Aufbruchstimmung! Rückblick auf die Radiodays Europe

radiodayseurope-BCC-big

Von Inge Seibel-Müller (hörfunker.de)

Ob Storytelling, Twitter, Smart-TV-Apps oder Hybridradio – die Radiodays Europe 2013 in Berlin hatten alle aktuellen Radiothemen auf dem Schirm. 

50 Sessions in zwei Tagen: Viel Diskussionsstoff auf den Radiodays Europe in Berlin. (© RADIOSZENE)
50 Sessions in zwei Tagen: Viel Diskussionsstoff auf den Radiodays Europe in Berlin. (© RADIOSZENE)

Die Radiodays Europe, der weltweit größte Fachkongress öffentlich-rechtlicher und privater Radiomacher, fand vergangene Woche in Berlin statt. 1200 Teilnehmer zählten die Veranstalter, mehr als 300 kamen aus dem Gastgeberland Deutschland. Die Wirtschaftskrise hat mittlerweile in einigen Ländern jedoch auch die Radiomacher erreicht. Auffallend wenige Radiokollegen kamen aus Spanien, Frankreich oder Italien. „Die wirtschaftliche Lage, viele können sich Kongressbesuche derzeit rein zeitlich nicht leisten“, meinte dazu achselzuckend der Vertreter einer italienischen Privatradiokette, der es doch nach Berlin geschafft hatte.

Radio als Fels in der Brandung

Die Stimmung in Berlin war dennoch gut. Die Branche schaut trotz der großen Herausforderungen, die die wachsende Konkurrenz auf den digitalen Plattformen in immer rasanterem Tempo mit sich bringt, optimistisch in die Zukunft.

Stefan Möller (AER-Präsident Bild: ©RADIOSZENE)
Stefan Möller (AER-Präsident Bild: ©RADIOSZENE)

In der Eröffnungsrede betonte Stefan Möller, Präsident der AER (Association of European Radios), dass es den Hörern gleich sei, über welche Ausspielungswege das Radio zu ihnen komme. Hauptsache, es sei kostenlos, einfach erreichbar, immer und auf jeglichen Kommunikationsgeräten. „In einer Welt, in der wir von Informationen überflutet werden, stellt sich die Frage nach der Bedeutung des Radios“, sagte Möller. Seine Antwort: „In der Online-Welt ist es so leicht, sich zu verlieren, Radio sollte ein zuverlässiger Wegführer durch das Chaos sein.“ Als Präsident der AER vertritt Möller 4500 Privatradiostationen aus neun EU-Staaten und der Schweiz.

Das Smartphone als große Chance

„It’s all about trust“ – alles dreht sich um Vertrauen, meinte auch Cilla Benkö, die Generaldirektorin des öffentlich-rechtlichen Radios aus Schweden. „Wenn Sie das Vertrauen der Hörer haben, dann wird es für die Konkurrenz sehr schwierig, Ihnen zu schaden.“ In der Vergangenheit seien die Radiomacher sehr „versnobt“ gewesen, meinte Cilla Benkö selbstkritisch weiter: „Wir waren der Ansicht, wer uns hören will, muss zu uns kommen. Er muss das Radiogerät einschalten oder unsere Website besuchen.“ Diese Zeiten seien vorbei. Beim Schwedischen Radio gehe man mittlerweile den Weg, die Inhalte durch beispielsweise eingebundene Player auf Tablets und Websites zum Publikum zu tragen.

Cilla Benkö (Generaldirektorin Sveriges Radio)
Cilla Benkö (Generaldirektorin Sveriges Radio)

Cilla Benkö betonte, dass im modernen „Journalismus 3.0“ die Hörer aktiver in die Programmgestaltung eingebunden werden müssten, indem man sich ihr Wissen und ihre Kompetenz zu Nutzen mache. Bei ihren Sendern spiele daher Twitter als direkter Kommunikationskanal eine große Rolle, auch zur Hörerbindung. Wie man diesen Kanal am sinnvollsten nutzt, darüber haben die Schweden ein Handbuch für Journalisten geschrieben, das gerade ins Englische übersetzt wird und ab Mitte April auf Anfrage zu erwerben ist. „Das Handbuch entstand aus der Not heraus, dass es Vergleichbares noch nicht gibt“, sagt die Chefin von Sveriges Radio. Unter anderem wird an praktischen Beispielen erklärt, wie man die Social Media Werkzeuge am sinnvollsten einbindet.

Schließlich hielt Cilla Benkö mit den Worten: „This is our golden opportunity“ ein Smartphone in die Höhe. Dieses kleine Gerät befinde sich in jeder Jackentasche und sei daher die größte Chance für die Zukunft. Ihr Abschlussappell an die Radiokollegen in Berlin: „Wenn wir diese Chance nicht nutzen, wenn wir uns nicht ändern und weiter entwickeln, dann sind wir tot. Viel Glück, also!“

Mehr investigative Recherche

Der Vorsitzende der ARD-Hörfunkkommission, Joachim Knuth, sieht in der Besinnung auf die journalistischen Grundwerte die Zukunft des Radios als publizistische Kraft. Er verwies bei der Eröffnung des europäischen Radiokongresses auf die hohe journalistische Qualität im öffentlich-rechtlichen Radio, die private Radiosender nicht bieten könnten und auch nicht müssten. Der Programmdirektor Hörfunk des Norddeutschen Rundfunks plädierte dafür, mehr investigative Rechercheredaktionen in den Radiostationen zu etablieren. Storytelling sei ein Privileg des Radios – auch dieses Feld solle man nicht leichtfertig der Konkurrenz überlassen.

In 50 Sessions wurde in meist überfüllten Räumen an zwei Tagen weiter über die Zukunft des Radios diskutiert. Dass Radio auf alle multimedialen Plattformen muss, ist nicht mehr die Frage. Im Web, über DAB oder in Zukunft auch auf dem Fernseher: In Berlin stellte beispielsweise bigfm den letzten „Schrei“, die erste Radio-App für Smart-TVs vor. Auf der Smart-TV-App hat der Sender alle Videostories, die ganze Interaktionswelt von Facebook, alle News und die Musikbibliothek abgebildet. Die Inhalte werden automatisch aus den vorhandenen Schnittstellen und Feeds übernommen. Das hat den Vorteil, dass kein Redakteur die App gesondert betreuen muss. Pünktlich zu den Radiodays hat auch der Energy-Konzern eine Smart-TV-App gestartet. Bis Ende Juni 2013 sollen die internationalen Webradiokanäle der weltweit größten Radiomarke auf allen wichtigen Endgeräten verfügbar sein.

Ein kleiner Chip im Smartphone soll auch weiterhin die kostenlose Radionutzung sicher stellen.
Ein kleiner Chip im Smartphone soll auch weiterhin die kostenlose Radionutzung sicher stellen.

Der Euro-Chip soll Radiozukunft sichern

Smartphones, ihre Anwendungsmöglichkeiten und ihre Bedeutung für die Radioindustrie. Dieser Themenkomplex wird auf kommenden Radiokongressen mit Sicherheit wieder auf der Agenda stehen. Sind Smartphones wirklich die Zukunft des Radios? Wer hört überhaupt Radio auf dem Smartphone? Diese Fragen wurden in einem Panel mit dem Radioberater James Cridland und Annika Nyberg, Mediendirektorin der EBU (Europäische Rundfunkunion) diskutiert. Dabei stellte Nyberg den Euro-Chip vor. Der Chip soll in neuen Radiogeräten und Smartphones den Empfang verschiedener Übertragungs-Standards von UKW bis DAB europaweit gewährleisten. „Der Euro-Chip ist ein Stück Zukunftssicherung für das Radio“, meinte Nyberg. Die EBU hat vergangenen Herbst gemeinsam mit der BBC und dem Deutschlandradio eine Einführungskampagne für den Euro-Chip gestartet. Die Handyhersteller sollen davon überzeugt werden, dass ein solcher Chip in jedes neue Smartphone gehört.

In Twitter steckt noch viel Nutzungspotential fürs Radio

Könnte ein Renner werden: Das Social-Media-Handbuch aus Schweden. Ab Mitte April auch auf Englisch.
Könnte ein Renner werden: Das Social-Media-Handbuch aus Schweden. Ab Mitte April auch auf Englisch.

Weitere Themen, die in Berlin auf großes Interesse stießen, waren der richtige Umgang mit Twitter. Dafür gab es viele Tipps von Radiomacherinnen aus Holland, dem Land mit der größten Twitternutzung in Europa. Die Mitarbeiter der NOS (auf Deutsch: Niederländische Rundfunkstiftung – ein durch die niederländische Regierung beauftragter öffentlich-rechtlicher Zulieferer für Nachrichten) haben innerhalb der letzten drei Jahre via Twitter und Facebook ein Netz von 1500 Nicht-Journalisten aufgebaut, die ihre Spezialkenntnisse und Erfahrungen dem Nachrichtenlieferanten zur Verfügung stellen. Das habe unterchiedliche Vorteile, erklärte NOS-Mitarbeiterin Marilou Kersemaekers: „Die Leute fühlen sich als was besonderes, wir können ihr Wissen anzapfen und sie entwicklen eine besondere Treue zur Radiostation. Allerdings sei die Zusammenarbeit mit Außenstehenden nicht ganz unproblematisch. Schließlich müsste der Wahrheitsgehalt des „User generated contents“ genau verifiziert werden. Eine Quelle allein genüge da nicht.

Andere Radioprofis referierten über neue Wege der Talentsuche für den Hörfunk, den Stellenwert von Personalities, die Gefahren oder auch Chancen von Musikstreamingdiensten wie Spotify und Pandora und neue Forschungsmethoden zur Radionutzung.

Daniel Fiene und Joerg Wagner (Bild: ©RADIOSZENE)
Daniel Fiene und Joerg Wagner (Bild: ©RADIOSZENE)

Linktipps zu den Radiodays Europe 2013 

Die Veranstaltungen im Kuppelsaal des Berliner Congress Centers wurden von Alex-TV in Berlin via »Video« aufgezeichnet. Die schönsten »Fotos zu den Radiodays Europe« findet man bei radioszene.de. Viele Audiomitschnitte und kurze Zusammenfassungen zur Eröffnungsveranstaltung und den einzelnen Sessions bietet die »Homepage der Radiodays Europe«. Die Radiodays Europe waren auch ein Treffpunkt für Medienredakteure aus dem Radio. Gab es Neues, wie war der Nutzwert der Veranstaltung? Jörg Wagner vom rbb-Medienmagazin bei Radioeins und Daniel Fiene (Was mit Medien bei DRadio Wissen) tauschen ihre Erfahrungen aus. Nachzuhören im »Medienmagazin-Podcast vom 23. März« ab Minute 28.

Nach dem Kongress ist vor dem Kongress: Dublin wird vom 23. bis 25. März 2014 Gastgeberstadt der 5. Radiodays Europe sein.

Quelle: hoerfunker.de