Positionspapier zur Radiozukunft in konvergenter Welt

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Der Verband Privater Rundfunk und Telemedien e.V. (VPRT) hat zur diesjährigen Internationalen Funkausstellung (IFA) in Berlin seine umfassende Position zur Zukunft des Radios in einer konvergenten Welt vorgestellt (siehe unten).  Ausgehend vom Status quo beschreibt der Verband die Ziele einer digitalen Hörfunkordnung und fasst die wesentlichen Anforderungen des Privatradios an sie zusammen.

 

Klaus Schunk, Geschäftsführer und Programmdirektor von Radio Regenbogen sowie stellvertretender Vorstandsvorsitzender des VPRT (Foto: Björn Czieslik)
Klaus Schunk (Foto: Björn Czieslik)

Klaus Schunk, Vorsitzender des Fachbereichs Radio und Audiodienste im VPRT: „Der VPRT zeigt in seinem Positionspapier die Anforderungen an eine digitale Hörfunkordnung auf, die für die Jahre bis 2030 und darüber hinaus richtungsweisend sind. Die Debatte zur Zukunft des Radios als Inhalteanbieter darf sich nicht auf einen technischen Weg beschränken. Wegweisend könnten deshalb EU-weite Vorgaben für einen technologieneutralen Multi-Chip, der neben UKW und DAB+ auch Internet enthält, sein. Um die regionale Vielfalt des Mediums zu gewährleisten, braucht das Privatradio einen Ordnungsrahmen, der eine Schädigung der Gattung Radio und existenzielle Auswirkungen auf den Lokalfunk vermeidet. Sie muss das Geschäftsmodell und die Finanzierungsgrundlage der Privaten berücksichtigen. In dem VPRT-Positionspapier werden die wesentlichen Anforderungen an eine digitale Hörfunkordnung zusammengefasst, die diesen Prämissen Rechnung tragen.“

In seinem Positionspapier fordert der VPRT einen neuen Ordnungsrahmen, der die lokale und regionale inhaltliche Vielfalt des Mediums erhält, einen fairen Wettbewerb im dualen Hörfunksystem und Kriterien für eine erfolgreiche Migration im Falle eines UWK-DAB+-Umstiegs statt einer UKW-Abschaltdebatte. Zudem stellt der VPRT seine Anforderungen an klare und verbindliche Kriterien für einen solchen Umstieg sowie der Nutzung und Finanzierung dieser Übertragungstechnologie vor. Schließlich spricht sich der Verband dafür aus, dass Radio auf allen Endgeräten empfangbar und auffindbar sein muss.

VPRT

POSITIONSPAPIER

Die Radiozukunft in einer konvergenten Welt – 2030 ff.

September 2015

1) Der Status

Der Hörfunk ist auf dem Weg in die konvergente Welt bereits weit vorangekommen. Internet und auf Nutzerseite PC, Tablet, Laptop und Smartphones werden sowohl für die Verbreitung als auch in vielfältigen Anwendungen immer intensiver genutzt. Privatradio in Deutschland ist schon heute schon überall dort, wo dessen Hörer sind. Die Macher der rund 270 privaten UKW-Hörfunkprogramme sind vom Übergang des reichweitenstärksten Mediums von der analogen in die digitale Welt überzeugt und setzen dabei insbesondere auf die Inhalte. Seit Jahren investieren sie in alle Übertragungswege, im Digitalen angesichts der wachsenden Reichweite vornehmlich in die Verbreitung via Webradio, Multichannel sowie in ein aggregiertes Gesamtangebot wie z.B. den Radioplayer. Außerdem werden hybride Lösungen wie SmartRadio als Verbindung von UKW mit dem Internet unterstützt. Die aktuelle Geschäftsgrundlage der Privatradios ist und bleibt jedoch die UKW-Verbreitung.

Die Diskussion über die Digitalisierung des Hörfunks wird oft auf die Frage des Standards DAB+ verengt. Privatradio steht für einen deutlich breiteren Zukunftsansatz in der digitalen Welt. Eine auf DAB+ verengte Debatte zur Radiodigitalisierung greift daher zu kurz und beschreibt nur einen kleinen Ausschnitt der Herausforderungen, denen sich Radio stellt. Radio ist heute schon digital – und digitales Radio ist nicht nur DAB+, sondern vor allem als Webradio und andere Audioangebote im Netz erfolgreich. Die mobile Nutzung hat die stationäre Nutzung inzwischen überholt, die Streamingnutzung (Webradio) hat sich im letzten halben Jahr nahezu verdoppelt. Wenn über die Zukunft des Radios gesprochen wird, reicht der Blick auf eine einzige, lineare Technologie wie etwa DAB+ nicht aus. Die Anforderungen an ein Radio der Zukunft sind vor allem durch

  • Interaktivität (Rückkanal) und Konvergenz (Einbindung von Video),
  • Adressierung und Personalisierung (Individualisierung) sowie
  • Vernetzung und Verfügbarkeit (Mehrkanal, Social Media, Teilbarkeit, Mobilität, Abdeckung)

geprägt. Vom Werbemarkt her werden kundenseitig – ausgehend von anderen Mediengattungen – auch gegenüber Radio/Audio eine zielgruppenspezifische Messbarkeit und andere, klassische digitale Merkmale gefordert.

Die Anreicherungen der linearen Angebote durch (non-lineare) Abrufelemente in einem zunehmend fragmentierten Markt machen das Radiogeschäft komplexer und erfordern programmliche Investitionen, um die plattformübergreifende Verfügbarkeit abzudecken. Dies kann weder UKW noch DAB+ – dennoch wird sich Radio dieser grundsätzlichen Herausforderung des Werbemarktes nicht als einziges Medium entziehen können, ohne künftig die eigene wirtschaftliche Existenz zu riskieren.

Eine Vielzahl privater Radioanbieter hat sich dessen ungeachtet an der Markteinführung von DAB+ beteiligt. Ausgelöst durch die von der KEF vorgegebenen „Meilensteine“ hat sich daraus eine offene Diskussion der betroffenen privaten Veranstalter mit ARD und Deutschlandradio ergeben, die bei aller Herausforderung in einzelnen Punkten als hilfreich und konstruktiv zu bezeichnen ist. Wichtig waren vor allem klare und nachprüfbare Kriterien, anhand derer über das weitere Vorgehen entschieden werden kann. Für eine ernstzunehmende Einbeziehung von Privatradio bedarf es nun aber der Weiterentwicklung dieser „Meilensteine“ für die Zukunft.
Neben den vielfältig angeführten Argumenten für und gegen DAB+ sieht Privatradio, dass so ein eigenständiger Verbreitungsweg als Gegengewicht zur Marktmacht großer Monopolisten (z.B. Suchmaschinen oder Plattformen als Intermediäre) entstehen kann. Ob ein solcher, im Vergleich zu anderen Mediengattungen singulärer Weg für Radio über DAB+ jenseits der gesamten Konvergenzentwicklungen tatsächlich ein realistisches Szenario darstellt, ist allerdings genau zu evaluieren. Privatradio hält DAB+ insofern nicht für unbedingt erforderlich, sieht aber auch, dass es Argumente gibt, DAB+ als weiteren digitalen Übertragungsweg einzubeziehen.

2) Weg und Ziel

Die digitale Hörfunkordnung wird – ob mit oder ohne DAB+ – anders aussehen als unsere heutige Hörfunklandschaft. Insofern lautet die Forderung nicht, dass DAB+ nur die heutige Hörfunklandschaft abbilden soll. Sehr wohl aber müssen sich unsere heutigen Strukturen in der künftigen Hörfunklandschaft wiederfinden (siehe dazu unter 3 – Duales Hörfunksystem). Ganz im Vordergrund stehen muss daher die Klärung zweier Fragen:

  1. Wie findet sich eine Lösung, die für Privatradio einen eventuellen Übergang ohne Schädigung des Geschäftsmodells durch Reichweitenverlust ermöglicht, zumal wenn keine lokale bzw. regionale Werbeaussteuerung und Ausspielung der Inhalte mehr möglich ist?
  2. Wie können und sollen im Speziellen die lokalen Radiostrukturen im Digitalen und mit DAB+ gestaltet werden? Hierzu bedarf es vorab einer publizistisch sinnvollen, umsetzbaren und finanzierbaren Lösung, um eine Schädigung der Gattung Radio sowie existenzielle Auswirkungen für den Lokalfunk zu vermeiden.

Die Diskussion darf auch nicht zu kurz greifen. Natürlich müssen wir den Übergang in die digitale Welt und die weitere Markteinführung von DAB+ diskutieren. Im Vordergrund muss aber die Diskussion stehen, wie eine künftige digitale Hörfunkordnung aussehen soll. Wir dürfen nicht gedanklich nur die analoge UKW-Welt verlängern, ergänzt mit einer anderen, zwar digitalen, aber ebenfalls ausschließlich linearen Übertragungstechnik.

Die künftige Hörfunkordnung darf auch nicht das zufällige Ergebnis eines von den Notwendigkeiten des Übergangs gestalteten Prozesses sein. Vielmehr muss das klare Ziel sein, eine vielfältige, duale Hörfunklandschaft wiederherzustellen, in welcher der öffentlich-rechtliche Hörfunk seinen Platz hat, aber gleichgewichtig auch das werbefinanzierte Privatradio sein Geschäftsmodell gestalten und weiterentwickeln kann. Dies ist keine Absage an den Wettbewerb, sondern die Forderung nach einer Ausgangslage, die einen echten Wettbewerb der Angebote im Interesse aller Nutzer ermöglicht. Hier kommt der Entscheidung der KEF zur Bewilligung weiterer Mittel für DAB+ eine besondere, über die Technologieentwicklung hinausgehende, ordnungspolitische Bedeutung zu. Das Ziel ist wichtiger als der Weg.

Da die duale Rundfunkordnung allseits bejaht wird, muss eine Verständigung zwischen öffentlich-rechtlichem Hörfunk und Privatfunk erreichbar sein. Gefordert ist hier auch der Gestaltungswille der föderalen Rundfunkgesetzgeber.

Hilfreich für die weitere Markteinführung ist die gemeinsame Forderung nach einer breiten Verwendung und generellen Freischaltung eines Multinormchips (UKW, Internet, DAB+) in allen grundsätzlich für Hörfunk- und Audionutzung geeigneten Geräten. Digitales muss sich über seine Inhalte begehrenswert machen. Nicht Technologie wird verkauft, sondern Inhalte. Aber die Technologie darf kein Hindernis sein.

3) Wesentliche Forderungen von Privatradio

Radio braucht einen neuen Ordnungsrahmen, der die lokale und regionale inhaltliche Vielfalt des Mediums erhält

  • Der Prozess der Digitalisierung kann nicht auf eine reine Industrie- und Wirtschaftspolitik reduziert werden, sondern muss den Erhalt der vielfältigsten privaten Radiolandschaft in Europa gewährleisten. Radio ist als Grundrechtsträger auch verfassungsrechtlich verankert.
  • Radio wird sich im Wettbewerb mit anderen Medien verändern. Es muss aber ein selbständiges und unabhängiges Medium für lokale, regionale und bundesweite Inhalte bleiben. Ein bloßes Vehikel für den Transport sonstiger geschäftlicher Interessen wie z.B. bei reinen Musikstreamingdiensten darf Radio nicht werden.
  • Digitales Radio ist und bleibt Multichannel – DAB+ ist ein, aber nicht der wesentliche Baustein.
  • Für die Weiterentwicklung des Lokalfunks in DAB+ ist vorab eine technisch und publizistisch sinnhafte sowie wirtschaftlich darstellbare Lösung zu finden.

Im dualen Hörfunksystem muss fairer Wettbewerb hergestellt werden

  • DAB+-Mittel dürfen nicht zu weiteren Wettbewerbsvorteilen des öffentlich- rechtlichen Hörfunks eingesetzt werden.
  • Insbesondere muss ein Moratorium vorgesehen werden, dass eine weitere Aufschaltung von öffentlich-rechtlichen DAB+-Programmen auf UKW sowie Frequenzverschiebungen und -umwidmungen im UKW-Bereich der ARD verhindert. Das derzeit weiterhin bestehende UKW-Privileg der ARD beim Zugang zum Hörer darf nicht ausgerechnet im Übergangszeitraum zur Digitalisierung zu einer zusätzlichen Verdrängung der Privaten im Hörermarkt genutzt werden können. Eine Verschlechterung im Programmwettbewerb innerhalb des dualen Systems durch weitere Programmzahlerhöhungen bei der ARD darf es nicht geben.
  • Die KEF wird gebeten, diese Maßnahmen entsprechend ihrer Aufgabe zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit von DAB+-Investitionen in ihrem 20. KEF-Bericht in einen weiteren Kriterienkatalog („Meilensteine II“) zu implementieren.

Keine UKW-Abschaltdebatte, sondern Kriterien für eine erfolgreiche Migration

  • Diskussionen über einen UKW-Abschalttermin sind mangels verlässlicher Prognosen zur Marktentwicklung kontraproduktiv.
  • Wesentliche Fragen müssen vor Eintritt in weitere Migrationsphasen in einem Kriterienkatalog mit allen Marktbeteiligten geklärt sein.
  • Zentrale Anforderung ist, dass keine Gefährdung des Geschäftsmodells der Privaten eintritt, sondern der Erhalt der Refinanzierungsgrundlage gesichert ist.

Klare und verbindliche Kriterien bei evtl. Umstieg, Nutzung und Finanzierung

  • Da die Einführung von DAB+ politisch gewollt ist und sich nicht aus der Marktentwicklung ergibt, sind klare Kriterien für einen eventuellen Um- stieg für alle am Prozess Beteiligten erforderlich.
  • Eine freie Entscheidung ist nur dann möglich, wenn ARD und Private annähernd vergleichbare Bedingungen für ein Migrationsszenario vorfinden.
  • Positivanreize vergleichbar der Förderung der Elektromobilität sind wünschenswert. Die Politik muss Voraussetzungen schaffen, dass der Markt frei entscheiden kann.
  • Regulatorische Steuerungsmaßnahmen in Form von „Negativ“-Anreizen gegenüber privaten Radioanbietern, die das UKW-Geschäftsmodell z. B. durch zuweisungs- und lizenzgebundene Einschränkungen beschädigen und damit die Basis für Investitionen ins Digitalgeschäft schmälern, sind abzulehnen. Der ARD steht es frei, sich in Sachen UKW-Frequenzrückgabe und ausschließlichem DAB+-Engagement mit einem zeitlichen Vorlauf aktiv zu engagieren.
  • Auch der Netzausbau von DAB+ bis zur Erreichung von ca. 90 % der Einwohner birgt ein erhebliches Reichweitenrisiko für werbefinanzierte private Anbieter: Der Ausbau der letzten 10 %, die heute über UKW erreicht werden, ist wirtschaftlich nicht darstellbar, spielt aber bei schwierigen Empfangssituationen (z.B. im Keller oder unter einer Brücke) eine besondere Rolle.
  • Nach der Ausbauphase schließen sich ggf. mehrere Migrationsphasen an, die Stufen für die weitere Debatte vorsehen.
  • Für den Eintritt in weitere Migrationsphasen kann nicht mehr die bloße technische Reichweite, sondern muss die tatsächliche Nutzung entscheidend sein. Dabei sind hohe Schwellen zugrunde zu legen. Eine Summierung der Digitalnutzung von DAB+ und Internet, um Schwellen zu erreichen, ist sachfremd und darf deshalb nicht erfolgen.
  • Der Eintritt in eine erste Migrationsphase erfolgt mit Erreichen einer nachgewiesenen Nutzung von DAB+ von 40%.
  • Erst ab dem Erreichen einer nachgewiesenen Nutzung von DAB+ von 80 % kann eine konkrete Festlegung von etwaigen Umstiegsparametern erfolgen.
  • Es muss eine gemeinsame Festlegung eines validen Verfahrens zur Ermittlung der tatsächlichen digitalen Radionutzung geben.
  • Die vollständige Finanzierung der technischen Verbreitung über DAB+ für private Radioveranstalter muss in der Simulcast-Phase gewährleistet sein. Dies kann z.B. auch durch eine kostenlose Aufschaltung erfolgen.
  • Um eine weitere Benachteiligung von Privatradio gegenüber der ARD zu vermeiden, muss die Möglichkeit einer Infrastrukturförderung von neuen DAB+-Programmangeboten der privaten UKW-Anbieter bestehen.

Radio muss auf allen digitalen Endgeräten empfangbar und auffindbar sein

  • Radio muss auf alle mobilen Endgeräte, auf denen Audio-Nutzung stattfindet, gebracht und dort auffindbar gemacht werden.
  • Diese Umsetzung sollte einerseits durch EU-weite Vorgaben für einen technologieneutralen Multi-Chip, der neben UKW und DAB+ auch Internet enthält, erfolgen.
  • Eine Bund-Länder-Kommission zum Medienstaatsvertrag sollte andererseits auch Must Carry / Must Be Found-Regelungen für privates Radio auf digitalen Plattformen festlegen.

 

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VPRT-Positionspapier zur Radiozukunft in einer konvergenten Welt

Quelle: Pressemeldung des VPRT

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