von Studenten gestaltete lokale Radiosender in Deutschland. Das Programm wird in Mittweida (Mittelsachsen) und der näheren Umgebung über UKW 99,3 MHz sowie als Livestream im Internet verbreitet. Die Mitarbeit bei dem Sender ist Teil der praktischen Ausbildung in den Bachelor-Studiengängen Medienmanagement und Media and Acoustical Engineering sowie im Master-Studiengang Media and Communication Studies der Fakultät Medien an der Hochschule Mittweida.

Fortwährendes Üben von Live-Übertragungen sind für Konni Winkler unbedingte Voraussetzungen, um als Sportreporter bei einem Radiosender einsteigen zu können. „Man muss etwas vorweisen können, um überhaupt eine Chance zu bekommen, am besten Mitschnitte von eigenen Reportagen“. Samstagnachmittag hat er als Anchor der Konferenzschaltung bei Sport1.fm am letzten Spieltag der Fußball-Bundesligasaison 2015/16 mehr als zwei Stunden lang neun Reporter in den Bundesligastadien an- und abmoderiert, dazu auch noch deren Einsätze koordiniert und den gesamten Sendeablauf gesteuert. Wer so einen Job übernehmen will, muss nicht nur weitgehend stressresistent sein, sondern auch über technische und verbale Fähigkeiten verfügen und vor allem „sich im Fußball blind auskennen“, sagt der 35jährige.

Konni Winkler (Bild: Sport1.fm)
Konni Winkler (Bild: Sport1.fm)

Konni Winkler machte erste Radio-Erfahrungen beim Aus- und Fortbildungskanal AFKmax und anschließend eine fast typische Radio-Karriere mit Stationen unter anderem bei Antenne Bayern und MDR Sputnik. Als die Rundfunkbeteiligungsgesellschaft REGIOCAST im Jahr 2008 mit 90elf Deutschlands erstes Fußballradio startete, gehörte er zur Gründungsmannschaft und wechselte 2014 – genau so wie die Übertragungsrechte – zu Sport1.fm, dem Audio-Ableger des fast gleichnamigen TV-Kanals. Seit diesem Frühjahr pendelt Winkler regelmäßig von Ismaning bei München, wo Sport1.fm seine Studios hat, nach Erfurt. Dort moderiert er bei der Landeswelle Thüringen die unterhaltungsorientierte Vormittagssendung (RADIOSZENE berichtete).

Jörg Pilawa Anfang der 1990er Jahre im Studio von R.SH (Bild: R.SH mit Dank an Martin)
Jörg Pilawa Anfang der 1990er Jahre im Studio von R.SH (Bild: R.SH mit Dank an Martin)

Ob für Konni Winkler der Zweitjob bei der Landeswelle schon so etwas wie ein Sprungbrett in die Unterhaltungsbranche ist, bleibt abzuwarten. Zumindest gibt es berühmte Vorbilder wie Jörg Pilawa, der sich zu Beginn der 1990er Jahre von den Heimspielen des damaligen Bundesligisten FC Hansa regelmäßig aus dem Rostocker Ostseestadion im Programm von Radio Schleswig-Holstein (R.SH) meldete. Während die Kicker von der Küste inzwischen in der dritten Liga ums sportliche Überleben kämpfen, zählt der smarte Moderator längst zu den Stars der deutschen TV-Unterhaltung. Der frühere – inzwischen leider verstorbene – R.SH-Programmchef Hermann Stümpert erkannte frühzeitig das Unterhaltungspotenzial bei Pilawa und machte ihn vor mehr als 20 Jahren zum Moderator der Morgensendung. Von da aus führte dessen Karriere über eine Sat.1-Talkshow ins Abendprogramm der ARD. Nach einem nicht ganz so erfolgreichen Gastspiel beim ZDF kann sich Jörg Pilawa inzwischen die Sendungen selbst aussuchen, die er im „Ersten“ präsentieren möchte.

Interview mit Mittweidas Trainer Uwe Schneider (Bild: 99drei Radio Mittweida)
Interview mit Mittweidas Trainer Uwe Schneider (Bild: 99drei Radio Mittweida)

Von einer solch spektakulären Karriere können die drei 99drei-Reporter Florian BernhardtLukas Fröhlich und Marvin Christmann vorerst nur träumen. Dennoch – sie kommentieren das wenig spektakuläre Spiel der 7. Liga zwischen Germania Mittweida und SV Wesenitztal so ambitioniert, dass kaum ein Klassenunterschied zur 1. Bundesliga zu erkennen ist – zumindest nicht im Radio. Schließlich gibt’s auch noch zwei Treffer der Heimmannschaft lautstark zu bejubeln „Tooor für Mittweida“ und ein abschließendes Interview mit Germanias Trainer Uwe Schneider. Der will trotz des erneuten Sieges mit seiner Mannschaft weiterhin nicht aufsteigen – die Radiomacher von 99drei schon.

XPLR: MEDIA Radio-Report