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Digitalradio: „Nichtstun ist die schlechteste Option“

Interview mit Markus Ruoss, Sunshine Radio/HD Radio

Auf fast jeder Veranstaltung wird über die Digitalsierung des Hörfunks diskutiert. Wird 2009 jetzt das Jahr der Entscheidung für oder gegen Digitalradio? RADIOSZENE sprach am Rande der Münchner Medientage mit dem Schweizer Radiofachmann Markus Ruoss, der davor warnt, jetzt nicht zu handeln, sonst würden andere Investoren oder gar ein „Google Radio“ das Rennen gewinnen.

RADIOSZENE: Bei den Medientagen München gab man sich zur digitalen Zukunft des Radios etwas pessimistisch: Es gebe bis heute kein Geschäftsmodell. Wie sollen vor allem Privatveranstalter die Kosten schultern? Herr Linnenbach von der Regiocast machte die Bundesnetzagentur mitverantwortlich. Ist HD Radio die digitale Lösung?

Ruoss: Radio ist kein Plattformgeschäft, Radio ist ein Contentgeschäft. Die langen Diskussionen in Deutschland über DAB werden verständlicherweise allmählich mühsam. HD Radio ist keine Konkurrenz zu DAB, sondern eine Lösung für die lokalen und regionalen Veranstalter. Erfreulicherweise haben wir jetzt auch Zugang zu den Märkten in Deutschland, speziell, dass wir den HD Radio Feldversuch von Radio Regenbogen in Heidelberg begleitet haben. Die LfK in Stuttgart hat ja vergangene Woche die Resultate vorgestellt (s. Link). Dies alles wäre noch vor zwei Jahren völlig undenkbar gewesen. Interview Markus Ruoss

Markus Ruoss und Ulrich Köring
Markus Ruoss (HD Radio) im RADIOSZENE-Interview

RADIOSZENE: Ist die Plattform inzwischen egal? Hauptsache, es kommt überhaupt Digitalradio in Deutschland? 2009 soll entschieden werden: Digitalradio ja oder nein. Wo liegt das Problem?

Ruoss: Es herrscht totale Verwirrung. Einige sagen inzwischen sogar: Wir brauchen das alles nicht, in einigen Jahren wird sich ohnehin WLAN-Radio durchgesetzt haben. Das sind aber nur Ausflüchte; wir müssen uns mit Digitalradio beschäftigen. Eines ist klar: Mit DAB und DRM+ alleine ist die Branche nicht zufriedenzustellen. Markus Ruoss O-Ton 2 (mp3)

RADIOSZENE: Wo anfangen? Bei den Anbietern, bei den Geräten, beim Netzausbau?

Ruoss: Die Radiomacher müssen sich begeistern lassen. Angesichts der Präsentationen hier bin ich entsetzt darüber, wie stark die Geräteindustrie Druck macht, während die Öffentlich-Rechlichen- und Privatveranstalter überhaupt nicht die Führungsrolle übernehmen, die ihnen zukommen müsste. Man sollte also nicht immer den Schwarzen Peter an die Hersteller schieben. Die Radioveranstalter müssen es wollen und dann prüfen, wie viel Content sie zu generieren in der Lage sind und wie sich der Einsatz an den Märkten refinanzieren lässt. Danach erst kommt die Überlegung, über welche Plattformen der Content zu den Hörern kommt.Markus Ruoss O-Ton 3 (mp3)

RADIOSZENE: Im Moment herrscht aber eher die Angst vor, dass sich Investitionen in die neue Technik nicht refinanzieren lassen, wenn es zuwenig Geräte und nicht genügend Hörer gibt.

Ruoss: Das ist einerseits verständlich, aber andererseits besteht bei weiterem Zögern seitens der Veranstalter die Gefahr, dass andere Investoren und auch die Öffentlich-Rechlichen dann den Markt besetzen, von Google Radio gar nicht zu reden. Wer zu lange auf analoge Technik setzt, wird möglicherweise von der technologischen Entwicklung eines Tages überflüssig gemacht. Entscheidend ist: Wie können wir den digitalen Weg möglichst kostengünstig beschreiten? Nichtstun ist jedenfalls die schlechteste Option. Markus Ruoss O-Ton 4 (mp3)

RADIOSZENE: Es soll ein geheimes ARD-Papier über digitale Hörfunkplanungen geben. Wird hier womöglich das britische Modell mit starker BBC-Beteiligung greifen?

Ruoss: Geht es womöglich um die 44 Millionen, die die Privaten auch gerne hätten und weitere 16 digitale ARD-Kanäle? Das ist doch kein Geheimnis mehr. Ich persönlich finde das nicht gut. Wie sollen sich denn die Privaten diversifizieren, wenn man den öffentlich-rechlichen Rundfunk immer stärker werden lässt und den Privaten ihr Entwicklungspotential wegnimmt? Sehen wir uns doch die Vorgänge in England an: viele Private wurden mit dem Versprechen einer kostenlosen Verlängerung der Analoglizenzen zum Einstieg in DAB genötigt. Viele Veranstalter haben das inzwischen bereut. England ist ein riesiger DAB-Erfolg für die Senderhersteller, Multiplexbetreiber und diejenigen, die die Lizenzgebühren kassieren. Für die Veranstalter ist es hingegen ein finanzielles Fiasko. Das hat sich doch längst herumgesprochen. Verständlich, dass die privaten Veranstalter hierzulande abwartend reagieren. Aber noch mal: dazusitzen und von WLAN zu träumen, das geht nicht; wir müssen uns aktiv mit dem Thema auseinandersetzen.Markus Ruoss O-Ton 5 (mp3)


HD Radio2
HD Radio-fähige Radios existieren schon...

RADIOSZENE: Gibt es schon Radios, die alles können?

Ruoss: Ja, die gibt es bereits. Bei HD Radio muß man zwischen bundesweiter und regional-lokaler Verbreitung unterscheiden. Effizient ist die Technik auf der regional-lokalen Ebene. Die Geräte sind da, eine verbindliche Regelung fehlt hingegen noch. Die Regulierungs, – Planungs- und Standardisierungsarbeiten für Europa werden meiner Meinung nach noch 12 bis 24 Monate dauern. Markus Ruoss O-Ton 6 (mp3)

RADIOSZENE: Wann können wir auf Digitaltechnik umsteigen?

Ruoss: In der Schweiz werden die ersten HD Radio Bewilligungen bis Ende 2009 ausgegeben werden, ohne dass man das gesamte Frequenzband neu planen müsste; für die EU-Länder sehe ich 2010, vielleicht 2011. Ein deutscher Bundeskanzler soll ja mal gesagt haben, wo ein Deutscher gründlich hindenkt, wächst morgen kein Gras mehr. Also glaube ich, dass Deutschland nicht das erste EU-Land sein wird, wo es losgeht. Markus Ruoss O-Ton 7 (mp3)

RADIOSZENE: Ist die HD Radio Testphase in der Schweiz eigentlich schon abgeschlossen?

Ruoss: Nein, wir werden bis zum offiziellen Beginn ein weiteres Jahr Testphase beantragen, obwohl wir eigentlich bereits fertig sind. Wir prüfen nur noch den Einsatz preisgünstiger Umsetzer. Markus Ruoss O-Ton 8 (mp3)

RADIOSZENE: Gibt es keine gravierenden technischen Mängel? Aus den USA existieren einige Berichte über Probleme bei der technischen Reichweite und Störungen. Das wird bereits heftig in amerikanischen Internetforen diskutiert….

Ruoss:…und auch in einem bekannten deutschen Radioforum, wo ein Amerikaner auf Englisch postet und man sich dann nicht darauf einigen kann, in welcher Sprache man diskutieren will (lacht)! Solche Diskussionen sind aber völlig normal und unter 30 Forenteilnehmern findet sich dann zum Glück auch immer einer, der etwas von der Sache versteht, alles über die Materie gelesen hat und versucht, einiges geradezurücken. Ich selber habe mich auch bereits an Forendiskussionen beteiligt. Wenn sich aber jemand mit einer 8-Element-Yagi und einem 100 kHz-Schmalband-UKW-Empfänger in Aschaffenburg vom HD-Sender in Heidelberg gestört fühlt, hat das mit Radioversorgung doch nichts mehr zu tun. Auch in den USA herrscht natürlich zwischen den öffentlichen National Public Radio-Stationen und den kommerziellen Veranstaltern auch nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen. Tatsache ist: 1800 HD-Stationen existieren, die Geräte sind da, der Massenmarkt ist im Kommen und seitens der Hörer gibt es tatsächlich keine ernsthaften Einwände.Markus Ruoss O-Ton 9 (mp3)

RADIOSZENE: Einzelne Länder gehen aber doch wohl eigene Wege. Wird es verschiedene Plattformen geben?

Ruoss: Ja, aber das ist doch völlig normal! Es wird immer wieder vergessen: Die meisten Digitalempfänger in Deutschland sitzen im heimischen PC, IT Radio. Dann gibt es 17 bis 18 Millionen Satellitenempfänger. Entscheidend ist, dass die Chiphersteller die verschiedenen Techniken berücksichtigen. Da fehlt es noch an Zusammenarbeit. Dem Hörer ist das alles doch völlig egal. Der will sein spezielles Programm hören und sein Empfänger muss es beibringen, und das kriegen die Europäer leider noch nicht hin; übrigens nicht einmal mit der eigenen Norm DRM+. Ich bin jedoch zuversichtlich. Es braucht etwas Geduld, aber es kommt. Markus Ruoss O-Ton 10 (mp3)

RADIOSZENE: Herr Ruoss, wir danken für das Gespräch.

HD Radio Stand Medientage München 2008

Links:
Materialien zur Veranstaltung Wege zum digitalen UKW
HD Radio (Schweiz)

XPLR: MEDIA Radio-Report