Bernt von zur Mühlen: „Wenn Grenzgänger nicht möglich sind, ist Radio tot.“

Bernt von zur Mühlen
Bernt von zur Mühlen

Nach Bekanntgabe der Neubesetzung der Hörfunkdirektion beim WDR wird  viel über den Wechsel der Antenne Bayern-Chefin Valerie Weber diskutiert – intern wie extern (vgl. Valerie Weber als WDR-Hörfunkchefin: Mitarbeiter not amused). Wieso ist der Wechsel der Systeme im Radio auf dieser Ebene so etwas Besonderes? Im Interview mit RADIOSZENE relativiert Bernt von zur Mühlen als langjähriger Branchenkenner und Kolumnist (BvzM) die Argumente rund um diese Personaldebatte.

RADIOSZENE: War es eine kluge Entscheidung, Valerie Weber als Hörfunkdirektorin vorzuschlagen oder konnte Tom Buhrow nicht anders, weil er die Frauenquote im WDR einhalten musste?

BvzM: Die kolportierte Frauenquote hat ja schon eine lange Geschichte. Als Tom Buhrow ins Amt bestellt wurde, wurde er gleich mit zwei Personalien konfrontiert: der Hörfunkdirektion und der Fernsehdirektion. Bei der Fernsehdirektion war der Alloundjournalist Jörg Schönenborn gesetzt, und dann stellte sich die Frage, wie machen wir es jetzt, dass wir auf der Hörfunkseite eine Frau bekommen? Da wurde dann witzigerweise die Frau des Fernsehdirektors genannt, die ja aussscheidet, und der 1LIVE-Chef Jochen Rausch, der ebenfalls ausscheidet, weil er ein Mann ist. Wenn das „System Rundfunkrat – Intendant“ befangen ist in der Proporzfrage Männlein – Weiblein, dann ist ein gewisser Schub für die jetzt gefundene Personalie Valerie Weber vorgezeichnet.

RADIOSZENE: Wie schätzen Sie persönlich die Chancen ein, dass Valerie Weber vom WDR-Rundfunkrat zur neuen WDR Hörfunkdirektorin gewählt wird?

BvzM: Da braucht man nur in den Vatikan schauen: wenn das Kardinalskollegium einen Papst wählt, wird es sich nicht von Bischöfen bremsen lassen. D.h. übersetzt: der Rundfunkrat hat vor kurzem Tom Buhrow mit überzeugend großer Mehrheit bestellt. Der gleiche Rundfunkrat kann Herrn Buhrow mit seinem Vorschlagsrecht nun schwerlich in dem Rücken fallen und sagen: „das haben wir so aber nicht gewollt“. Ich glaube daher, dass man selbstverständlich diese Personalie abnicken wird.

RADIOSZENE: Auf was müssen sich die WDR-Mitarbeiter Ihrer Meinung nach einstellen?

BvzM: Ich unterstelle mal, dass Frau Weber, die meines Wissens Germanistik, Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte studiert hat, einen gewissen akademischen Überblick und eine gehörige Erfahrung im Privatradio und auch im öffentlich-rechtlichen System hat. Denn ein kluger und erfahrener Privatradiomacher beobachtet auch den öffentlich-rechtlichen Hörfunk und umgekehrt: gute öffentlich-Rechtliche beobachten das System der Privaten und holen sich bei ihm auch Anregungen, Überlegungen und Schlussfolgerungen. Tom Buhrow hat hier also eine Wahl getroffen, die eine Symbiose zwischen Radioerfahrung und der Erfüllung der Frauenquote darstellt.

RADIOSZENE: Trotzdem haben Mitarbeiter offenbar Angst vor einer programmlichen Privatisierung im WDR…?

BvzM: Die Systeme Öffentlich-Rechtlich und Privat, die ja erst seit 30 Jahren nebeneinander existieren, beobachten sich, integrieren sich gegenseitig, lernen voneinander, übertreiben aber auch auf beiden Seiten: wenn eine Seite irrsinnig Erfolg hat, neigt die andere Seite dazu, es zu kopieren. In der Summe kopiert der Öffentlch-Rechtliche mehr von den Privaten als andersherum. Weil in der Gründungsphase die Privaten vor 30 Jahren wenig zum Kopieren vorfanden, haben sie sich umfangreich am US-amerikanischen System orientiert, das ja über 60 Jahre Privatradioerfahrung hat.

Ich kann natürlich nachvollziehen, dass es in der WDR-Mannnschaft erst einmal Skepsis gibt. Warum? Weil man die Personalie zu kurzfristig identifiziert mit ein paar Handwerklichkeiten, die im Privatradio üblich sind: Gewinnspiele, Positionierungen wie die besten und die größten Hits etc. Das gibt aber kein vollständiges Bild, weil die Privatradios ausschließlich darauf ausgerichtet sind, Reichweiten zu generieren, die sich in der MA widerspiegeln und sich dann in Umsätzen versilbern lassen.

Die Öffentlich-Rechtlichen haben sozusagen eine Zwitterstellung. Wo sie werbetragend sind, müssen sie Reichweiten optimieren und Ähnliches tun wie die Privaten. Und gleichzeitig haben sie in ihrem genetischen Code auch den öffentlich-rechtlichen Auftrag, wie die Interessen verschiedener Gesellschaftsgruppen zu repräsentieren, den Journalismus nachhaltig aufzugreifen usw. Und das macht WDR-Mitarbeiter unter Umständen misstrauisch, die sich fragen, ob eine Frau Valerie Weber, kompatibel ist mit ihren Zielen im öffentlich-rechtlichen System.

Ich kann nur interpretativ sagen: dieses Misstrauen ist vollkommen falsch, weil die Hin- und Herbewegungen zwischen beiden Systemen in anderen Medien völlig üblich sind. Ich erinnere an Frank Elstner, der schon zu Radio Luxemburg-Zeiten für das ZDF arbeitete, an den ZDF-Reporter Dieter Kronzucker, der zu RTL ging und wieder zurück, an Spiegel-Chefredakteur Erich Böhme, der zu n-tv ging, an Gottschalk, Jauch, Kerner, ja ich erinnere an mich selbst: ich habe 10 Jahre für die Öffentlich-Rechtlichen gearbeitet, bevor ich zu Radio Luxemburg ging.

Nur das Radio ist so enorm empfindlich, wenn mal einer zu anderen Seite wechselt. Das macht das Radio sehr klein im Selbstbewusstein und zeigt, wie spießig Radio ist – auf beiden Seiten. Das Radio muss sich endlich angewöhnen, in großen Dimensionen der Zukunft zu denken. Denn wenn so etwas wie der Wechsel von Valerie Weber nicht möglich ist, dann wird Radio sich einseifen können, weil Radio sowieso riesige Probleme hat, wenn es nur an UKW und anderen Dingen festhält. Wenn Grenzgänger nicht möglich sind, ist Radio tot.

RADIOSZENE: Jetzt gibt es aber nicht wenige WDR-Redakteure, die an Valerie Weber ihre angeblich nicht ernstzunehmende journalistische Ausbildung bemängeln?

BvzM: Als Programmdirektorin des erfolgreichsten deutschen Privatradios hat Frau Weber in ihrem Portfolio ja auch die Verantwortung über die Nachrichten. Und wenn ich richtig informiert bin, macht Antenne Bayern einen fast verwechselbar gleichen Job wie der Bayerische Rundfunk. Also, woher nimmt man die Argumentation, dass sie weniger könnte oder weniger Gefühl hätte für Journalismus als ein Kollege beim WDR?

RADIOSZENE: Wird es Frau Weber nicht trotzdem schwer haben, sich gegen die vielen Gegner im eigenen Hause durchzusetzen?

BvzM: Das ist eine interessante Frage: Wenn man NUR die Intendanz als Rückendeckung hat, geht es einem ziemlich schlecht. Dafür gibt es viele Beispiele in den großen Anstalten, der WDR hat ja fast 5000 Mitarbeiter und wenn sich 2000 mit der Faust in der Tasche gegen die Führung wehren, dann sind das 2000 zu viel.

Diese Personalie wird den WDR noch lange intern bewegen und für allerlei Spekulationen sorgen, weil diese Systemfrage: „Woher kommst Du? Kommst Du aus der evangelischen oder der katholischen Kirche?“ enorm wichtig ist. Systeme neigen dazu, sich abzugrenzen. Das geht so weit, das man die Fähigkeiten des Anderen einfach in den Eimer tritt, um nicht zugeben zu müssen, dass er kann genauso viel kann – nur in einem anderen System. Da muss man Niklas Luhmann zitieren, der vor vielen Jahren scharfsinnig herausgearbeitet hat, dass Systeme dazu neigen, sich selbst immer weiter zu erzeugen und alles tun, um sich abzugrenzen gegen andere.

RADIOSZENE: Kommt dann bei 1LIVE auch bald das geheimnisvolle Geräusch und werden bei WDR 2 bald die größten Hits im besten Mix angekündigt?

BvzM: Es wurden ja sofort auf Facebook Kommentare dazu abgegeben, dass Frau Weber die Phraseologien und Positionierungen der Privaten auf den WDR übertragen will. Aber wer sich einmal die dritten Fernsehprogramme der ARD anschaut, hr, MDR, WDR, der wird feststellen, dass dort längst eine Wiederauferstehung dieser Phrasen passiert: „die schönsten Schlösser Hessens“, „die besten Gaststätten Niederbayerns“. Die Systeme gleichen sich an und sind bereits gleich – auch die öffentlich-rechtlichen Radioprogrammen arbeiten mit diesen Positionierungselementen wie z.B. „Die größten Hits aller Zeiten (SWR 1). Da geht die Argumentation meiner Meinung nach ins Leere.

Ich glaube mehr, dass es schwierig ist für eine solche Programmdirektorin, sich mit den Usancen der Öffentlich-Rechtlichen auseinanderzusetzen. Es gibt ja beim Kulturradio WDR3 auch Klassikfragen zu behandeln, sie hat mit einer sehr harten Hörerschaft umzugehen, die bei Programmreformen schnell mal protestieren, wie man bei WDR3 erlebt hat, da hat sie es mit einer hochkomplexen Zielgruppe zu tun, DAS ist die Herausforderung. An ihrer Stelle würde es mir nicht eine Sekunde einfallen, die Phraseologoen der Privaten auf die Öffentlich-Rechtlichen zu übertragen. Das ist ein ganz neues Arbeitsfeld.

RADIOSZENE: Wird radioNRW jetzt vielleicht auch zittern?

BvzM: Ich habe noch keinen Fall erlebt, wo ein Programmverantwortlicher eines Sytems sein Wissen und Können so extensiv eingesetzt hat, dass er dem anderen System das Fürchten gelehrt hat. Für Frau Weber gilt es ja erst einmal, diese 5 oder 6 WDR-Programme zu koordinieren. Außerdem gibt es Absprachen mit radioNRW – der WDR ist ja immer noch Minderheitsgesellschafter von radioNRW, das wird ja immer wieder vergessen. Keiner wird den Anderen an die Wand nageln.

Bei den Privaten wird es dagegen nur als Abgang einer begabten und erfahrenen Mitarbeiterin registriert.

RADIOSZENE: Apropos Antenne Bayern, wer könnte dort Nachfolger/in werden?

BvzM: Die Privatradios, die ja alle gleich formatiert sind in Deutschland, sind ja nur regional unterschiedlich abgegrenzt: FFH, Antenne Bayern, 104.6 RTL oder Sender in Sachsen hören sich alle gleich an, sind aber nicht alle gleich hörbar, sondern nur im getrennten föderalen System. Diese Personallücke ist sicher enorm leicht zu füllen. Es gibt ja eine Überproduktion von gut ausgebildeten erfahrenen Hörfunkleuten. Heutzutage gibt es an jedem Baum junge und dynamische Radioleute, die genau das machen können, das serialisiert im Privatradio inzwischen ziemlich fantasielos gang und gäbe ist.

RADIOSZENE: Herr von zur Mühlen, vielen Dank für das Gespräch.