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Gewinnt die Defensive wirklich die Meisterschaft?

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Warum Fußball-Weisheiten nicht unbedingt für das Privatradio gelten,
und was das mit dem Lokalfunk in Schleswig-Holstein zu tun hat

Mit Fußball-Weisheiten lässt sich ja auch so manche Entscheidung im Privatradio wunderbar bebildern. Wenn z.B. nach einem  schlechten MA-Ergebnis ruckartig das Management ausgetauscht wurde, der Erfolg aber ausblieb, können Kritiker wunderbar Statistiken zitieren, dass schnelle Trainer-Wechsel im Fußball in einer längeren Perspektive nutzlos sind. Andererseits: Last Minute-Rettungen vor dem Abstieg durch kurzfristige Trainer-Wechsel wie letztes Jahr in Hoffenheim oder Bochum sind die perfekte Metapher für radikale Personalrochaden.

Man sieht schon an diesem Beispiel: Wenn man lange genug sucht, wird sich schon ein Fußball-Spruch finden, der als Begründung einer Entscheidung taugt. Trotzdem ist es manchmal recht interessant, eine dieser Fußball-Weisheiten an der Wirklichkeit – in diesem Fall: des Privatradios – zu überprüfen.

Eine solche Fußball-Weisheit ist z.B.: „Die Offensive gewinnt Spiele, die Defensive die Meisterschaft“. Man könnte fast meinen, dieser Satz sei zur Strategie-Maxime zumindest weiter Teile der Privatradio-Szene in Deutschland geworden. Ein Zitat aus dem Programm der Münchener Medientage 2013: „Denn Deutschlands Radiosender sind zwar erfolgreich, gelten aber auch als besonders innovationsscheu.“ Aber ist das Setzen auf die Defensive, d.h. die Wahrung und Sicherung des Besitzstandes wirklich der Schlüssel zur „Radio-Meisterschaft“?

Schaut man sich die Entwicklung der Print-Medien an, spricht nicht viel für diese These: Diejenigen, die defensiv den Status Quo zu sichern versuchten, befinden sich in einer absehbaren Abwärtsspirale von Auflagenverlusten, Kostensenkungs-programmen, Qualitätseinbußen, Akzeptanzrückgang, weiteren Auflagenverlu- sten  …

Die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen scheinen aber z.B. bei den Privatradio-Machern in Schleswig-Holstein, obwohl sie ja über ihre Gesellschafter eng mit den Print-Medien verbunden sind, nicht angekommen zu sein: Die R.SH-Gruppe kämpft mit großem Nachdruck gegen die mögliche Zulassung von werbefinanziertem privatem Lokalfunk in ihrem Bundesland.

Mal ganz offen als politische Lobby-Arbeit (http://www.patrick-breyer.de/wp-content/uploads/2013/06/Radio-R.SH-zu-lokalem-Rundfunk-in-Schleswig-Holstein.pdf), mal verdeckt als Arbeit einer um ein paar Ecken der RSH-Gruppe verbundenen PR-Agentur aus Leipzig (vgl. Lokalradio in Deutschland: Up ewig ungedeelt?).

Das ist alles natürlich völlig legitim. Die Frage ist: Ist es auch klug, sich einer Entwicklung zum lokalen Hörfunk zu verweigern, die es ansonsten überall in Deutschland gibt (Letztes Beispiel: Radio Osnabrück sendet seit gestern auf der 98,2)?  Bringt diese Defensiv-Strategie wirklich die Meisterschaft? Oder steht am Ende gar der Abstieg?

Ich habe für mich bzw. den von mir geführten Sender alster radio jedenfalls eine andere Entscheidung getroffen, als ich vor einer ähnlichen Fragestellung stand. alster radio nutzte über mehr als 10 Jahre eine Hamburger Zweitfrequenz (UKW 91,7) für die Ausstrahlung eines zeitlich eng limitierten redaktionellen Fensterprogramms. Als das Ende der diesbezüglichen Zulassung näher rückte, gewannen Überlegungen, diese Frequenz medien- und kulturpolitisch für andere Zwecke zu nutzen, an Dringlichkeit. Natürlich wäre es möglich gewesen, auf diese Wünsche defensiv zu reagieren, die betriebswirtschaftliche Unmöglichkeit eines solchen Vorhabens herauszuarbeiten, die schweren  ökonomischen Folgen für alster radio zu beschreiben … – eben das ganze, jetzt auch von der RSH-Gruppe aufgefahrene Horror-Szenario.

Stattdessen hat alster radio in enger Abstimmung mit der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein mit 917xfm ein Konzept entwickelt, das einerseits einen deutlichen Vielfalt-Gewinn auf dem Hamburger Radiomarkt brachte, andererseits die wirtschaftliche Stabilität des Projekts durch die Verbindung mit alster radio garantierte. Übrigens zu ähnlich überschaubaren Kosten, wie ich sie an anderer Stelle für einen Lokalsender im schleswig-holsteinischen Kreis Lauenburg skizziert habe (Lokalfunk-Studie Schleswig-Holstein: Nicht einfach, aber machbar).

Das Ergebnis kann sich sehen lassen: 917xfm ist – obwohl die Frequenz nur eine schwache Sendeleistung hat – programmlich ein voller Erfolg, wirtschaftlich im Plan, der einen bescheidenen Gewinn vorsieht, und war für alster radio ein erheblicher Image-Gewinn (Dass dieses Image mittlerweile durch katastrophale Management-Fehler sehr gelitten hat, steht auf einem anderen Blatt). Um wieder in die Fußball-Sprache zurückzukehren: die Offensive – 917xfm – hat nicht nur das Spiel gewonnen, sondern hätte auch geholfen, die Meisterschaft zu sichern. Die Meisterschaft verspielt haben andere.

Ähnliches wäre sicher auch der R.SH-Gruppe möglich, wenn man vom eingeschränkten Blickwinkel der defensiven Besitzstandswahrung lösen würde. So könnte man z.B. den eigenen Sender RADIO NORA in Richtung eines Mantelprogramms für die schleswig-holsteinischen Lokalradios öffnen, was auch deswegen nicht allzu schmerzhaft wäre, weil RADIO NORA nur einen vergleichsweise kleinen positiven Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg der R.SH-Gruppe leistet. Oder man könnte vorhandene Strukturen im Bereich der nicht lokalen Berichterstattung und der Vermarktung so erweitern, dass sich für beide Seiten ein rechenbarer Nutzen ergäbe. In der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein hätte man sicher auch einen Partner für die medienpolitische Gestaltung eines solchen Prozesses.

Aber dafür brauchte es einen grundsätzlichen Strategie-Wechsel weg vom reinen Defensiv-Konzept. Das ist übrigens auch im Fußball längst überholt. Da heisst es heute eher: Mit einer schlechten Defensive kann man Spiele verlieren, aber zur Meisterschaft geht es nur über eine meisterhafte Offensive.

 

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Ulrich Bunsmann, seit 25 Jahren Radio-Profi, schreibt regelmäßig für RADIOSZENE seine Gedanken zum Radio aus der deutschen Medienhauptstadt Hamburg.

E-Mail: bunsmann@radioszene.de

 

 

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