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Beats 1: Apple startet neues weltweites Radioprogramm – Na und?

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Am 30. Juni ist es soweit. Dann steigt Apple auch ins Musikstreaming-Geschäft ein. Apple Music heißt das Gesamtpaket. Es soll Spotify und Kollegen richtig einheizen. Allerdings lässt ein Teil des Gesamtpakets besonders Radiomacher aufhören. Denn mit im Paket ist ein neuer Radiosender. Beats 1 sendet ab nächsten Dienstag kostenlos 24 Stunden rund um die Uhr, sieben Tage die Woche. Dafür hat der Konzern aus Cupertino auch schon auf dem Moderatorenmarkt zugeschlagen und sich u.a. die Dienste des ehemaligen BBC 1-Moderators Zane Lowe gesichert. Ist das jetzt der Untergang des Radio-Abendlandes, wenn ein Konzern wie Apple konzentriert auch ins Radiogeschäft einsteigt? Wir schauen auf die (bisher bekannten) Rahmendaten, die Hintergründe und die Perspektiven.

 

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Beats 1 und was bisher bekannt ist

Das Video zum Radiostart zeigt eher Herkömmliches. Radio wird als Begleiter in allen Lebenslagen inszeniert. Das ist weder neu noch inspirierend. Zur inhaltlichen Ausrichtung liefert die Apple Seite erste Hinweise. „Egal, wo Du bist oder wann Du einschaltest, du hörst dasselbe großartige Programm wie alle anderen Hörer. Erlebe exklusive Interviews, Gastmoderatoren und das Beste aus der Welt der Musik.“. Das klingt schon nach Programm, nach Content und nicht nur nach reinem Musik-Streaming. Allerdings steht Musik eindeutig im Vordergrund des Senders, der über Apple Music in 100 Ländern zu empfangen sein wird (zum Start für iOS, Android soll bald dazu kommen). Dabei verspricht Apple eine große musikalische Vielfalt.

Zusammen gestellt wird diese von drei DJs: Zunächst der schon oben erwähnte Neuseeländer und ehemaligen BBC 1 Moderator Zane Lowe. Er wird von Apple so zitiert: „Wenn die Musik bereit und das Mikro an ist, kann es losgehen. Wir werden gemeinsam aufregende neue Musik hören und lieben.“ Puuh, das klingt ja aufregend… – Aus New York wird Ebro Darden senden und „den Sound der Stadt, die niemals schläft präsentieren“. Darden war bislang beim Hip Hop Sender „Hot 97“ beschäftigt und dort u.a. auch Co-Moderator der Morningshow. Julie Andega ist die dritte Stimme, die Apple für Beats 1 vorstellt. Sie moderierte die Nachmittagsshow bei Rinse FM in London. Ehrlich gesagt, Innovatives ist da nicht zu entdecken. Die beste Musik, kuratierte Musikauswahl, bekannte Moderatoren – das kennen wir doch schon alles. Tatsächlich hat die Vorstellung von Beats 1 bei der Keynote am 15. Juni gerade mal schlappe zwei Minuten der insgesamt über zweistündigen Show eingenommen. (Wer’s schauen möchte – los geht’s bei 1.56.20 und endet schon bei 1.58.20).

Apple stellt Beats 1 vor (Screesnhot von WWDC Keynote. 8. Juni 2015)
Apple stellt Beats 1 vor (Screesnhot von WWDC Keynote. 8. Juni 2015)

 

„Beats 1“ – die PR-Schleuder für Apple Music?

Bei soviel Normalität muss es einen anderen Grund für Beats 1 geben. Er ergibt sich aus dem Verbund. Denn der Radiosender ist ja nicht alleine das „One more thing“, dass Apple auf der Entwicklerkonferenz WWDC 15 ankündigte. „Sämtliche Möglichkeiten, wie Leute es lieben, Musik zu genießen, werden in einer App vereint – ein revolutionärer Streaming-Dienst, ein weltweites Live-Radio und ein spannender Weg für Fans, mit Künstlern in Kontakt zu treten,“ sagt Eddy Cue, Senior Vice President Internet, Software und Service von Apple bei den Kollegen von techstage und lässt damit schon ein wenig mehr die Katze aus dem Sack.

Beats 1 ist also im Grunde Part 2 der dreiteiligen neuen App – auch wenn es schon eigenständiger scheint als Apples erster Ausflug in das Radio-Terrain mit iTunes Radio (das in Deutschland nie richtig an den Start kam). Insofern liegt der Gedanke nahe, dass der Radiosender zunächst mal vornehmlich eine (PR-) Geschichte ist. Er bringt den Nutzern das Thema Apple und Streaming über das weltweit sympathische Medium Radio näher. Zudem, wer über Beat 1 schreibt, schreibt auch über Apple Music und das neue Angebot bekommt mit den Moderatoren direkt auch ein Gesicht. Beats 1 als personalisiertes Apple Music mit ständigen Querverweisen, um das neue Streaming-Angebot bekannt zu machen und zu pushen – sozusagen ein Dauer-Werbestream für Apple Music. Für Jeff Smith, Musikchef von BBC 2 entsteht auf diese Weise ein weiteres Tor, um in die Apple-Welt gezogen zu werden. Gleichzeitig ist es der Fuß in der Tür zur Musik-Streaming-Industrie. Spannend (und vielleicht auch vorbildlich für andere Radiosender) wird in diesem Zusammenhang besonders die Frage des Zusammenspiels: Wie wird Apple Music mit Beats 1 verzahnt und wie mit Apple Connect?

Denn das ist der dritte Part von Apple Music. Hier finden sich voraussichtlich sehr spannende Inhalte. Apple verspricht vollmundig: „Mit Connect können Musiker ihren Fans einen Einblick in ihre Arbeit, Inspiration und Welt geben. (…) Backstagebilder. Lyrics, die noch in Arbeit sind. Der Rohschnitt eines neuen Videos. Hier können Künstler alles teilen, was sie wollen.“ Das klingt nach dem, wonach alle streben – spannende, einzigartige Inhalte, die mancher Musikredakteur für sein Programm sicherlich gerne hätte. Apple hat sie in seinem neuen Musikuniversum Apple Music. Wenn diese den Weg in Beats 1 finden – und ehrlich gesagt, warum sollten sie das nicht – , dann wird aus Beats 1 allerdings in null Komma nichts mehr als eine PR-Schleuder.

Beats 1 Werbung am Time Square, NY (Bild: Zane Low/twitter)
Beats 1 Werbung am Time Square, NY (Bild: Zane Low/twitter)

 

Was bedeutet Beats 1 für den deutschen Radio-Markt?

Nach dem bisherigen Stand der Dinge, denke ich an drei Punkte. Zunächst einmal müssen sich reine Musiksender – vor allem Webradios – Gedanken machen. Sie bekommen – ebenso wie Spotify – einen Konkurrenten vor die Nase, der sich mit Musik bestens auskennt und der über fantastische Kontakte in die Musikindustrie verfügt. Zudem wird Apple das Musikerlebnis seinen über 500 Mio. Kunden weltweit einfach als integralen Bestandteil des Betriebssystems unter die Nase reiben – alles fix und fertig ohne zusätzliche Installation. Sollte es trotzdem irgendwo haken, hätte Apple das nötige Kleingeld für Nachbesserungen. Es heißt, der Konzern hätte rund 190 Milliarden Dollar auf dem Konto liegen. Matt Deegan, Kreativdirektor von Folder Media warnt deswegen auch davor, Beats 1 zu unterschätzen. „In some respects […] another free online radio station. There are many of those already; licenced or not. But I wouldn’t underestimate the power of this station. Apple can throw more money at this project than any radio broadcaster in the world.“ Für die viele lokalen und regionalen Radiosender, die mit ihren eigenen örtlichen Inhalten trumpfen, besteht aber (erst einmal) keine Gefahr. Beats 1 wird zum Start mit seiner Musikkompetenz wuchern.

 

Für das Medium Radio insgesamt halte ich Beats 1 für einen Segen. Denn der Apple-Sender rückt das Thema Radio in den Vordergrund und das voraussichtlich mit Vehemenz. Er wird Beat 1 werbetechnisch befeuern und somit die Gattung Radio bei (jungen) Zielgruppen neu vorstellen, denen das Thema Radio schon nicht mehr bekannt ist. Ich hoffe, dass so der Sexappeal der Marke Apple auf das Medium Radio abfärbt. Das kann dem Medium Radio gar nicht schaden, im Gegenteil – vielleicht wird es so gerade in den jungen Zielgruppen sogar wieder eine Medien-Nutzungs-Alternative. Surfen im Aufmerksamkeitsschatten von Apple – es gibt schlimmere Vorstellungen.

 

Zum Schluß könnte ich mir vorstellen, dass wir Radiomacher auch von Apple`s reichlich vorhandener Online- und Mobil-Erfahrung lernen können. Auch wenn Beats 1 aktuell noch wenig inspirierend wirkt und Fachleute wie James Cridland enttäuscht sind – er bemängelt vor allem die fehlenden (Interaktions-) Ideen von Beats 1 bei der mobilen Nutzung. Ich denke, Apple wird da sicher noch in seine Bedienungskomfort-Kiste greifen und die ein oder andere Überraschung präsentieren. Wie auch immer – wir werden auf jeden Fall sehen, wie 2015 eine weltweite Radiomarke aufgebaut wird und das ist doch auch spannend. Insofern freue ich mich auf den 30. Juni.

 

Michael-Mennicken-FotoMichael Mennicken ist Gründer und Geschäftsführer der FM Online Factory, dem ersten Online Kaufhaus für Radioinhalte. Zudem lehrt er als Dozent für Medienthemen an verschiedenen Hochschulen. Vorher war er Chefredakteur u.a. von Antenne Düsseldorf.

 

 

 

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