Warum Glaubwürdigkeit im Radio so wichtig ist

Radiosender verliert an Glaubwuerdikeit big

Von Inge Seibel-Müller
hörfunker.de

Aktuell, informativ, emotional, authentisch und vor allem glaubwürdig – das sind Eigenschaften, mit denen Radiomanager gerne die Qualität ihrer Programme rühmen. Besonders, wenn es – »wie beim jährlichen Radiopreis in Hamburg« – um die Wertschätzung des Radios im Allgemeinen geht. Doch immer wieder setzen Radiomacher leichtfertig ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel. 

fair radio 100Das behauptet zumindest die Initiative »Fair Radio«, die seit fünf Jahren unermüdlich für mehr Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit im Radio kämpft. Folgt man der Medienforschung im Bereich Print und TV, dann spielt die Glaubwürdigkeit für die Akzeptanz der Medien in der Tat eine bedeutende Rolle: Wird das Vertrauen des Lesers oder Zuschauers missbraucht, reagiert er empört oder wendet sich enttäuscht ab. Um dem vorzubeugen, gibt es bei den Printmedien Redaktionsstatuten und den Pressekodex.

Ethische Leitlinien

Wie aber schaut es mit „Ethischen Ansprüchen an Radioprogramme“ in Deutschland aus? – „Unbefriedigend“, meint die Initiative „Fair Radio“, auf deren Internetseiten zahlreiche »Beispiele für unsaubere Arbeitsweisen im Hörfunk« dokumentiert sind. Unhaltbar sei vor allen Dingen das angebliche Vortäuschen von Live-Situationen oder unbearbeitete PR-Beiträge im redaktionellen Teil des Programms.

Sandra Müller (Bild: Thomas Giger)
Sandra Müller (Bild: Thomas Giger)

Für Sandra Müller, Mitbegründerin der Initiative „Fair Radio“ und Autorin des »Einsteigerlehrbuchs „Radiomachen“« ist es unerklärlich, „warum sich alle fürchterlich aufregen, wenn im Fernsehen wie »beispielsweise bei der Fußball-WM live-Bilder vorgetäuscht« werden, beim Radio aber keiner darüber redet“.

Im Gegensatz zu anderen Ländern wie der Schweiz oder Großbritannien, wo ethische Leitlinien für den Hörfunk existieren und fester Bestandteil der redaktionellen Arbeit sind, gibt es in Deutschland keine allgemeinverbindlichen Normen für ein verantwortungsbewusstes Handeln im Radio. Wohl aber Kontrollinstanzen, wenn es um rechtswidrige Inhalte geht. Die privaten Radiostationen werden von den Landesmedienanstalten kontrolliert. „Was viele nicht wissen beziehungsweise nur wenige in Anspruch nehmen: Jeder kann auf Rechtsverletzungen in den Medien reagieren“ heißt es in den Begleitinformationen einer »kostenlosen Mediennutzerschutz-Broschüre«, herausgegeben von den Landesmedienanstalten Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen.

Beschwerden nehmen die Landesmedienanstalten auch online entgegen. Mit einer Einschränkung: „Inhaltliche Programmkritik sollte möglichst direkt an die jeweiligen Veranstalter gerichtet werden“, schreibt die Landesmedienanstalt Mecklenburg-Vorpommern auf ihren Internetseiten. „Für ethische Verfehlungen im Radio gibt es in Deutschland keine wirkliche Instanz“, bedauert auch Sandra Müller:

Mangelndes Problembewusstsein

„Im Radio gibt es viele Arbeitsweisen, die allgemein akzeptiert und dennoch problematisch sind“, meintNorbert Linke, Projektleiter des „Radio-Guidebooks“ der bpb und ehemaliger Nachrichtenchef bei Hitradio FFH. Er sieht die Ursachen im verschärften Wettbewerb der Radiostationen untereinander. Eine »Studie der Landesmedienanstalten«, wonach private Sender weniger ausbilden und sich von immer mehr Vollzeitkräften verabschieden, lässt vermuten, dass es den Sendern an qualifiziertem Personal fehlen könnte.

Ethische Ansprüche an Radioprogramme – eine Bestandsaufnahme

Das »Radio-Guidebook der bpb« und die sechs »ethischen Leitlinien der Initiative Fair Radio« inspirierten den Medienstudent Markus Bender zu seiner Bachelorarbeit „Ethische Ansprüche an Radioprogramme – eine Bestandsaufnahme“ an der Hochschule Mittweida. „‚Mogeleien‘ im Radio gibt es nicht nur bei kommerziellen Radiostationen“, stellt Bender fest und verweist u.a. auf ein »Dossier des Netzwerks Recherche«, wonach ARD-Hörfunkkorrespondenten in ihren Beiträgen den Eindruck erweckten, sie seien vor Ort gewesen. In Wirklichkeit aber hatte im konkreten Fall der Redakteur lediglich O-Töne der BBC ohne Quellenangabe für seine Beiträge genutzt.

PR-Beiträge ohne Werbekennung gehören nicht ins Radio

Interessant ist vor allem der empirische Teil der Bachelorarbeit, der »online« in gekürzter Fassung zur Verfügung steht. Bender untersuchte anhand von Fragebögen und Audiomitschnitten, ob Radiohörer „unsaubere“ Arbeitsweisen im Hörfunk überhaupt erkennen können und welche ethischen Ansprüche sie an Radioprogramme stellen. Dafür hat er rund hundert Mitstudierende der Fakultät Medien der Hochschule Mittweida befragt. Auch wenn die Umfrage nicht repräsentativ ist – interessant ist beim Ergebnis, dass ungekennzeichnete PR-Beiträge oder aufgezeichnete, angebliche Live-Interviews von der Mehrheit der Befragten nicht als solche erkannt wurden.

Wahrnehmung von Mitschnitten durch medienaffine Radiohörer (Nennungen, n=67). Grafik: Bachelorarbeit Markus Bender.
Wahrnehmung von Mitschnitten durch medienaffine Radiohörer (Nennungen, n=67). Grafik: Bachelorarbeit Markus Bender.

Volontäre wünschen sich Guidelines

„Die Arbeit von Bender legt nahe, das Thema hätte längst eine größere wissenschaftliche Untersuchung verdient“, meint Sandra Müller. Obwohl ihr der Einsatz für mehr Fairness im Radio manchmal wie Don Quijotes Kampf mit den Windmühlen vorkommt: Die Initiative ist auch nach fünf Jahren nicht müde, sich weiterhin für allgemein anerkannte ethische Leitlinien im Radio einzusetzen. Mut machen ihnen gerade junge Radiomacher. Zum fünfjährigen Bestehen hat sie sich vorgenommen: „Wir schauen weiterhin hinter die Kulissen und legen den Finger auf die Wunden. Denn heute prägen wir das Radio von morgen.“

Telefon-Interviews mit Sandra Müller kann man übrigens hier hören:
Link zu bpb
„Denn heute prägen wir das Radio von morgen“

Diskussion in den radioforen.de
Studie: Was halten Hörer von versteckter PR und Live-Fakes im Radio?