Telekom-Drossel versus Webradio

Ein Gastbeitrag von Marcus Engert

Marcus Engert Drosselkom

Eine Drosselung könnte enorme gesellschaftliche Schäden anrichten.

Moderne Demokratien und Wissensgesellschaften leben von der permanenten Verfügbarkeit und Überprüfbarkeit von Informationen, für potentiell jeden. Ein Wert, den es um jeden Preis zu erhalten gilt. Die Deutsche Telekom aber beginnt parallel zu den Drosselungsplänen auch, die Netzneutralität in Frage zu stellen. Und spätestens hier wird das Nachdenken über TV- und Radio-Nutzung im Netz wirklich zur Nebensache. Denn Netzneutralität ist ein ur-eigenes Grundprinzip des Internets, wie wir es kennen – und als moderne Gesellschaften brauchen.

Dienste der Deutschen Telekom oder ihrer Kooperationspartner werden nach Erreichen eines Datenvolumens weiter erreichbar sein – der Rest allerdings wäre kaum noch sinnvoll nutzbar. Wie skurril! Das Online-Banking, wichtige Info-Portale, Webmail-Dienste, Steuerformulare, Behördenwegweiser, und – weil das durchaus auch eine Berechtigung hat – auch Unterhaltung und Freizeitangebote aller Art: hinter einer „Drossel-Schranke“ ausgebremst, während irgendein Video-Portal der T-Com wie gewohnt erreichbar ist. So etwas vernichtet das Fundament, auf dem „unser“ Internet funktioniert. Andre Meister fand den treffenden Vergleich: Man stelle sich vor, der Postbote würde Briefe und Pakete öffnen, und manche – je nach Inhalt – schneller und andere langsamer oder gar nicht zustellen. Dieses Szenario entsteht hier. Statt wie bisher jedes Datenpaket gleich zu behandeln, unabhängig von seinem Inhalt, entstünde so nicht nur ein Zwei-, Drei-, Vier-Klassen-Netz, sondern auch eines mit gesteigerter Überwachung und Protokollierung der Dinge, die wir alle online tun (denn man muss ja entscheiden können, was man noch „durch“ lässt).

 

Eine Drosselung könnte enorme wirtschaftliche Schäden anrichten.

Immer mehr Unternehmen bauen auf Geschäftsmodellen auf, die voraussetzen, dass die Kunden online sein können. Anbieter, die in Deutschland und Europa Steuern zahlen und Arbeitsplätze schaffen. Auch immer mehr Geräte sind online. Mit Smart-TV wächst aktuell sogar ein ganz neuer Wirtschaftszweig, mit sehr spannenden Chancen. Die große Konvergenzwelle aller Mediengattungen und Geräte beginnt gerade erst.

All das – Industriezweige, Wertschöpfung, Gründergeist – ist durch eine Drosselung gefährdet: weil die Grundlage dieser Wertschöpfung entzogen würde: Kunden, die frei online gehen können.

Schlimmer noch: diese Gefährdung erstreckt sich sogar auf schon bezahlte Angebote. Wir alle entrichten den Rundfunkbeitrag – und finanzieren damit die Produktionen von ARD und ZDF. Immer mehr Menschen möchten diese durch sie bezahlten Produktionen auch online konsumieren: wertvolle Reportagen, bisher oft auf nächtliche Sendeplätze verbannt, erzielen online mittlerweile ein Vielfaches des Publikums, welches sie im TV erreichen. Die Pläne der Telekom verhindern das – und zwangs-trennen den Beitragszahler von den durch ihn finanzierten Beiträgen.
dab-plus-smallDoch statt auf diesen drohenden (Informations-)gesellschaftspolitischen Super-GAU hinzuweisen, wurden die Telekom-Pläne dann leider doch nur zur Stimmungsmache in eigener Sache genutzt: um schönes Wetter für DAB+ zu machen. Man kann mit guten Argumenten für DAB+ streiten. Diese Entwicklungen aber zur PR in eigener Sache zu nutzen, finde ich mehr als nur bedenklich. Es kann Verantwortlichen großer Rundfunkanstalten, die dafür da sind, Wissen und Informationsvielfalt zu sichern, nicht egal sein, wenn der Zugang hierzu und die Mittel ihrer Vervielfältigung aus übersteigertem Gewinninteresse heraus infrage gestellt werden.

 

Und dennoch: es gibt Grund zum Optimismus

Marcus Engert (Bild: privat)
Marcus Engert (Bild: privat)

Man kann als Radiomacher optimistisch sein, dass LTE derlei rückwärtsgewandte Diskussionen erübrigen wird. Man kann damit rechnen, dass bald kluge P2P-Netzwerke für Broadcast eingesetzt werden (mit kleinen Plugins, bei denen jeder Hörer auch einen Mini-Bruchteil seiner Ressourcen zum weiterverbreiten bereit hält; dieses wird schon seit einigen Jahren praktiziert, z.B. beim Eurovision Song Contest im Web).

Man kann optimistisch sein, dass sich bessere Tarifstrukturen entwickeln werden, und spätestens nach der nächsten Netzausbaustufe ein weiterer Preisverfall bei Mobiltarifen ansteht. Vielleicht wird ja auch der Neid auf Nachbarn zu einer Triebkraft: in Österreich gibt es heute schon Tarife mit „echten“ Flatrates; die Niederlande wollen bis 2015 90% aller Haushalte mit Glasfaseranschlüssen versorgen.

Und vielleicht, nur vielleicht können wir auch noch hoffen: darauf, dass Politik und Regulierungsbehörden all diese gesellschaftlichen Implikationen erkennen – und höher bewerten, als Lobby-Botschaften oder den (übrigens heute schon nicht zu schlechte) Gewinn eines Ex-Staatsbetriebs.

Deutschlands ist nicht reich an Rohstoffen – unsere Ressourcen stecken in den Köpfen, so heißt es ja immer. Und wenngleich der Blick für diese langfristigen Implikationen unter der tagesaktuellen Diskussion etwas zurück bleibt: ich fühlte mich wohler, würden wir jede Gefährdung der Fort-Entwicklung einer modernen, digitalisierten Wissensgesellschaft im Keim ersticken. Wenn wir zulassen, dass Netzneutralität und unbeschränkter Zugang zu Wissen durch ein überwachtes und unfreies Zwei-Klassen-Internet ersetzt werden: welches Ende wird das wohl nehmen?

 

Wir haben schon bezahlt

Die Telekom argumentiert, der weitere Netzausbau müsse irgendwie finanziert werden. Ist das so? Hat man der Telekom nicht vielmehr schonmal ein Netz geschenkt, mit dem sie in den zurückliegenden Jahren das Geld hätte verdienen und beiseite legen müssen? Die Telekom verfügt ein Netz, welches ihr aus Staatseigentum übertragen wurde: dieses Netz haben wir alle, haben die Bürger bezahlt. Sie profitierte damit von schier unfassbaren Subventionen. Es kann doch nicht sein, dass man Investitionen in die Zukunft hieraus nicht erwirtschaftet hat, es nun aber nutzt, um eine Erpressungshaltung aufzubauen? Cory Doctorow (siehe das Video hier, ab Minute 42:30) hat es auf der re:publica 2013 auf den Punkt gebracht: Wenn die Telekom ein Netzwerk nach den Regeln des freien Markt möchte, soll sie sich selbst eines bauen und jeden Meter davon selbst bezahlen!

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Für uns als Anbieter von anspruchsvollem Radio und Audio im Netz besteht kein Zweifel: Das Netz ist das Trägermedium von morgen – für alle Mediengattungen. Nicht nur deswegen wären, sollte die Telekom 2016 diese Pläne Realität werden lassen, viel größere Schäden zu befürchten, als „nur“ eingeschränkter Spaß. In der Konsequenz kann das nur heißen: die Limitierung darf nicht kommen, weil sie jedweden Fortschritt im 21. Jahrhundert in Frage stellt. Und sie wird hoffentlich nicht kommen, wenn die Kunden ein Zeichen setzen, dass die Telekom schmerzhaft spürt und andere Provider nicht übersehen können. Kunden mögen träge sein – dumm sind sie nicht. Zumindest hoffe ich das…