Plädoyer für die Radio-Globalisierung

Bitter Lemmer

Der größte US-Radiobetreiber verkauft einen Teil seiner Sender. Google drängt in den Markt für Zeitungs- und Radiowerbung. In den Elektromärkten tauchen neue Webradio-Geräte auf. Diverse Anbieter im WWW bieten auf verschiedene Weise individualisierte Musikstreams an. Apples iTunes verfügt nebenbei über eine riesige Liste von Radiostreams, die auf einen Klick Wunschmusik, Nachrichten oder Talk bringen – natürlich nur auf Englisch. Ja, das Radio verändert sich gerade. Nur nicht in Deutschland.

Hierzulande platzt gerade die Grundsatzlüge, mit der früher die Lizenzpflicht und Regulierung der elektronischen Medien begründet wurde. Da der Platz auf den verfügbaren Funkbändern beschränkt sei, könne logischerweise nur eine begrenzte Zahl von Anbietern zugelassen werden, hieß es in den 80-er Jahren. Eine marktkonforme Lösung, z.B. das Versteigern von Frequenzen, lehnten die Politiker als zu kapitalistisch ab, wobei es ihnen in Wahrheit nur darum ging, bestimmen zu dürfen, wer sendet und wer nicht.

Jetzt hat sich das Thema mit den begrenzten Funkfrequenzen demnächst erledigt, aber das Regulierungsthema bleibt bestehen. Die ersten Funk-Bürokraten stören sich bereits öffentlich daran, dass im Netz jedermann ohne Erlaubnis einfach senden darf. Offenbar ist noch nicht ganz geklärt, mit Hilfe welcher Märchen das diesmal verboten werden soll. Wahrscheinlich wird man behaupten, dass „die Leute“ – also wir alle – vor den Gefahren entfesselter Medienkapitalisten beschützt werden müssten. Worin diese Gefahren bestehen sollen? Abzocke à la 9live kann damit wohl nicht gemeint sein. Schon der Hotbutton war der BLM bekanntlich zu heiß. Der Vorstoß der sogenannten öffentlich-rechtlichen Sender, faktisch Staatssender, zeigt, worum es tatsächlich geht: Um die Monopolisierung der elektronischen Medien. Gesetzlicher Zwang und gigantische finanzielle Ressourcen, die „die Leute“, die man zu schützen vorgibt, zu zahlen verpflichtet sind, sollen den freien Teil der Medienwelt aus dem deutschsprachigen Teil des Netzes kicken.

Diese Kultur der Unfreiheit hat in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, dass News- und Talkformate entweder nicht existieren oder zum Weglaufen langweilig sind und dass die Vielfalt der Musikformate einfach nur zum Jammern eintönig ist. Der Rest der Welt ist gerade dabei, die Begriffe neu zu definieren. Hinter der Phrase „Content Is King“ steht die Strategie: Es geht nicht länger darum, als Sender eine bestimmte Frequenz zu vertonen, sondern bestimmte Inhalte zu produzieren – seien es Nachrichten, Reportagen, Hörspiele, Hörbücher, Musikkanäle, usw. Wo und wie die verbreitet werden wird dagegen immer unwichtiger. Markenbewußtsein und Hörerloyalität resultieren dann nicht mehr aus dem Einstellen des Radios auf eine bestimmte Frequenz, sondern aus dem inhaltlichen Produkt. Das muss so gestaltet und verbreitet sein, dass die Hörer bereit sind, dem Anbieter etwas Wertvolles zu geben – nämlich ihre Zeit.

Wer sich das klarmacht, versteht plötzlich, was im Rest der Welt gerade passiert. Warum also verkauft Clearchannel einen Teil seiner Sender, behält aber andere? Weil sich die Firma strategisch auf die „Content-Is-King“-Ära einstellt. Dafür benötigt man Leute und Kenntnisse für gute Inhalte, aber eben kontinuierlich weniger FM- und AM-Frequenzen. Weil nämlich gerade diese neuen Webradio-Kästen die Massenmärkte betreten und damit den Vertrieb der Inhalte revolutionieren, angetrieben von iTunes, last.fm und Co, von iPod, Podcast und Hörbuch und allem möglichen, was demnächst vermutlich noch erfunden wird.

Hierzulande drehen sich die Debatten dagegen um die Zukunft der überflüssigen Medienbehörden, des überflüssigen Staatsfunks oder den überflüssigen DAB-Unsinn. Mit dem Segen der Volksvertreter, die das Volk zur Zahlung für diesen Humbug verpflichten. Und der Konsequenz, dass wir landauf, landab Sender haben, die nichts anderes dürfen oder/und können als die größten Hits von einst und jetzt. Mal ehrlich – warum sollte sich das jemand aus einer Liste von tausenden Streams heraussuchen?

Nachtrag (20. Juni 2007)

So schnell kann einen die Aktualität einholen. Jetzt lassen die Staatsfunker ihre Gebührenpanzer im Netz aufmarschieren. Bereit, den deutschsprachigen Teil des WWW zu planieren. Die Diktatur der Gesellschafts-Pädagogen in den letzten Medienwinkel zu tragen. Die vorletzte Hoffnung, dies sei zu verhindern, liegt ausgerechnet bei der EU. Sollte die am Ende, wie meistens, dann doch einknicken, wäre nur noch zu überlegen, ob aufgrund des Fautschlags ins Gesicht eines freiheitlichen, pluralistischen und demokratischen Staatswesens ein Widerstandsrecht gegen die Bundesfunkundwebanstalten denkbar sein kann.

Siehe: ARD startet digitalen Großangriff (SPIEGEL ONLINE)
und: Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk: Digital oder gar nicht (SPIEGEL ONLINE)

Lemmer
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de