Die Krise und wir

Bitter Lemmer

Wenn das nicht mal wirklich originell ist: Der öffentlich-rechtliche Anstaltsfunk beklagt fehlende staatliche Krisenhilfe, beschließt, ein Drittel seiner mehr als 3000 Normaljobs und 25 seiner 100 Chefstellen zu streichen und gibt seine seit Jahrzehnten angestammte Zentrale auf. Wohlgemerkt: Wir sprechen vom öffentlich-rechtlichen Platzhirschen.

Eben das passiert gerade in Österreich. Nach einer internen Berechnung fürchtet der ORF die Insolvenz bis zum Jahr 2012, wenn nicht einschneidende Dinge passieren. Also hat die Direktion einen Sparplan aufgelegt. Der dickste Posten betrifft das Personal: 1000 der 3400 Stellen sollen wegfallen. Schmerzhaft wird auch eher Symbolisches wirken. Der legendäre Küniglberg – demnächst verkauft und profanisiert. Die Onlineredaktion – wird aufgelöst. Im Kampf ums Überleben droht dem ORF eine Schrumpfkur erster Güte.

Das ist krisentypisch, und es muss nicht verkehrt sein. Wer mit zu viel Tiefgang durch flacheres Wasser muss, läuft entweder auf Grund oder wirft Ballast ab. Wie seine deutschen Pendants gilt der ORF als Dickschiff. Anders als Deutschland leistet sich Österreich aber nicht den Luxus, für seinen Großsender eigens das Gewässer zu vertiefen – wie das für ARD und ZDF das Bundesverfassungsgericht und die seit Jahrzehnten bestehende große SPD-CDU-CSU-Grüne-PDS-Medienkoalition tun. Nichts anderes ist die Bestands- und Entwicklungsgarantie, die die deutschen Länder aller politischer Farben den Staatsfunkern ausgestellt haben.

Die führt aktuell zu einer echten Kuriosität: Während überall Deflationsängste aufsteigen – die Preise mangels Nachfrage also sinken – , tritt zum Jahreswechsel eine Gebührenerhöhung von mehr als fünf Prozent für Deutschlands Öffis in Kraft. Ausgerechnet jetzt, wenn Geld knapper und wertvoller wird, bekommen die einen Zuschlag.

Das könnte fatal wirken. Denn die private Konkurrenz beginnt gerade, noch spitzer zu rechnen als sonst schon. Noch läuft das Geschäft mit der Werbung, aber der Abschwung ist absehbar. Branche für Branche breitet sich die Krise aus. Zuerst die Banken, dann Auto, dann die Zulieferer, neuerdings der Maschinenbau. Es wäre ein Wunder, kämen die Konsumbranchen und die Werbung ungeschoren davon. Für die Privaten wäre das bitter. Während sie zwangläufig kleinere Brötchen backen, könnte der Staatsfunk sie zerquetschen. Nochmals erhöhte Finanzkraft hier trifft auf schwächelnde Konjunktur dort. Erstaunlicherweise scheint der Lobbyverband der Privaten, VPRT, davon noch nichts bemerkt zu haben. Die Forderung, die Gebührenerhöhung aufgrund der Wirtschaftslage auszusetzen, wäre jetzt dringend angebracht.

Wie machtvoll die öffentlich-rechtlichen Sender ihre derzeitige Position einschätzen, zeigt das Ausbleiben sogar des alltäglichen Normal-Jammerns über die eigene wirtschaftliche Lage. Das fällt erst dann so richtig auf, wenn man sich den Vorwurf des ORF-Intendanten Alexander Wrabetz an die neue Regierung in Wien zu Gemüte führt. Man fühle sich im Vergleich zu den Banken im Stich gelassen.

Das, in der Tat, könnten ARD und ZDF nicht sagen, ohne sich lächerlich zu machen.

Lemmer
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de