Hamburger Tränenolympiade: NDR feiert Weihnachtsfest weltweit auf Kurzwelle

ndr kurzwelle smallAn Heiligabend 2012 erinnert der Norddeutsche Rundfunk an alte Zeiten mit der „Deutschen Welle“ und „Norddeich Radio“: Für vier Stunden wird der NDR seine traditionsreiche Sendung „Gruß an Bord“ auf Kurzwelle in Gebiete ausstrahlen, die üblicherweise nicht zu seinem Sendegebiet gehören. Zielgebiete sind unter anderem der Indische Ozean, West- und Südafrika sowie der Atlantik.

„Gruß an Bord“ läuft bereits jährlich seit Anfang der 1950er Jahre, das Konzept ist nahezu unverändert: Die Familien von norddeutschen Seefahrern, die den Weihnachtsabend ohne sie verbringen müssen, können die Festtagswünsche an ihre Lieben per Radio übermitteln und so auf aktustischem Wege heimatliche Stimmung auf hohe See schicken. Nicht umsonst wird die Sendung gerne auch als Tränenolympiade beschrieben. Ausgestrahlt wurden die Grüße einst über die Deutsche Welle und in Verbindung mit der ostfriesischen Küstenfunkstation „Norddeich Radio„, die jedoch seit 1998 nicht mehr existiert und bereits vorher in großen Teilen zurückgebaut wurde. Das deutsche Programm der Deutschen Welle übertrug die Sendung in ihren letzten Jahren ebenfalls nicht mehr. Fortan lief sie also ausschließlich auf den regional begrenzten UKW-Frequenzen von NDR Info und NDR 90,3 sowie den Mittelwellen des NDR. In den vergangenen Jahren wurde sie zudem via Satellit Astra in Europa, weltweit im Internet-Livestream und in Norddeutschland auf DAB+ ausgestrahlt.

Die Sendung blieb trotz dieser Veränderungen eine Institution; im Sendesaal des Norddeutschen Rundfunks in der Hamburger Rothenbaumchaussee finden sich alljährlich neben vielen Familien auch Vertreter von Reedereien ein. Seiner Mannschaft über „Gruß an Bord“ zu gratulieren gehört zum guten Ton. Abgerundet wird das Programm mit musikalischen Gästen und Grüßen in verschiedenen Sprachen der Welt an Seefahrer aus anderen Nationen, die das Weihnachtsfest ebenfalls auf den Weltmeeren verbringen. Moderiert wird die Sendung, die in dieser Woche aufgezeichnet wird, von Annemarie Stoltenberg, Andrea Christina Furrer und Herbert Fricke, der bereits seit 30 Jahren durch „Gruß an Bord“ führt.
Wenn die Familien ihre Verwandten auf hoher See grüßen und letztere sich etwa vor Jamaika, in Indonesien oder am Kap der Guten Hoffnung befinden, stellt sich die Frage, ob diese das Programm überhaupt empfangen können. Häufig befinden sich die Empfänger der Grüße außerhalb der Reichweite der norddeutschen Mittelwellensender und des Satelliten Astra, manchmal ist sogar -wenn überhaupt- nur eine langsame Internetverbindung verfügbar, die keinen Empfang von Livestreams erlaubt.

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Drehstandantenne für Kurzwellensendungen in Nauen, errichtet für den DDR-Auslandsdienst.

Erstmals seit vielen Jahren wird „Gruß an Bord“ deshalb wieder nahezu weltweit terrestrisch empfangbar sein – auf Kurzwelle. Deutsche Küstenfunkstellen mit Kurzwellenfrequenzen existieren, inzwischen auf privater Basis betrieben, zwar noch in Kiel und Hamburg, sind jedoch technisch und juristisch nicht für die Übertragung von Rundfunksendungen dieses Ausmaßes ausgelegt. Daher mietete der NDR mehrere Kurzwellensender der Media Broadcast GmbH an, die große Kurzwellen-Sendestellen u.a. in Deutschland betreibt. Die Sendung „Gruß an Bord“ wird am 24.12.2012 über die Sendeanlagen in Nauen (nahe Berlin) und Wertachtal (Bayern) mit einer Sendeleistung von 100 bis 125 Kilowatt über sechs Sender ausgestrahlt. Die Kurzwellensignale reflektieren an einer Schicht der Atmosphäre und sind deshalb auch tausende Kilometer von ihrem Ursprung aus mit einem Weltempfänger empfangbar. Über Kurz- und Mittelwelle wird zudem eine weitere Stunde „Gruß an Bord“ gesendet, die über UKW nicht zu hören sein wird.

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Sendemasten von Norddeich Radio, über die mit den Schiffen Kontakt aufgenommen wurde

Kurios: Der Norddeutsche Rundfunk, der eigentlich sein Hauptaugenmerk auf regionale Berichterstattung legt, übernimmt an Weihnachten 2012 quasi eine der ehemaligen Kernkompetenzen der internationalen „Deutschen Welle“, dem deutschen Pendant zum BBC World Service oder der „Voice of America“. Die „DW“ beendete jedoch im vergangenen Jahr ihr lineares Radioprogramm in deutscher Sprache, kürzte es auf eine Hand voll Podcasts zusammen und strahlt es nicht mehr auf terrestrischem Wege aus, was zahlreiche Proteste nach sich zog, waren Informationen im Ausland auf Deutsch nun häufig nur noch per Satellit oder Internet zu empfangen, zwei Empfangswege, die nicht jeder überall problemlos nutzen kann. Dass nun der Norddeutsche Rundfunk an vergangene Tage des Auslandsrundfunks erinnert und Hörerinnen und Hörer auf der ganzen Welt erreichen kann, sich also zumindest für den heiligen Abend zu einer (nord)deutschen Stimme für die Welt macht, stimmt nostalgisch.

Auch wer keine Angehörigen auf einem Tanker, Kreuzfahrtriesen, Containerfrachter oder Forschungsschiff vermisst, sollte einmal in dieses Goldstück deutscher Hörfunkkultur reingehört haben. Für einige Momente holt man sich zugleich einen Hauch von fremden Ländern und Ozeanen, aber auch eine große Portion unglaublich wohlige Weihnachtsstimmung ins Ohr, gemischt mit Heimweh. Und all das schwappt aus dem NDR-Sendesaal zum Hörer hinüber und macht das Herz sonderlich schwer, selbst wenn man sich eigentlich im eigenen Zuhause befindet – oder vielleicht doch irgendwo anders auf der Erde. Oder den sieben Weltmeeren. Da werden sogar Seebären sentimental.

 

Sendezeiten und Frequenzen von „Gruß an Bord“ 2012:

auf NDR Info und NDR 90,3 über UKW, DAB+, Satellit, Kabel und Internet

20.05-22.00 Uhr, im Anschluss bis 23.00 Uhr: Evangelische Christmette aus St. Johannis-Harvesthude, Hamburg

 

auf NDR Info Spezial über DAB+, Satellit, Kabel und Internet und Mittelwelle 702, 792, 828, 972 kHz

20.05-22.00 Uhr, im Anschluss bis 23.00 Uhr: Weihnachtsgottesdienst aus St. Johannis-Harvesthude, Hamburg

23.00-24.00 Uhr, Gruß an Bord (Teil 2)

 

auf den Kurzwellenfrequenzen

20.00-22.00 Uhr: Gruß an Bord (Teil 1)
22.00-24.00 Uhr: Weihnachtsgottesdienst und Gruß an Bord (Teil 2)

Aus Gründen der internationalen Frequenzkoordination und Signalausbreitung kommen auf Kurzwelle für die verschiedenen Sendestunden und Zielgebiete verschiedene Frequenzen zum Einsatz:

20.00-22.00 Uhr MEZ

9850 kHz: Atlantik – Nord
13780 kHz: Atlantik – Westafrika
11840 kHz: Atlantik – Süd
11720 kHz: Atlantik/Indischer Ozean (Südafrika)
11840 kHz: Indischer Ozean – West
11965 kHz: Indischer Ozean – Ost

22.00-24.00 Uhr MEZ

7335 kHz: Atlantik – Nord
11655 kHz: Atlantik – Westafrika
9490 kHz: Atlantik – Süd
9735 kHz: Atlantik/Indischer Ozean (Südafrika)
9490 kHz: Indischer Ozean – West
9650 kHz: Indischer Ozean – Ost

Der Empfang der Kurzwellenfrequenzen in Deutschland wird vermutlich möglich sein, wenn auch unter Umständen nicht in bester Qualität.

 

Weiterführende Informationen:

Webseite von „Gruß an Bord“ mit vielen Fotos und Audios sowie allen Sendezeiten in UTC-Weltzeit

Detaillierte technische Daten zur Kurzwellensendung

 

Bildquelle Sendemasten von Norddeich Radio: http://www.pust-norden.de/gal_ndd_dt.htm