Schluss fürs Dampfradio: Abschied von der Mittelwelle

Skala eines RöhrenradiosEs tönt ein bisschen dumpfer als üblich, manchmal knackt und knistert es. Aber wenn der Empfang gut ist, dann klingt es warm, schön und es erinnert an wahrscheinlich längst vergangene Radiozeiten. Das ist der Sound der Mittelwelle – der Rundfunkbereich, über den seit Jahrzehnten schon Rundfunkprogramme ausgestrahlt werden. Regional, national und international; lange schon, bevor das erste UKW-Radio über die Ladentheke ging.

Doch im Jahr 2015 ist UKW der Standard, DAB+ und Webradio sorgen für noch mehr Programmauswahl. In diese, zunehmend digitale Welt passt das Mittelwellenradio mit seinem störanfälligen Klang nicht hinein. Deshalb haben sich alle öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland dazu entschlossen, spätestens zum Jahreswechsel die Mittelwelle zu verlassen. Dies war auch Bedingung für den weiteren Ausbau des Digitalradios seitens der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF). Österreich, die Schweiz und viele andere Länder kehren der Mittelwelle ebenfalls den Rücken zu oder haben ihre Sender schon längst abgeschaltet, der Versuch, die Mittelwelle zu digitalisieren, scheiterte.

Deutschlandfunk-Sender gehen off air

Gleich sechs Sender werden momentan noch für den Deutschlandfunk betrieben, der einst nicht nur für Deutschland, sondern auch für Europa sendete. Die Mittelwellen überquerten alle Ländergrenzen und waren für an Deutschland interessierte im Ausland sowie deutsche Urlauber an vielen Flecken des Kontinents zu hören. Inzwischen liegt der Versorgungsauftrag für das Ausland ausschließlich bei der Deutschen Welle (die seit 2011 keine deutschsprachigen Radiosendungen mehr terrestrisch ausstrahlt), der Deutschlandfunk verfügt über viele UKW-Frequenzen und einen Digitalradio-Sendeplatz, hat allerdings, bleibt man bei terrestrischen Empfangswegen, noch einzelne weiße Flecken auf der Frequenzkarte. Die DLF-Mittelwellen werden mit ihren Sendeleistungen von bis zu 400 Kilowatt als Stromfresser und obsolet angesehen.

Der ehemalige Deutschlandradio-Sendemast in Berlin-Britz wurde im Sommer 2015 abgerissen. Foto: Deutschlandradio
Der Mittelwellensender in Berlin-Britz wurde bereits im Sommer 2015 abgerissen. Foto: Deutschlandradio

Aus Nordkirchen (Nordrhein-Westfalen), Thurnau (Bayern), Königslutter (Niedersachsen), Ravensburg (Baden-Württemberg), Neumünster (Schleswig-Holstein) und Heusweiler (Saarland) wird der Deutschlandfunk momentan noch auf „MW“ ausgestrahlt. Schluss wird mit diesen Sendungen am 31.12.2015 um 23:55 Uhr sein, bestätigte das Deutschlandradio auf RADIOSZENE-Nachfrage. Bereits seit einigen Wochen wird stündlich mit kurzen Info-Spots zur vollen Stunde auf die nahende Abschaltung hingewiesen, im Deutschlandfunk hatten mehrere Sendungen die Problematik zum Thema, um die Hörerinnen und Hörer über den Sendeschluss zu informieren.

Das Schwesterprogramm Deutschlandradio Kultur sendete bis 2013 noch auf Mittelwelle aus Berlin, im Sommer diesen Jahres wurde die ehemalige RIAS-Sendeanlage im Stadtteil Britz abgerissen. Über die Zukunft der von „Media Broadcast“ betriebenen Deutschlandfunk-Sendeanlagen ist bisher noch nichts bekannt, wie ein Sprecher des Unternehmens RADIOSZENE gegenüber mitteilte.

Tschüss, Saarlandsender!

Bis zum Jahresende wird auch die Mittelwelle 1422 kHz das DLF-Programm noch übertragen. Anders als die anderen Senderstandorte wird der Sender für diese Frequenz vom Saarländischen Rundfunk unterhalten. Er nutzte die Mittelwelle einst, um die „Europawelle Saar“ über die Grenzen des kleinen Saarlandes hinaus auszustrahlen und machte sich mit seinem Programm in ganz Deutschland und dem angrenzenden Ausland, also auch der DDR, einen Namen. 1994 übernahm der Deutschlandfunk die Frequenz, 2005 kehrte dann der SR mit seinem deutsch-französischen Inforadio „Antenne Saar“ auf 1179 kHz in diesen Frequenzbereich zurück. Auch diese Sendungen werden zum Jahreswechsel enden und ausschließlich auf digitalen Wegen fortgeführt. Damit ist der Saarländische Rundfunk die letzte ARD-Landesrundfunkanstalt, die noch auf Mittelwelle sendet. Zuletzt hatten BR und WDR die entsprechenden Sender aufgegeben. Auch diese Sender richten sich nach der Entscheidung der KEF-Planer.

Einzelne ARD-Häuser wie Radio Bremen, der Hessische Rundfunk oder der RBB beendeten ihre Mittelwellensendungen aus Kostengründen aber bereits lange vor dem Beginn des Digitalradio-Ausbaus und den entsprechenden Weisungen zur Abschaltung. Kritiker bemängeln, mit dem Wegfall der Mittelwelle würde ein Empfangsweg verschwinden, der im Notfall tausende Menschen mit Informationen versorgen könnte, anders als das engmaschige Sendernetz UKW und DAB+ oder GSM- bzw. LTE-Netzwerke, die schnell zur Überlastung neigen. Jedoch ist fraglich, wie viele Menschen in einem wie auch immer gearteten „Notfall“ noch technisch in der Lage sind, Mittelwelle zu empfangen und diesen Empfangsweg auch nutzen würden. Dennoch würde es sinnvoll erscheinen, einzelne Lang- oder Mittelwellen-Sendeanlagen zu erhalten und gegebenenfalls die Masten mit Sendeantennen für DAB+ aufzurüsten und so weiterzunutzen.

Schluss für die fröhliche Welle

Auch im angrenzenden Ausland ist Sendeschluss: 1440 kHz – das war einst eine wichtige Adresse für aktuelle Popmusik: RTL sendete aus dem Örtchen Marnach im Norden von Luxemburg, auf dieser Frequenz und war in ganz Europa zu hören. Was einst als eine von vier „fröhlichen Wellen“ von „Radio Luxemburg“ vermarktet wurde, war in den vergangenen Jahren eher ein Sendeplatz für Programme von religiösen Missionswerken und dem chinesischen Auslandsrundfunk, der auf diesem Wege mit seinem deutschen Programm Hörer versuchte zu erreichen. Der Betrieb sei, glaubt man der Aussage eines Verantwortlichen der luxemburgischen Betreibergesellschaft BCE im „Tageblatt“, „bis zur letzten Minute“ profitabel gewesen. Am 01. Januar um 01.00 Uhr werde man den Sendebetrieb dennoch einstellen. Lange gab es seitens Anwohnern Proteste gegen die Anlage. Pläne, dass BCE die SR-Sendeanlage im Saarland übernehmen würde, scheiterten.

RTL-Sendeanlage in Marnach, Luxemburg. Foto: Wikimedia-User "Durchfuxt", cc-by-sa.
Wird stillgelegt: RTL-Sendeanlage in Marnach, Luxemburg. Foto: Wikimedia-User „Durchfuxt“ (cc-by-sa)

Auch in Frankreich beginnt das neue Jahr mit Änderungen im Dampfradio: „Radio France“ stellt ebenfalls alle seine Mittelwellen ab, zehn an der Zahl. Darunter auch die von „France Bleu Elsass“, das ab 2016 einzig mit einem Internetstream auskommen muss. Eine UKW-Frequenz für das Programm mit seinen Elsässisch-Sendungen gibt es nicht, dort spricht „France Bleu“ einzig Französisch.

Kleinstsender bleiben noch on air

Ganz stirbt die Mittelwelle aber nicht – auch nicht Deutschland. Der amerikanische Soldatenfunk AFN ist weiterhin mit zwei schwachen Frequenzen on air: Mönchengladbach (1143 kHz) und Vilseck in der Oberpfalz (1107 kHz) senden weiterhin, allerdings soll auch hier spätestens im Herbst 2016 Schluss sein, heißt es von AFN.

An der traditionellen Funktechnik festhalten wollen hingegen mehrere Radiomacher aus Nordrhein-Westfalen. 2007 ging mit dem „Shortwaveservice“ ein Kurzwellensender aus Kall-Krekel in der Eifel auf Sendung und strahlt seitdem u.a. das Programm von Radio 700 aus Euskirchen und zahlreichen anderen Rundfunkprojekten aus. Auf der ehemaligen Polizeifunkstelle testete man 2011 und 2012 bereits zeitweise auf den Frequenzen 702 und 1593 kHz mit einer Versuchslizenz, denn das „Shortwaveservice“-Team möchte gerne auch auf „Mediumwave“ senden. Man geht aber nicht davon aus, dass dies in naher Zukunft realisierbar sei, erklärt Christian Milling, der die Aktivitäten auf Kurz- und Mittelwelle organisiert. Eine dauerhafte Sendelizenz sei für einen kleinen Programmanbieter nicht bezahlbar, „das Problem ist die Gebührenordnung der Bundesnetzagentur“, so Milling. „Neben der Frequenzzuteilung muss jeder Sendebetreiber eine jährliche Gebühr zahlen. Grob gesprochen werden darin alle Aufwände, die die Bundesnetzagentur für die Mittelwelle hat, unter allen Frequenzinhabern aufgeteilt.“ Ist ab 2016 Kall-Krekel der einzige Sender mit ständiger Lizenz, so würden diese Gebühren nicht mehr unter mehreren Anbietern verteilt, sondern komplett auf das kleine Hörfunkprojekt aus NRW zukommen. Vorerst werde sich an diesem Gebührenmodell auch nichts ändern, sodass sich die Sendeanlage aus der Eifel, die inzwischen unter Radioenthusiasten viele Fans hat, auf den Kurzwellenbetrieb beschränken wird. Hier bietet man etwa dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Slowakei eine Möglichkeit, Sendungen auf Deutsch, Französisch und Englisch auszustrahlen und organisierte im vergangenen Sommer u.a. einen täglichen Seewetterbericht für Segler in Nord- und Ostsee. Eine Idee, die offenbar auch dem Deutschen Wetterdienst gefiel, der momentan über einen eigenen Senderstandort mit ähnlichen Seewetter-Aussendungen experimentiert.

Antennen von Welle 370 in Königs Wusterhausen. Foto: www.welle370.de (cc-by-sa)
Die einzige Sendestation, die 2016 nicht aufhören wird, aus Deutschland auf Mittelwelle zu senden: Antenne von Welle 370 in Königs Wusterhausen. Foto: www.welle370.de (cc-by-sa)

Der einzige deutsche Rundfunksender auf Mittelwelle aus Deutschland dürfte demnach bald aus Brandenburg stammen: Auf dem „Funkerberg“ südlich von Berlin wurde einst das erste Radioprogramm in Deutschland überhaupt ausgestrahlt. Radioenthusiasten aus dem Förderverein des Museums haben mit „Welle 370“ ein Veranstaltungsradio aufgebaut, das zu besonderen Anlässen auf 810 kHz bis nach Berlin gehört werden kann – nicht als ständig aktiver Sender, aber mit offizieller Zulassung der Landesmedienanstalt. „Im Rahmen dieser Lizenz werden wir 2016 von März bis Oktober am jeweils 3. Sonntag des Monats eine Sendung abstrahlen“, erläutert der Vereinsvorsitzende Rainer Suckow gegenüber RADIOSZENE. „Und je nach Kapazität machen wir zur Funkerbergbörse, zum Bergfunk-Festival 2016 und eventuell weiteren Großveranstaltungen ein Sonder-Tagesprogramm“, so Suckow weiter. Regelmäßiger Rundfunk ist das nicht, aber das letzte bisschen Mittelwelle, was noch aus Deutschland funken wird – und das mit viel Herzblut.

Das Team von Welle 370. Foto: www.welle370.de (cc-by-sa)
Ein Teil des Teams von Welle 370 vor dem Senderwagen 2014. Foto: www.welle370.de (cc-by-sa)

Weiterführende Informationen

Deutschlandfunk-Sonderseiten zur MW-Abschaltung
Spezialausgabe der Sendung „Medienwelt“ im Saarländischen Rundfunk
Info-Ansage des Deutschlandfunk zur Abschaltung (in Studioqualität)
Homepage von „Welle 370“ aus Königs Wusterhausen
Homepage vom „Shortwaveservice“ aus Kall-Krekel
Info-Mitteilung von Radio France
Übersicht über fast alle in Europa hörbaren MW-Sender
Update: Auch Tschechischer Rundfunk schaltet offenbar viele Sender ab

RADIOSZENE: 2015 stirbt die Mittelwelle
RADIOSZENE: Artikel zum Thema Mittelwelle

Übrigens: Wer nostalgische Radios weiterhin zum Klingen bringen möchte: Der „AM-Rundfunk“ wird auch in Deutschland trotz des Sendeendes der meisten Mittelwellensender nicht ganz verschwinden. Der französische Sender „Europe 1“ lässt im Saarland weiterhin seinen Langwellensender betreiben, verschiedene Programmanbieter nutzen regelmäßig Kurzwellen-Sendeanlagen in Nauen bei Berlin, Lampertheim, Biblis, Kall-Krekel (Eifel). Außerdem sind Lang-, Mittel- und Kurzwellensendungen aus dem benachbarten Ausland weiterhin in Deutschland zu hören, vornehmlich jedoch in Fremdsprachen. Unlizensierte Piratensender, vornehmlich aus dem äußersten Westen Deutschland, Belgien und den Niederlanden, bevölkern außerdem weiterhin die Mittelwelle.