Social Media im Radio: Hype oder Hoffnungsträger?

radiosender_in_socialnetworks_smallSeit dem rasanten Wachstum der weltweit erfolgreichen sozialen Netzwerke wie Facebook und Twitter spricht auch die Medienbranche nur noch über dieses eine Thema. Auch die BLM Veranstaltung „Der Morgen im Radio“ wurde davon dominiert. Wolfgang Ferenčak war dabei und hat seine Gedanken über die Zukunft von Social Media im Radio festgehalten:

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Da sitze ich also, mit gut hundert anderen Radiomachern aus Deutschland im Forum der BLM, beim ersten Radioevent seit Jahren: „Der Morgen im Radio“ …klingt vielversprechend.

Ein Panel, besetzt mit einem Marktforscher (muss sein), der die obligatorische BLM Studie beisteuert, einem Berater, zwei Morningshow-Moderatoren sowie je einem PD / GF eines lokalen und eines landesweiten Privatradioprogrammes und eines öffentlich rechtlichen… schön ausgewogen.

Der Marktforscher erklärt uns im Sinne seines Auftraggebers, die Fokusgruppe habe klar ergeben, dass die Relevanz eines Themas ausschlaggebend ist für die Akzeptanz beim Hörer. „What a surprise“ – zumal die Befragten aus der Zielgruppe 30+ kommen. Conclusio seiner Studie: wenn ein Thema hohe Relevanz besitzt, möchte der Hörer kompetent informiert werden. Dies darf dann auch in Beitragsform und länger als in dreißig Sekunden stattfinden.

Der Berater findet hingegen, dass „Beiträge im modernen Radio keinen Platz mehr haben“. Er möchte dem Hörer ein digitales Lagerfeuer bieten, um das dieser sich – via Facebook promotet – versammeln kann und an dem die Themen dann unterhaltsam aufbereitet werden. So geht es dann weiter, der eine erteilt Vorbereitung eine klare Absage, der andere freut sich, dass ein Call-in über Hundekacke großen Zuspruch findet. Was er verschweigt, ist, dass KEIN Anrufer live on air genommen wird – weil „zu riskant“. Wieder jemand anderes wundert sich, das trotz der tollen Marktforschung und der ganzen Trackings und Akzeptanzstudien, plötzlich zweihunderttausend Hörer kein Radio mehr hören…und so weiter und so weiter.

Dabei wäre es doch schön, wenn wir alle wieder einmal darüber nachdenken, warum Hörer unsere Programme überhaupt einschalten.

Ist es, weil wir so toll twittern oder auf Facebook fragen, was wir denn ins Programm nehmen sollen? Mal ehrlich, wer hat schon zusätzliche Hörer über Social Media generiert? Wenn ich mir die wunderbaren Social Media Charts für Radioprogramme anschaue, stelle ich fest, dass nicht unbedingt die Reichweitenkönige auch die Facebookkönige sind bzw. dass Facebookreichweiten eher in Korrelation zur Zielgruppe oder der vorhandenen Reichweite stehen. „Sunshine Live“ hat z.B. trotz großer Akzeptanz bei Facebook (Platz 1 bei den Facebook-Nutzern) diese Zahlen nicht in Reichweiten umlegen können. Dass SWR3 und 1LIVE in den Twitter Charts vorne sind, liegt umgekehrt nicht daran, dass Ihre Zielgruppe nur darauf gewartet hat. Die bei Twitter erfolgreichen Programme können sich Redaktionen leisten, die ihre Tweets erstellen und somit relevant für die Community werden.

Ein Chris Moyles hat nicht so große Reichweiten, weil er bei Facebook präsent ist. Im Gegenteil: er hat so viele Facebookfreunde, weil er relevant ist IN SEINER SHOW.

Um beispielsweise zu erkennen, dass DNA Tests für Hunde, um deren Kot zuordnen zu können, Konfliktpotential bei den Hörern liefert, dafür braucht es keine Facebook Community. Diese Erkenntnis gewinnt jeder, der einmal Hundebesitzer und Kritiker beobachtet hat. Facebook, Twitter, You Tube usw. sind nicht die Rettung unseres Mediums, sondern nur ein weiterer Baustein zur Verbesserung unseres Angebotes.

Nicht, dass ich falsch verstanden werde: Social Media bietet uns neue Optionen, mit dem Hörer zu kommunizieren. Aber das entbindet uns nicht von der Verpflichtung, ihn (den Hörer) zuallererst mit unserem Programm an uns zu binden. Alles, was über die wunderbaren Social Media Kanäle bei uns ankommt, haben wir auch früher schon, an Feedback bekommen, nur nicht so zeitnah. Wir brauchen mehr Mut. Ich kann nicht jedes Thema erst durch Marktforschung absichern, ich muss bereit und in der Lage sein, es selbst zu erkennen und adäquat in mein Format zu integrieren. Mut heißt an dieser Stelle auch: Mut zu Fehlern.

Social Media bietet uns Radiomachern große Chancen, wie jedem anderen, der Öffentlichkeit sucht auch. Social Media erfordert aber auch Authentizität. Das Internet und dessen Gemeinde sind gnadenlos, wie Herr zu Guttenberg und jetzt Frau Koch-Mehrin bitter erfahren mussten. Wer sich in den Social Communities bewegt, sollte sich dessen bewusst sein, dass jeder Fake auf Dauer auffliegt und der dann entstehende Imageschaden nahezu irreparabel ist. Social Communities erwarten persönliche Ansprache, keine Claims. Die Internetgemeinde will Personen haben, mit denen sie kommuniziert, keine Sender, die promoten. Und Last but not Least erwarten die Nutzer zeitnahe Reaktionen bzw. Antworten auf ihre Fragen und Bedürfnisse.

Jedem sollte klar sein, dass Facebook, Twitter und Co. – wie alles im Leben – Chance und Herausforderung zugleich sind. Wer sich die Wunderwaffe gegen Hörerschwund erhofft hat, wird bitter enttäuscht werden. Wer die neuen Kommunikationswege sinnvoll und zielgruppengerecht einsetzt, wird sein Programm stärken und die Hörer besser binden.

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Wolfgang Ferencak
Wolfgang Ferencak

Wolfgang Ferenčak lebt in Augsburg und ist als Moderationstrainer und Programmberater seit 1999 in Deutschland und Österreich tätig.

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