Antisemitismus-Vorwurf: WDR reagiert – teils verdruckst, teils chaotisch

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Der WDR will das Verhalten eines Redakteurs überprüfen, der sich mit einer dienstlichen E-Mail den Verdacht des Antisemitismus einhandelte. Darin geht es um ein Hetz-Flugblatt, das sich auf der Webseite der Linkspartei Duisburg fand. Redakteur Wolfgang Frings störte sich in der inkriminierten Mail zwar an einer Grafik, die das Hakenkreuz mit dem Davidstern verknüpft, fragte aber dann: „…ist Kritik an Israel gleich antisemitisch?“ In dem Flugblatt heißt es: „Boykottiert Israel!” Israelische Waren seien „potentielles Diebesgut”, die Unterstützung der „BRD” für Israel sei „sklavisch”. Die Schmähung „gewisser Blätter”, namentlich des Springer-Verlags, als „Judenpresse” sei „wohl weniger ein Schimpfwort als viel mehr die zutreffende Umschreibung der … anbiedernden Berichterstattung über Israel und die Juden”.

Den Vorwurf der antisemitischen Berichterstattung wies der Sender zurück – den hatte allerdings auch niemand erhoben. „Wir berichten seit Tagen angemessen und ausführlich“, heißt es auf der WDR-Webseite.

Kurios ist die Art und Weise, in der der Landessender reagiert. Eine schriftliche Anfrage der Pressestelle blieb bisher mehr oder weniger unbeantwortet. Die Pressestelle verwies lediglich auf einen Foreneintrag auf der hauseigenen Seite. Der ist freilich derart verdruckst untergebracht, dass er ohne Kenntnis des Hintergrundes völlig unverständlich bleibt. Noch kurioser ist die offenbar unabgestimmte Kombination unterschiedlicher Antworten aus dem Kölner Sender, die chronologisch so ablief:

  • Freitag früh schickte ich eine Anfrage an die Pressestelle des WDR, ausweislich der Webseite zu erreichen unter redaktion@wdr.de. Sie enthielt zwei kurze Fragen: 1. Wie bewertet der WDR den Vorfall? 2. Welche Konsequenzen zieht der Sender daraus?
  • Wenig später trifft  eine Art von Antwort ein – nicht von der Pressestelle, sondern von Redakteur Frings. Der droht mir darin mit Anzeige bei der Staatsanwaltschaft – und schreibt fatalerweise, er habe „befreundeten Juden übrigens viel zu verdanken … aber auch die setzen Judentum nicht mit Israel gleich“. Erst auf weitere Nachfrage erklärt er die Flugblatt-Formulierung vom „sogenannten Holocaust“ und weitere Unsäglichkeiten für „inakzeptabel“ – leider wieder versehen mit einem aber: Er verweist auf „500.000 junge Israelis“, die nach den „Massakern in Shabra (sic!) und Shatila“ auf die Straße gegangen seien und demnach dann ja auch Antisemiten sein müssten. Meinen Einwand, eine solche Demonstration sei ein ziemlich eindeutiges Kennzeichen für eine funktionierende Demokratie, beantwortete Frings zunächst mit einem ja. Und dann wieder einem aber: „Aber ist deshalb alles gut?“ Spätestens hier wäre zu fragen, was Frings‘ Einlassungen noch mit dem Flugblatt auf der Linken-Website zu tun haben.
  • Daraufhin greife ich zum Telefon und bekomme eine Mitarbeiterin der WDR-Pressestelle an den Apparat. Ich schildere ihr meine Fragen und den merkwürdigen hausinternen Weg meiner E-Mail-Anfrage. Sie verspricht, sich der Sache anzunehmen. Fünf Stunden später, kurz nach 18 Uhr, teilt sie mir mit, dass es so schnell keine formelle Antwort gebe, verweist aber auf ein offizielles Statement in der Kommentarsektion eines Artikels auf der WDR-Webseite.
  • Dort finde ich dann völlig zusammenhanglos folgenden Eintrag: „Die zuständige Redaktion ist informiert und prüft die Vorwürfe gegen den Redakteur.“ Etwas später folgt ein zweites Posting, in dem der WDR sich gegen Vorwürfe gegen seine Berichterstattung verwahrt – die aber, wie gesagt, niemand erhoben hat.
  • Noch skurriler ist das Verhalten des Berliner Politik-Korrespondenten des WDR, Rüdiger Becker. Der schickt mir eine E-Mail, in der er den Fall so darstellt: „Da schreibt also ein einzelner Mitarbeiter des WDR irgendwas in einer E-Mail und Sie versteigen sich zu Formulierungen wie ‚wie die Redaktionsstuben des WDR wirklich ticken‘, ‚er und sein Haus‘ oder ‚dass der… WDR unter Verdacht gerät‘. Auf Nachfrage meint Becker, sein Kollege habe eine „ziemliche Dummheit“ begangen, sollte sich der Sachverhalt bewahrheiten – eine, gelinde gesagt, sehr milde Bewertung. Überdies wurde er mehrfach in seiner Korrespondenz beleidigend. Seine Ausgangsmail an mich hat er auf der Facebook-Seite der Radioszene öffentlich gemacht.

Damit stellt sich eine weitere Frage – die nach offensichtlichen Stil- und Bewertungsschwächen des bundespolitischen WDR-Korrespondenten.

 

Lemmer
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de