It’s an exciting time to be a reporter!

Neal Augenstein von Washingtons Newschannel WTOP ist vermutlich der erste iPhone-Reporter im Radio.

Von Inge Seibel-Müller

„Ich habe Steve Jobs niemals getroffen. Aber ich schulde ihm etwas – und mit mir der ganze Rest der Nachrichtenwelt. Seine Gerätschaften haben bereits die Art und Weise, wie Journalisten Nachrichten sammeln und verbreiten, revolutioniert. Und sie werden für weitere Veränderungen sorgen.“ (aus: „iPhone Reporter’s Thanks to Steve Jobs“ von Neal Augenstein, Oktober 2011)

Neal Augenstein. (Bild: WTOP)
Neal Augenstein. (Bild: WTOP)

Neal Augenstein ist Radio-Reporter aus Leidenschaft. 1997 begann er beim Nachrichtensender WTOP in Washington DC als Teilzeitkraft fürs Wochenende. Seitdem ist er nicht nur zu einem angesehenen Journalisten avanciert, der das harte Nachrichtengeschäft genau so beherrscht wie unterhaltsame Beiträge – sein ganzes Arbeitsumfeld hat sich verändert.

Wenn Neal Augenstein in den 90er Jahren als Gerichts-, Polizei- oder Sportreporter zu einer Reportage eilte, dann war es noch das schwere tragbare Umhängetelefon, das ihm eine schnelle Verbindung ins Studio garantierte. Heute ist der einstige Leadsänger einer Band namens „Modest Proposal“, der über die Jahre für seine Berichte aus Amerikas Hauptstadt mit vielen Radiopreisen ausgezeichnet wurde, nur noch mit Smartphone, Tablet-Computer und Ladegerät unterwegs. Endlos bootende Computer, digitale Aufnahmegeräte, Mikrofone, Kabel und Kameras haben für Neal Augenstein ausgedient. Dank der neuen Ausrüstung erspart er sich viele Arbeitsschritte wie beispielsweise das Überspielen seiner Aufnahmen zum Schnittplatz. Mit dem Handy speist er die Social Media Plattformen Twitter und Facebook. Augenstein braucht auch unterwegs keinen Laptop mehr, weder zum Überspielen noch zum Texten seiner Beiträge. Die Arbeit erleichtern ihm diverse Apps für sein Smartphone oder Tablet, die nur wenige Dollar kosten.

Technik verändert die Inhalte

Was er im Verlauf der knapp zwei Jahre beobachtete, in denen ein Smartphone zu seinem einzigen Arbeitsgerät bei Aufnahmen fernab des Studios wurde, wundert Augenstein selbst immer noch: „Plötzlich stellte ich fest, dass sich mit der neuen Technik nicht nur mein Rücken erleichtert fühlte, weil ich kein schweres Gerät mehr mit mir rumtragen musste: Meine ganze Art der Berichterstattung hat sich komplett verändert. Früher war ich nur auf der Jagd nach O-Tönen. Heute – je nachdem wie es die Situation verlangt – drehe ich vielleicht ein Video, oder mache Schnappschüsse und stelle sie über Twitter sofort ins Netz. Oder ich schreibe schnell einen aktuellen Bericht für die Internetsite des Senders, für wtop.com.“

Die größte Errungenschaft ist für Augenstein die Konzentrationsmöglichkeit auf seine Arbeit. Mit einem Werkzeug, das es leicht macht, multimedial zu berichten, muss sich der Reporter nicht mehr mit den Herausforderungen der Technik herumschlagen, er kann sich jetzt ganz aufs Geschichtenerzählen konzentrieren. Die neuen Möglichkeiten faszinieren Augenstein: „Wir leben in einer aufregenden Zeit für Journalisten. Liveübertragungen bei Eilmeldungen werden selbstverständlich. Videoaufzeichnungen können sofort ins Internet gestreamt werden. Wir haben jetzt permanent die Möglichkeit, Geschichte zu dokumentieren – wenn wenigstens ein Smartphone zur Hand ist.“

Mittlerweile ist es Augenstein völlig egal, ob seine Plattform Twitter, Radio oder die sendereigene Homepage ist. Was im Radioprogramm via UKW nur 40 Sekunden dauern darf, wird im Detail auf der Internetsite einfach weitergeführt. Augenstein: „Mit Social Media und ‚Mobile Reporting‘ haben sich völlig neue Möglichkeiten und eine wunderbare Synergie zwischen Website und Radio eröffnet.“

Wer in Verbindung bleiben möchte mit Neal Augenstein, folgt ihm am besten bei Twitter: @AugensteinWTOP
Wer in Verbindung bleiben möchte mit Neal Augenstein, folgt ihm am besten bei Twitter: @AugensteinWTOP

Journalismuskonzept mit Zukunft: Experimentierfreude und „Einfach machen!“

Immer mehr Radiojournalisten machen sich mit den neuen Produktionsmöglichkeiten vertraut. Doch offensichtlich wenige betreiben das bisher mit einer solchen Experimentierfreude und so konsequent wie Neal Augenstein, nicht einmal seine Kollegen beim eigenen Nachrichtensender.

Er selbst kann sich diese Zurückhaltung auch nicht erklären: „Ich war einfach bestrebt, ein Werkzeug zu finden, das mir meine Arbeit erleichtert und mich schneller werden lässt.“ Als dann die erste Mehrspurschnittsoftware als Applikation für das iPhone verfügbar war, dachte sich Augenstein: „Einen Versuch ist es wert. Möglicherweise kann ich ALLES mit dem iPhone erledigen.“ Er experimentierte viel und wog die Vorteile gegen die Nachteile ab.

Einer der Nachteile, die noch nicht optimal gelöst sind, ist das eingebaute Mikrofon. „Ich schätze mal, es kommt ungefähr auf 92 Prozent der Qualität eines professionellen Digitalrekorders“, meint Augenstein. Natürlich habe er sich immer wieder gefragt: Ist das gut genug? Die Unterstützung seiner Vorgesetzten im Sender war ihm sicher, aber Augenstein probierte weiter, bis er mit dem Ergebnis wirklich zufrieden war. „Mittlerweile“, so Augenstein, merken die meisten Leute gar nicht mehr, dass ich andere Werkzeuge nutze als meine Reporterkollegen. Gibt es ein besseres Argument dafür, dass die Technik funktioniert?“

Anfänge auch in Deutschland: Das Studio in der Hosentasche

Weitere Beispiele, auch aus Deutschland, und häufige Fragen zum „Mobile Reporting“ hat der digitale Journalist, Dozent und zertifizierte Trainer für Onlinejournalismus, Social Media und Web 2.0, Marcus Bösch, in seinem Blog „Mobile Journalism“ gesammelt.

Marcus Bösch
Marcus Bösch

Bösch, der unter anderem für die Deutsche Welle und das ZDF arbeitet, hat bereits selbst mit dem Mobiltelefon experimentiert. Hinter diesem Link findet man die 107. Ausgabe seiner Blogschau, ein ursprünglich wöchentlich ausgestrahlter, rund fünfminütiger Tech-Podcast, der in diesem Frühjahr dem Rotstift zum Opfer fiel. Die Episode aus dem April 2010 wurde ausschließlich mit einem Telefon eingesprochen, geschnitten und gemixt und von der Technik der Deutschen Welle für gut befunden. „Mobile ist die Zukunft“, sagt Bösch, „bald wird es bedeutungslos sein, ob wir im Schwimmbad, im Auto oder im Hotelbadezimmer journalistisch arbeiten. Bis es soweit ist, schreibt er in seinen diversen Blogs darüber, wie man mit einem Mobiltelefon multimedial arbeitet. „Noch wird das Potential moderner Telefone von den meisten Journalisten nicht mal im Ansatz ausgeschöpft“, hat Bösch festgestellt, „dabei ist das Smartphone bereits jetzt: ein ‚Studio in der Hosentasche‘.

Was ihm zu diesem Thema eingefallen ist – von der Begriffsklärung des ‚mobile journalism‘ bis zur konkreten Umsetzung, hat Marcus Bösch jetzt auch auf 20 Seiten ganz analog zu Papier gebracht. Er ist einer der Autoren des neuen Medienlehrbuchs „Universalcode“, in dem Praktiker und Vordenker des Journalismus im digitalen Zeitalter zusammen getragen haben, was Journalisten heute können sollten. Herausgeber sind Christian Jakubetz, Ulrike Langer und der Passauer Journalismusforscher Ralf Hohlfeld.

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Böschs Kapitel über „Mobile Reporting“ steht aber auch im Netz. Und hier sein Ausblick auf die Zukunft des mobilen Journalismus:

„Technisch gesehen kann man mit einem Mobiltelefon heute Kinofilme drehen, auf dem Gerät schneiden und im Netz publizieren. Man könnte die Tagesschau um 20 Uhr nicht mit einer Studiokamera, sondern mit einem Smartphone in HD filmen oder live ins Web streamen.

Ob das sinnvoll ist? Bestimmt nicht! Denn dass alles möglich ist, heißt nicht, dass alles auch sinnvoll ist. Trotzdem gibt es zahlreiche Einsatzgebiete, in denen man Mobiltelefone als bisweilen einziges Gerät nutzen kann und sollte. Zum Beispiel wenn die Lage durcheinander und unübersichtlich ist. Zum Beispiel wenn sonst (noch) niemand da ist, der berichtet. Oder wenn, egal wo, ein ganz anderer, persönlicher authentischer Blickwinkel gefragt ist. Wenn die Berichterstattung unauffällig oder sogar heimlich passieren soll oder wenn es sehr, sehr schnell gehen muss. 

Die amerikanische Journalismusdozentin Mindy McAdams formuliert das so: „Mobiltelfone werden in Zukunft das primäre Reporter-Werkzeug sein. Zumindest unmittelbar und vielleicht auch für die ersten Stunden nach einem Ereignis.“ Dafür muss man wissen, wie diese Geräte funktionieren, was sie können und was sie nicht können. Die Entwicklung mit schnelleren Datenverbindungen, längeren Akkulaufzeiten, größeren Speichern und einer höheren Bildqualität ist in vollem Gange. 

Noch ist die Nische des neuen mobilen Smartphone-Journalismus klein. Sie braucht Menschen, die Experimentieren, Probieren und einfach Machen. Wir sind gerade erst am Anfang.“

Weitere Infos:

Wer gerne tiefer in die Materie einsteigen möchte: Auf Augensteins Blog „iPhoneReporting“ gibt es ein paar nützliche Tipps, wie man die Qualität der Aufnahme mit dem kleinen Gerät verbessert und Hinweise zu Apps, speziell für Reporterzwecke geeignet.

Nach dem Motto: „All about iPhone Reporting“ hat der holländische Radioreporter Sjuul Nelissen seinen amerikanischen Kollegen im September per Skypevideo befragt. Zu finden bei Dailymotion. Das Gespräch wird auf Englisch geführt und dauert gut 30 Minuten.

Bei pbsMediashift beschreibt Augenstein, wie er sein ursprüngliches Handwerkszeug für ein kleines Smartphone eintauschte und dort gibt es auch Hörproben seiner Nachrichten-O-Töne.

Empfehlenswert auch das „Online Journalism Handbook: Skills to Survive and Thrive in the Digital Age“ des britischen Journalisten und Dozenten Paul Bradshaw, der auch im Netz ein Blog zum Online-Journalismus betreibt.

Das National Public Radio (NPR), eine lose organisierte Kooperation von Hörfunksendern in den USA, die rechtlich und finanziell unabhängig sind, hat auch schon erstaunliche Qualitäten bei der Livereportage aus dem Mobiltelefon gezaubert. Nachzulesen unter dem Titel „Reporting live from the scene of breaking news…on an iPhone“ im NiemanJournalismLab.

Preiswertes und sinnvolles Zubehör zum Smartphone als Reportagegerät stellt der Allroundjournalist und BR-Moderator Richard Gutjahr in seinem Blog vor. Schlechte Noten gibt er allerdings den Tablets. Gutjahr kommt zu dem Fazit: Nur im Notfall geeignet als Ersatz für Videokamera und Laptop.

Quelle: hörfunker.de