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Versprecher im Radio: Willi Keller präsentiert lustige Radiopannnen

Bild: dmitrimaruta / 123RF.com / Ralph Andreas

„In der Zwischenzeit hat die Polizei Kontakt zu dem Versprecher“

 

Willi Keller hat rund 38 Jahre beim SWF bzw. SWR gearbeitet. 1977 kam er als Volontär in die Nachrichtenredaktion – und blieb dort. Bei den Nachrichten hat er getextet, diktiert, gesprochen. Er war Chef vom Dienst und hat den Nachrichtenchef vertreten. Und er hat dafür gearbeitet, eine einfache Nachrichtensprache im Hörfunk zu verwenden. Dafür wurde er in der Redaktion „Worthauer“ oder „Sprachpapst“ genannt. Im Herbst 2015 ist Willi Keller in Rente gegangen. Hier erinnert er sich an seine Zeit in der Hörfunk-Nachrichtenredaktion. Und an die Versprecher.

Von Willi Keller

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen im Studio. Sie haben ihr Manuskript vor sich liegen. Gleich geht das Rotlicht an und Sie sind auf Sendung. Alles läuft planmäßig und plötzlich sagen Sie im Jahr der Behinderten „die spastische Untergrundorganisation ETA“.

Sie haben sich verlesen.

Der alte Sigmund Freud, der Psychoanalytiker, steht plötzlich neben Ihnen und sagt: „Du bist mit deinen Gedanken ganz woanders gewesen.“ Vielleicht ist der Sprecher
bei folgendem Satz auch außer sich gewesen: „In den modernen Krankensälen können bis zu 48 Patienten gleichzeitig umgebracht werden.“ Möglicherweise ist auch der Nachrichtenredakteur des SWR krank gewesen, als er über einen Kreideabbruch auf der Insel Rügen schreibt und den Unfallort „Wissower Kliniken“ nennt. In letzter Sekunde habe ich einst einen Affront gegen die Junge Union verhindert. Da hat meine Assistentin geschrieben: Die Junge Union, die Nachwichsorganisation der CDU…“ Man will gar nicht hinterfragen, an was die Assistentin in diesem Moment gedacht hat.

Klassische Versprecher passieren in der Regel Rednern, die sich ohne Manuskript äußern.

Da kann schon einmal ein Abgeordneter vor dem Parlament versichern, seine Fraktion stehe „rückgratlos“ hinter der Regierung. Oder Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt zum damaligen hessischen Ministerpräsidenten: „Lieber Roland Kotz…“ Oder der Fraktionschef der Union im Bundestag, Volker Kauder, betont: „Und ich setze viel auf den neuen Parteivorzenden Philipp Rösler.“ Kommt hier gnadenlos die persönliche Meinung von Merkel und Kauder zum Vorschein?

Was ist in den Nachrichtensprecher des SWR gefahren, als er verkündet: „Nach Angaben der Vereinten Nationen bleiben weltweit mehr als 920 Menschen dauerhaft unter Hunger.“ Diese an sich freudige Botschaft und andere sprachliche Missgeschicke nennt man Freudscher Versprecher. Dieser ist das Ergebnis von unbewussten Beweggründen. Kurz: Das Unterbewusstsein drängt in das Sprechen und fördert zu Tage, was der Sprecher eigentlich nicht sagen will, von dem er aber insgeheim doch überzeugt ist.

Ein echter Freudscher Versprecher ist einem SWF-Redakteur unterlaufen, der auf dem Höhepunkt des libanesischen Bürgerkriegs von „christlichen Miezen“ gesprochen hat. Ist da ein Schürzenjäger zu Wort gekommen?

Hilft uns Freud weiter bei folgenden Versprechern? „Tadic besteuert seine Unschuld.“ „Bosnische Scherben.“  „Die Kürzung der Lohnfortzahlung im Arbeitsfall.“ „Kotzen-Nutzen-Analyse.“ „Morgen haben wir noch einen anstrengenden Tag hinter uns.“ „Ich habe ihn über den grünen Klo gelobt.“ „Die Putzsau.“ „Lammkunden.“ „Auf Wiederröhren“. „Organisierte Banken”. „Wer zu spät kommt, den strafen die Hunde.“ (Bei vielen Versprechern ist der Grund der fehlende Umgang mit der Sprache. So werden gerade Sprichwörter und Redewendungen falsch wiedergegeben.)

Das freudsche Konzept hat viele Anhänger, aber auch Kritiker, darunter ist die Sprachforscherin Helen Leuninger. Sie meint, jemandem einen freudschen Versprecher anzuhängen, verrate mehr über den Hörer als über den Sprecher. Leuninger hat sich jahrelang auf Versprecherjagd begeben. Mehr als viertausend hat sie gesammelt, und sie hat dabei Sternstunden des Rundfunks eingefangen:

Als die letzten Takte der h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach verklungen sind, setzt der Sprecher mit entsprechendem Ernst ein: „Sie hörten die h-Mess-Molle.“ Nach kurzem Stocken macht er einen zweiten Anlauf: „Verzeihung, die h-Moss-Melle.“ In einem dritten Anlauf schafft es der Sprecher, die Hürde der Werksbezeichnung zu nehmen. Und dann fügt er noch hinzu: „… von Johann Sebaldrian Bach – ich häng mich auf.“

Im Alltag ist ein Versprecher nicht so schlimm. Für Profis in den Medien kann jedoch ein Versprecher Folgen haben. Das zu wissen, erhöht die Anspannung vor dem Mikrophon. Wer will sich schon dem Gespött der Leute und der Kollegen aussetzen? Wer will schon unauslöschlich bei YouTube landen?

Ein Sprecher oder ein Moderator oder ein Redakteur muss deshalb am Mikrophon ungeheuer konzentriert sein. Und manchmal spielt ihm die Konzentration einen gewaltigen Streich. Er überlegt oft, wie er schwierige Wörter bewältigen kann. Sie sind wie Hürden bei einem Hindernislauf. Gefürchtet sind zum Beispiel „Elektrizitätswerke“ und „Kapazität“. Als kompliziert können sich auch Ansagen erweisen, wenn man eine ganz bestimmte Hürde elegant nehmen will.

Ursula von Manescul, ehemalige SWF-Sprecherin, hat einmal die Nussknackersuite von Peter Tschaikowski ansagen müssen. Sie hat sich vor dem Wort Nussknackersuite gefürchtet. Wenn man bei diesem Wort das N unterschlägt, kommt Nusskackersuite heraus. Also hat sie sich eingeprägt, dass sie dieses Wort besonders konzentriert lesen muss. Als das Rotlicht angeht, verkündet sie souverän: „Sie hören nun die Nussknackersuite von Peter Scheißkowski.“

Ein anderer Sprecher des damaligen SWF hat auf dem Höhepunkt der Flick-Affäre in den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts in einer Nachrichtensendung „Bundesrepuflick Deutschland“ gesagt hat. Er hat dem Intendant schriftlich versichern müssen, dass es keine Absicht, sondern eine freudsche Fehlleistung gewesen sei.

Man sieht oder hört also, dass ein Redakteur, ein Reporter, ein Moderator unter großer Anspannung stehen und arbeiten. Es ist ihnen zu empfehlen, einfach den Versprecher zu akzeptieren und weiterzureden, als ob nichts gewesen wäre. In der Praxis sieht das natürlich vollkommen anders aus.

Hier deshalb noch eine Auswahl aus dem Giftschrank der Versprecher von SWF, SWR und anderen ARD-Anstalten:

  • „Sie hören jetzt die Furznachrichten.”
  • „Der Prozess fand vor der großen Schlafkammer statt.”
  • „Das Treffen in Berlin ist eine Reaktion auf die Mordserie der Zwickauer Telefonzelle.”
  • „Am Wrack der Costa Cordalis laufen ab heute die Bergungen.”
  • „Die Wirtschaftskrise hat den Arbeitsmarkt voll erfasst. Im Januar ist die Arbeitslosigkeit spranghuft angestiegen.”
  • „Sie hören in unserem ‘Konzert am frühen Morgen’ ein ‘Konzert für O Gott und Faboe.”
  • „In Bonn wurde ein neuer Ausschiss gegründet.“
  • „Um den Haushalt auszugleichen, beschloss die Bundesregierung neue Spaßmaßnahmen.”

Besonders der Wetterbericht lädt offenbar auch zu Versprechen und Fehlformulierungen ein:

  • Das Wetter: Direkt in der Sonne bleibt’s warm.
  • Es kam auch schon zu schauderhaften Niederschlägen und zu einer segensreichen Witterung.
  • Morgen tagsüber furzzeitige Wolkenauflockerung.
  • Heute Nacht keine weitere Bevölkerungszunahme.

Aber warum verspricht man sich eigentlich? Dazu die „Kleine Theorie des Versprechens“ von Helen Leuninger:

1.    Vertauschungen

Sprachliche Einheiten, zusammengesetzte Wörter oder Silben und Laute kommen durcheinander. Beispiele: „Ein Abfall geistiger Anwesenheit“ statt „ein Anfall geistiger Abwesenheit“.„Nersenfriez“ statt „Friesennerz“.  „Du Saukramer“ statt „du Grausamer“.

2.    Vorklänge

Dabei werden sprachliche Einheiten in der Äußerung vorweggenommen. Beispiele: „Das Gelbe in Grün.“ Oder: „Ich wollte sie stockbrieflich verfolgen lassen.“ Gemeint ist „steckbrieflich“.

3.    Nachklänge

Sprachliche Einheiten werden fälschlicherweise ein zweites Mal verwendet. Beispiele: „Ich fordere Sie auf, auf das Wohl unseres Chefs aufzustoßen!“ Oder: „Sozialistische Zekten“ für „Sekten“.

4.    Verschmelzung

Dabei macht man aus mehreren Sätzen einen oder aus mehreren Wörtern eines. Beispiele: „Der Mann hat schon viel hinter sich gemacht.“ „Heute am versoffenen Sonntag.“

5.    Ersetzung

Ein Wort wird durch ein ähnliches oder klangähnliches ersetzt. Zwei Ausdrücke stehen gleichzeitig zur Verfügung. Der falsche wird ausgewählt. Beispiele: „Wes Brot ich ess, des Lob ich trink.“ „Wir waren Pilze fangen.“

 

Dieser Artikel erschien zuerst auf den Blogseiten von Marc Krüger: Rundfunkfritze

Teaserbild Fotocredit: dmitrimaruta / 123RF Lizenzfreie Bilder / Ralph Andreas

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