AFN Stuttgart: „Das Radio ist wirklich wichtig für uns“

afn-stuttgart-studio-bigSeit 66 Jahren sendet der amerikanische Militärrundfunk in Stuttgart. Vom Burgholzhof aus im Norden der Stadt wollen die Moderatoren ihren Kameraden über das Radio helfen, sich in Deutschland zurechtzufinden. Und sorgt trotz knappem Budget gleichzeitig für die deutsch-amerikanische Radiofreundschaft.

Das neue Fernsehstudio ist noch keins. Zwei Topfpflanzen aus Plastik, ein Sessel, ein großes Tuch als Hintergrund, davor eine TV-Kamera. In der Ecke ein riesiger Haufen ausrangierter Technik: Mischpulte, Videorekorder und Kabel sind wild übereinandergestapelt. Lance Milsted weiß, dass das alles nicht so professionell aussieht, wie es aussehen sollte. Er ist Station Manager bei AFN Stuttgart, dem Rundfunksender der amerikanischen Streitkräfte. Seit März hat AFN seinen Sitz in einem frisch renovierten Gebäude in den Robinson Barracks auf dem Burgholzhof und auch jetzt noch riecht alles ein bisschen nach Farbe. „Der Rest des Studios kommt bald bei uns an, im Moment müssen wir noch improvisieren“, meint Milsted.

Funkhaus von AFN Stuttgart
Das Funkhaus von AFN Stuttgart in den Robinson Barracks. Der Sender zog in seiner Geschichte mehrfach um, sendete zwischenzeitlich aus Heidelberg, bis er im März in dieses neue Gebäude einzog.

Überhaupt müsse viel improvisiert werden. Fragt man ihn nach dem Budget, dass ihm zur Verfügung steht, dann muss er lachen. Es gäbe nämlich gar keins. Die Verwaltung aller AFN-Standorte in Europa stelle zur Verfügung, was gerade gebraucht werde – und richtet sich offenbar nicht nach den tatsächlichen Bedürfnissen des Senders. In das kleine Bürogebäude am Rande der Kaserne, das zwischen dem „Brewed Awakenings Cafe“ und einer amerikanischen Kirche liegt, ließ das Management einen voll ausgestatteten Fernseh-Regieraum einbauen. „Den brauchen wir aber gar nicht, da die TV-Programme gar nicht mehr von hier gesteuert werden“, sagt Milsted kopfschüttelnd, der lieber mehr Mitarbeiter anstelle von nutzloser Technik in seinem Funkhaus hätte. Herrscht mal wieder Personalknappheit, wird er selbst zum Außenreporter.

Für die rund 24.000 Soldaten in der Region Stuttgart und ihre Angehörigen machen er und seine Kollegen TV-Berichte, aktualisieren das Onlineportal von AFN und stemmen mehrere Stunden Liveradio täglich. Mit derzeit nur sieben Mitarbeitern sei das eine echte Herausforderung. „Aber wir versuchen uns damit zu arrangieren, um unsere Mission zu erfüllen. Und das klappt auch“, sagt er stolz. Die „Mission“ des „American Forces Network“ besteht darin, offizielle Informationen vom Garnisonskommando zu übermitteln und für Heimatklänge aus Amerika im Äther zu sorgen, so Lance Milsted.

Eigentlich kommt er aus Wisconsin, begann für das örtliche Hochschulradio zu arbeiten und trat Anfang der 1980er-Jahre in die US-Armee ein. Später war er für den Rundfunk der amerikanischen Streitkräfte in Korea, in Panama und im Irak sowie andere Medienunternehmen tätig – nun ist er in Stuttgart und schaut auf die Stadt herunter: „Es gefällt mir wirklich hier. Wenn da nur nicht die vielen Staus wären“, grinst er.

Radiostudio von AFN Stuttgart
Sergeant Robert Parrish moderiert die Morningshow von „AFN The Eagle“.

Mit „Staus“ beschäftigt man sich auch ein Stockwerk höher, die werden bei AFN nämlich traditionell auf Deutsch angesagt. Im fensterlosen, klimatisierten Studio der Radiostation „AFN The Eagle“ arbeitet Sergeant Robert Parrish. „Four kilometers of Stau between Kreuz Stuttgart and Sindelfinden“, vermeldet er lässig im Verkehrsbericht. Ein wenig Mitleid hat man mit den amerikanischen Moderatoren schon, wenn sie die Namen von deutschen Verkehrsknotenpunkten aussprechen müssen. Parrish schafft das aber ohne Fehler und fährt zur nächsten Musik. Er ist Anfang 30, ursprünglich aus Alaska und bringt dieser Tage die im Raum Stuttgart stationierten Soldaten und ihre Familien in den Tag. Er sei wirklich stolz, eine der amerikanischen Stimmen in der deutschen Radioszene zu sein, obwohl er wie viele seiner Kameraden vorher noch nie Radio gemacht habe, gibt er zu. Nach einem mehrmonatigen Journalismus-Crashkurs kam er nach Stuttgart, wurde vor Ort weiter ausgebildet. Seitdem steht er regelmäßig im Studio des Soldatensenders. Zu hören sind er und seine Kollegen auf der UKW-Frequenz 102.3 MHz, eine Welle, die noch weit über die Stadtgrenzen Stuttgarts hinaus zu empfangen ist. Mancher Radiosender sei neidisch auf die gute Frequenz, verlassen wolle AFN sie aber zumindest in absehbarer Zukunft nicht. Die örtliche Mittelwelle 1143 kHz für die Übertragung amerikanischer Talksendungen und Nachrichten wurde zwar im Frühjahr abgeschaltet, doch „The Eagle“ bleibe auf Sendung. „Die Region ist wichtig für die Streitkräfte. Alle Mitarbeiter der verschiedensten Militärorganisationen hier müssen wir mit aktuellen Informationen versorgen“, so Station Manager Lance Milsted.

Lance Milsted im AFN-Studio
Lance Milsted während der ersten Sendung aus dem neuen Studio in Stuttgart. (Foto: SSG Lucas Hoskins)

Das hat auch die Dachorganisation des Armeerundfunks erkannt und schickt in diesem Jahr zwar kein volles Portemonnaie, aber immerhin acht weitere Mitarbeiter zu AFN Stuttgart. Doch bis die angekommen und eingearbeitet sind, herrscht weiterhin akuter Personalmangel, schließlich arbeiten die meisten hier nicht nur beim Radio, sondern haben auch noch andere Aufgaben zu erledigen und müssen etwa Schießübungen absolvieren. Später tauschen sie dann wieder Waffe gegen Mikrofon und plaudern im Studio über die Veranstaltungen in der Region. „Wir wollen, dass unsere Soldaten nicht nur in der Kaserne hocken, sondern auch die Nachbarschaft kennenlernen, um Kontakte mit den Stuttgartern zu knüpfen“, meint Chief Petty Officer Anthony J. Koch, der zusammen mit dem Station Manager die AFN-Mission erfüllt.

Das mit der Völkerverständigung klappt aber auch schon so. Außerhalb des Radiostudios hätten sich viele Freundschaften entwickelt. Zum Beispiel zu dem englischstämmigen Mitarbeiter eines Stuttgarter Privatsenders. Man höre gegenseitig die Programme des anderen und plaudere ab und zu über das Radiobusiness. „Und“, freut sich Lance Milsted, „ich leite eine Pfadfindergruppe hier. Mein deutscher Kollege macht das auch – und natürlich haben unsere Scouts schon den Radiosender des jeweils anderen Senders besucht!“.

Eine Radiofreundschaft gibt es aber auch zu den übrigen Hörern. Im Studio klingelt das Telefon häufig, nicht selten sind deutsche Zuhörer in der Leitung. „Hier in Stuttgart gibt es wirklich viele Einheimische, die AFN mögen“, sagt Lance Milstedt stolz – auch wenn er für die offiziell natürlich gar nicht sendet. Wie viele Hörer er und sein Team außerhalb der amerikanischen Gemeinschaft tatsächlich haben, weiß niemand genau, Statistiken darüber gibt es nicht. Dass der Militärsender seit Jahrzehnten eine deutsche Fangemeinde hat, ist für Milsted aber unbestritten. In der Anfangszeit habe man Jazz und Rock’n’Roll nach Deutschland gebracht. Heute stehen im Sendeplan die „American Top 40“ mit Ryan Seacrest und die „American Country Countdown“, dazu im restlichen Programm eine Musikmischung aus aktueller Popsongs und in Deutschland kaum gespielten Oldies. Kajagoogoo, Two Princes, El DeBarge, Barenaked Ladies. AFN klingt cool.

Schild von AFN Europe
Für Stuttgart gilt nur noch „FM“ und ein bisschen „TV“: Historisches Schild von AFN Europe im Foyer des Funkhauses.

„Klar, seine Musik kann man sich auch auf dem iPod zusammenstellen. Aber Informationen von hier, die gibt es nur bei uns und werden vom Moderator live zusammengestellt. Der ist das Herz jeder Sendung!“, meint Anthony Koch. Milsted nickt, er steht gelegentlich auch selbst hinter dem Mikrofon, wenn ein Moderator krank oder im Urlaub ist. Dank des Internets könnten sich die Amerikaner in Deutschland inzwischen auch auf vielen anderen Wegen Nachrichten aus der Heimat beschaffen. Die Moderatoren von „AFN The Eagle“ wollen für ihr Zielpublikum aber mehr sein, als nur eine Stimme, die zwischen den Musiktiteln spricht, sagt Koch. Sie wollen eine Bezugsperson darstellen, die vielen Soldaten hilft, sich im fremden Schwabenland zurechtzufinden. Schließlich erzählen die Moderatoren in Uniform auch „on air“ aus ihrem Militäralltag. „Damit können sich unsere Hörer identifizieren und sie fühlen sich etwas mehr zuhause. Das Radio hier ist also wirklich wichtig für uns.“

Weiterführende Informationen
Alle AFN-Stationen per AFN360-Webradio (abrufbar nur in Deutschland)
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Titelfoto: Erste Sendung aus dem neuen Studio von AFN Stuttgart. Quelle: AFN / SSG Lucas Hoskins