Lokalradio in Deutschland: Up ewig ungedeelt?

Schleswig-Holstein-Fahne © Rene Grycner, Leuchtturm © Katja Xenikis, Kofferradio © Sashkin,  alle via Fotolia.com

„Auf ewig ungeteilt“ – das ist der Wahlspruch der Schleswig-Holsteiner. Schaut man auf die aktuelle Medienpolitik, kann davon jedoch keine Rede sein. Denn in Schleswig-Holstein prüft die Landesregierung aktuell, ob das bisherige gesetzliche Verbot des Lokalfunks aufgehoben werden soll. Und die Meinungen dazu könnten geteilter nicht sein.

Von Carolin Fraunholz
(PR-Beraterin bei Westend. Public Relations Gmbh)

Während einige kleine Radioinitiativen – wie das lokale Webradio Radio RZ 1 – auf eine positive Entscheidung hoffen, sind die drei landesweiten Programme R.SH, delta radio und Radio NORA eher skeptisch bis ablehnend. Diese Haltung kommt nicht von ungefähr: Mit einer Bevölkerungsdichte von 179 Einwohnern pro Quadratkilometer liegt Schleswig-Holstein unter dem Bundesdurchschnitt. Die Landeshauptstadt Kiel ist mit rund 240.000 Einwohnern auch die größte Stadt. Der schleswig-holsteinische Werbekuchen ist daher mitnichten üppig. „Trotzdem ist Schleswig-Holstein in puncto privatem Hörfunk gut versorgt“, meint Michael Klehm, zuständig für neue Medien und Privatfunk bei der Bundesgeschäftsstelle des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV). „Ob eine Etablierung kleiner Lokalsender hier allerdings echte Meinungsvielfalt bringt, darüber lässt sich streiten. Viel wichtiger ist doch die Frage: Sind Lokalradios in Schleswig-Holstein wirtschaftlich tragbar? Und an diesem Punkt habe ich ehrliche Zweifel, denn der ohnehin kleine Werbekuchen wird dann noch weiter aufgeteilt.“

Claus Grewenig (Bild: VPRT)
Claus Grewenig (Bild: VPRT)

Auch Claus Grewenig, Geschäftsführer des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien e.V. (VPRT) meldet Bedenken an: „Schleswig-Holstein verzeichnet schon heute ein vielfältiges Angebot. Bei neuen Konzepten ist die wirtschaftliche Tragfähigkeit eine entscheidende Hürde. Dies ist in Märkten, auf denen der Lokalfunk nicht seit Jahren gesetzt und etabliert ist, durchaus mit einem Fragezeichen zu versehen – gerade außerhalb von Ballungsräumen, für die Schleswig-Holstein nicht per se bekannt ist.“ Das heißt im Klartext: „Wenn im Ergebnis der bestehende Markt insgesamt leidet und die Gefahr einer reinen Umverteilung besteht, hätten letztlich alle verloren: die etablierten Anbieter, die Politik und auch die Hörer.“

Ulrich Bunsmann (Bild: privat)
Ulrich Bunsmann (Bild: privat)

Aber wäre Lokalradio in Schleswig-Holstein denn machbar? „Ja“, meint Ulrich Bunsmann, langjähriger Radioprofi aus Hamburg und Inhaber eines Büros für Radio-Kommunikation. „Die publizistisch und wirtschaftlich erfolgreiche Veranstaltung eines lokalen UKW- Hörfunkprogramms (…) stellt eine große Herausforderung dar, aber: sie ist machbar.“ Das ist das Fazit seiner Studie, die im Auftrag des lokalen Webradios Radio RZ 1 aus dem schleswig-holsteinischen Kreis Herzogtum Lauenburg erstellt wurde. In seiner Analyse kalkuliert Bunsmann exemplarisch die Kosten für Lokalfunk in Schleswig-Holstein. Erstaunlich an der gesamten Rechnung: Für den 24-Stunden-Betrieb seines Lokalradios hat der Radioprofi nur zwei Redakteursstellen sowie weitere Teilzeit- beziehungsweise Honorarkräfte geplant. Und das ist – gelinde ausgedrückt – ambitioniert.

„Eine solche Rechnung ist ein Irrweg“, meint Michael Klehm vom DJV. „Solche Beispiele gibt es bereits genügend. Hier arbeiten Volontäre als vollwertige Redakteure und werden mit 600 Euro netto monatlich abgespeist. Unabhängig von einer solchen Behandlung: Von wem lernen denn diese Nachwuchsjournalisten – von dem einen vorhandenen, vollkommen überlasteten Redakteur?“ Um einen 24-Stunden-Betrieb im Radio zu gewährleisten, benötige man mindestens 15 Mitarbeiter. „Und das grenzt schon an Ausbeutung. Mit zwei festen Redakteuren ein vollwertiges Lokalradio zu stemmen, ist rechtlich fragwürdig. Journalistische Qualität kann man hier sicher nicht erwarten“, meint der Verbandsvertreter. „Die Vergabe einer Sendelizenz im Hörfunk ist an Auflagen gebunden. Der private Rundfunk besitzt eine gesellschaftliche Aufgabe. Reine Abspielstationen gibt es dank neuer Technik genügend. Ein Webradio kann man heute mit wenig Aufwand zu Hause betreiben. Aber Menschen auf den Punkt zu informieren, diese Informationen einzuordnen, und das rund um die Uhr – dazu bedarf es mehr.“ Ulrich Bunsmann kann diese Argumentation nicht verstehen: „15 feste Redakteure bei einem Lokalradio? Die Zeiten eines solchen ‚Wünsch dir was‘ sind bei allen Medien längst vorbei. Natürlich ist eine Planung mit zwei festen Redakteuren und weiteren Teilzeit- bzw. Honorarkräften ambitioniert und verlangt viel Idealismus. Aber die Möglichkeiten der digitalisierten Sendetechnik jenseits eines platten Voice-Trackings sind noch lange nicht ausgeschöpft. Insofern lautet die Antwort: in der Tat nicht einfach, aber: ja, machbar.“

Apropos digitalisierte Sendetechnik: Wer schafft diese denn an? Und was passiert eigentlich in Zukunft, wenn eine Abschaltung von UKW tatsächlich Realität wird? „Idealerweise senden Radios heute in UKW und investieren zeitgleich in die Digitalisierung“, meint Michael Klehm vom DJV. Aber wann sollen das die zwei Redakteure des schleswig-holsteinischen Lokalradios denn machen? Nach der Morning-Show und vor dem Termin mit dem ansässigen Werbekunden – denn Vertriebler hatte Ulrich Bunsmann in seiner Studie ja nicht vorgesehen. Auf Nachfrage meinte der Radioprofi zum Thema: „Wie genau der jeweilige Lokalsender seinen Vertrieb strukturiert und vertraglich regelt, ist nicht Gegenstand meiner Studie.“ Das ist schade – denn genau das ist schließlich einer der Knackpunkte in den Überlegungen zur Finanzierung lokalen Radios. Oder sitzen potentielle Lokalradio-Betreiber diese Frage vorsorglich aus und hoffen stattdessen auf die Unterstützung aus der Politik? Auch Claus Grewenig ist davon nicht überzeugt: „Die Digitalisierung ist per se kein Selbstzweck, auch nicht im lokalen Hörfunk. Der VPRT hält es daher allgemein und auch außerhalb von Schleswig-Holstein nach dem Prinzip: Keine Zwangsbeglückung durch die Politik, besonders wenn die Sender die Refinanzierung dann allein bewältigen müssen.“

„Von welcher Digitalisierung sprechen Sie? Internetradio? Dem ewig dümpelnden Digitalradio DAB+?“, fragt Ulrich Bunsmann. „UKW wird auf absehbare Zeit, gerade im ländlichen Raum, ein ganz wichtiger Radio-Übertragungsweg bleiben. Ein UKW-Abschalt- Szenario mag in den Köpfen einiger DAB+-Betreiber spuken, mittelfristig realistisch ist es nicht.“ Vielleicht stimmt das sogar – vielleicht sind einige Radiomacher aber auch überrascht, wie schnell die Digitalisierung dann doch vor der Tür steht. Fakt ist: Auch Lokalradio muss zukunftsfähig sein. Wie aber soll sich ein kleiner Sender mit einer derart dünnen Personaldecke mit Apps, Social Media und der Auffindbarkeit im digitalisierten Zeitalter – oder gar der Akquise von Werbekunden – auseinandersetzen, wenn das Senderbudget schon kaum reicht, den regulären Betrieb zu finanzieren?

Wie die reale Bedrohung für ein kleines Radio dann tatsächlich aussehen kann, erfuhren die Macher der Betriebsgesellschaft Radio Herne aus Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr (RADIOSZENE berichtete). „Die roten Zahlen, die Herne 90.8 seit seiner Gründung schrieb, waren nicht mehr tragbar“, erklärte Hans-Jürgen Weske, der Geschäftsführer der bei der Funke Mediengruppe (WAZ) angesiedelten Betriebsgesellschaft noch im Mai. Bis Ende Juni mussten die Macher Lösungen für das angeschlagene Lokalradio finden, sonst hätte die Senderabschaltung zum 31. Dezember gedroht. „Durch massive Kosteneinsparungen – und zwar ausschließlich von Sachkosten, denn Personaleinsparungen waren keine Option – und die Steigerung der Erträge, konnten wir die Zukunft von Radio Herne sichern“, erklärt Hans-Jürgen Weske heute. „Dies ist aber auch nur möglich geworden, weil sich kleine Sender in Nordrhein- Westfalen in einer Werbekombination gegenseitig unterstützen. Ohne diese Share-Anteile wäre der Sender künftig nicht lebensfähig gewesen.“ Resultierend aus dieser Erfahrung beobachtet Weske die Überlegungen aus Schleswig-Holstein mit Skepsis. „Allein aus der lokalen Ertragslage ist Radio einfach nicht zu bestreiten. Selbst für landesweite Programme ist der Markt in Schleswig-Holstein bestenfalls herausfordernd – für kleine Lokalsender sind die Kosten in dieser Umgebung allein schlicht nicht zu decken.“

 

Carolin Fraunholz (Bild: privat)
Carolin Fraunholz (Bild: privat)

Carolin Fraunholz ist PR-Beraterin bei Westend. Public Relations Gmbh, Schwerpunkt Medienpolitik, und war früher Teamleiterin Redaktion bei 4iMEDIA Corporate Publishing 4iMEDIA Agenturgruppe sowie Redaktionsassistenz beim MDR.

Sie studierte an der University of Newcastle upon Tyne (political science, American foreign policy, environmental policy, European politics and decision-making)  und an der Universität Leipzig (Journalistik/Poltikwissenschaft/Amerikanistik, M.A. – Schwerpunkt Print- und TV-Produktion, Zeitungs- und Zeitschriftengestaltung, Wissenschaftsjournalismus)

 

Bildnachweis: 
Schleswig-Holstein-Fahne © Rene Grycner, Leuchtturm © Katja Xenikis, Kofferradio © Sashkin,  alle via Fotolia.com