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MA mit Migrationshintergrund

Bitter Lemmer

Nette Gleichzeitigkeit: Einen Tag vor der MA-Verkündung gab das Statistische Bundesamt bekannt, wie bunt das Deutsche Volk inzwischen ist. Ein Viertel aller Familien habe wenigstens einen Zuwanderer bei sich. In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts war das noch anders. Da waren Leute aus anderen Kulturkreisen noch selten und wurden Gastarbeiter oder Ausländer genannt. Im Laufe der allfälligen politischen und publizistischen Korrekturen wurden daraus vorübergehend ausländische Mitbürger, die sich schließlich in Mitmenschen mit Migrationshintergrund verwandelten. Radio haben die vermutlich schon immer gehört, und vermutlich haben sie auch schon immer im Supermarkt und anderen Geschäften eingekauft. Mit zunehmendem deutschen Sprachverständnis dürften Zuwanderer, ihre Kinder und Enkel auch Werbung verstanden haben, ebenso, wie ihre deutschstämmigen Mithörer.

Als in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts Privatradios entstanden, haben die dennoch allein für das angestammte Publikum gesendet. Das ist verständlich, denn für Quoten und Umsätze blieben die Fremden MA-bedingt nichtexistent. Ein Sender konnte noch so viele ausländische oder migrationshintergründige Hörer haben – die MA zählte sie einfach nicht mit. Das war schwachsinnig, weil realitätsfremd. Es geht hier um Geschäft, nicht um Politik.

Dass die MA jetzt endlich die Wirklichkeit akzeptiert, ist schön. Aber wieso hat die Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse so lange gebraucht, Hörer (und Leser) nach wirtschaftlichen statt nach ethnischen Kriterien zu zählen? Und was ändert sich mit der neuen multikulturellen Publikumseinheit Deutschlands?

Die lange Leitung dürfte typisch deutsch motiviert sein. Deutsche Gremien sind gottgegeben langsam und unbeweglich. Auch die Politik hat ihre liebe Not damit, Realitäten pragmatisch zu verarbeiten. Indizien gefällig? Blue Card, Entsendegesetz, das Gewerkschaftsgeschätz von „unfairer Konkurrenz“, Lafontaines Angstmache vor „Fremdarbeitern“, der Dauerkrach um Einbürgerungschancen, die rhetorischen Verrenkungen um die korrekte Bezeichnung der ausländischen Mitbürger mit Migrationshintergrund. Ist scheinbar so.

Aber gut, besser spät als gar nicht. Dem Geschäft dürfte es nützen, wie es immer nützt, wenn der Plan zum Leben passt statt so zu tun, als sei das Leben so, wie Planer am grünen Tisch es gerne hätten. Der offizielle Hörermarkt ist endlich derselbe wie der inoffizielle Hörermarkt.

Eine Frage nur an die ARD-Verkaufsorganisation: Wie kommt ihr auf die Peinlichkeit, die aktuellen Zahlen mit Migrationshintergrund mit den vorherigen ohne Migrationshintergrund zu vergleichen? Doch nicht etwa deshalb, weil ihr partout nicht auf das Ritual der toll klingenden Pressemitteilung verzichten wolltet?

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Korrektur

Leser Werner Felten schrieb: „Schön dass endlich auch Menschen in der MA abgebildet werden, die nicht deutscher Herkunft sind, aber bitte beachten: es sind nur „EU-Ausländer“, das heißt alle Türken, Marokkaner, Afrikaner und Asiaten werden nicht abgebildet. Also multikulturell ist die neue MA nur bedingt.“

Was soll man da sagen? W.F. hat Recht! Das erfordert eine Korrektur mit veränderter Bewertung, nämlich dieser:

Die MA-Gremien sind schlicht dumm. Die UEFA beispielsweise ist schlauer und lässt die Türkei bei der EM mitmachen. Warum stört es niemanden, wenn die nicht-EU-Türkei trotzdem EM-Türkei sein darf? Weil die Zuschauer die Mannschaft sehen wollen, weil die Türkei dabeisein will und weil nur wenige Voraussetzungen notwendig sind: Geographisch wenigstens halbwegs europäisch und bestandene Qualifikation. Hier gehts um Spaß und Wettbewerb, nicht um Politik. Es ist übrigens auch kein Widerspruch, die Türkeispiele gern gesehen zu haben und trotzdem ihre Mitgliedschaft in der EU nicht zu wollen. Ebenso, wie es völlig egal ist, wie, welches und wo EU-Ausländer, Türken oder andere Radio hören, Werbung verstehen und einkaufen gehen. Man würde es nur gern messen (und verkaufen) können. Eigentlich ein handfester Skandal, den jahrelang niemand ausreichend bedacht hat. Moral, über die sich immer streiten lässt, mal beiseite gelassen: Das Dümmste daran ist, dass Geschäftsleute freiwillig eine Markt-Definition akzeptieren, die aus einer anderen Welt – der Politik – stammt. Wie immer, wenn die Politik gedanklich dominiert: Den Geschäften nützt es nicht.

Lemmer
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de

XPLR: MEDIA Radio-Report