Führen mit Sex

Bitter Lemmer

„Sex ist gesund und macht Spaß“. Das hat sich bis in die Redaktion der Frauenzeitschrift Emma herumgesprochen (siehe http://www.emma.de/06_6_praktikantinnen.html). Natürlich wissen die Emmas auch genau, wann und wo Sex eher unangebracht ist. „Gehen Sie nie, niemals, nie mit ihrem Chef ins Bett“, rät das Zentralorgan der Frauenrechte seinen Leserinnen. „Gehen Sie noch nicht mal mit ihm zum Abendessen“.

Natürlich hält sich nicht jederman daran. Vermutlich fast jeder hat schon von Affären in seinem Sender gehört oder selber welche gehabt. Radiosender sind ja in mancher Hinsicht eher wilde Veranstaltungen. Man trifft sich zu unchristlicher Uhrzeit, um seinen Hörern das Morgengrauen zu vertreiben. Verbringt eingesperrt auf engem Raum viele kreative Stunden miteinander. Geht gern mal hinterher einen heben. Feiert gute wie schlechte MA-Resultate, das jährliche Betriebsweihnachtsfest, moderiert womöglich zusammen das Neue Jahr an. Kommt dann gern auch mal hinterher auf einen letzten Kaffee mit rauf. Und peng.

Eine Statistik über den Ausgang solcher Abenteuer gibt es bedauerlicherweise nicht. Manche gehen gut aus und enden in Beziehungen, manchmal Ehen. Diverse Sender verzeichnen sogar Nachwuchs von Mitarbeiter-Pärchen. Die mir bekannten spielten/spielen sich mit ziemlich gleichberechtigten Partnern ab, die offensichtlich glücklich miteinander sind. Da freuen sich dann auch die Chefs, wenn zwei Kollegen emotional an sich und irgendwie an ihrem Sender hängen. Sowas motiviert ja schließlich. Man könnte sagen: Solche Beziehungen erleichtern den schwierigen Job der Personalführung.

Es gibt natürlich auch andere Beispiele. Emma sieht das so: „Wenn die Sache auffliegt, verläßt fast immer die Frau den Laden“. Kann sein. Aber vor der Ultima Ratio stehen andere Herausforderungen, vor allem dann, wenn tatsächlich zwei Hierarchie-Ebenen miteinander schlafen. Chef und Praktikantin – der Klassiker, der der Praktikantin selten den Job und dem Chef häufig nur Spott einträgt.

Radio-bedingt geht es sogar noch tückischer. Etwa so: Moderations-Coach und Moderatorin. Das ist deshalb fatal, weil gutes Moderations-Coaching nur funktioniert, wenn die Patientin dem Doktor Vertrauen entgegenbringt. Sich quasi seelisch nackig macht. Will der Coach sie aber auch anderweitig nackig, neigt sie zur Verspanntheit – verständlicherweise. Und sollte sich herumsprechen, dass der Coach nicht nur die eine, sondern immer mal wieder auch diverse andere auf seine Spaßliste setzt, funktioniert das Coaching nur noch auf der Basis von Befehl und Gehorsam. Angst statt Vertrauen. Und das nicht nur bei den kleinen Privatstationen (wobei: von dort auch schon gehört), sondern sogar in den allerbesten Kreisen. Sogar in Anstalten mit Frauenbeauftragten, denen so etwas auffallen sollte. Oder wozu sind die da?

Also, liebe Frauenbeauftragte, machen Sie sich doch mal nützlich. Starten sie doch rein interessenshalber – sagen wir: aus arbeits-soziologischen Gründen – mal eine Umfrage unter weiblichen Moderatoren über Belästigungen beim vertraulichen Gecoache. Sollte ihnen da ein frisch gebackenes Pärchen begegnen – nicht irritieren lassen. Es wäre keineswegs voyeuristisch, den Fall näher zu untersuchen – denn die anderen, die eindeutig unfreiwillig Beteiligtinnen, könnten die Sache aus den geschilderten Gründen eher mobbig denn lustig finden.

Lemmer
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de