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Webradios in Deutschland noch ohne Zeugnisse

Von Dr. Michael Schmid

Goldmediales-smallWie in der Schule, so auch im Radio: Zweimal im Jahr gibt es Zeugnisse. Mit der Media Analyse 2010 Radio II wurde gerade ganz aktuell das Sommerzeugnis verteilt. Radiomacher fürchten sie zuweilen, die Werbewirtschaft schätzen sie und Kritiker erklären die MA-Zahlen teils als renovierungsbedürftig – aber: Sie sind als Währung und Gütesiegel in der Branche breit akzeptiert. Sie sichern die Vermarktung und somit letztlich die Finanzierung der Radiosender.

Weit davon entfernt sind die deutschen Webradiosender. Hier haben sich im Markt bislang noch keine akzeptierten Leistungswerte durchsetzen können – und das, obwohl das Internet doch rein technisch die besten Voraussetzungen bietet, Reichweiten und Nutzerverhalten exakt zu erfassen. Wie im gerade veröffentlichten BLM-Webradiomonitor ermittelt, gibt es in Deutschland mittlerweile rund 2.700 Webradios – über 700 mehr als ein Jahr zuvor. Etwa 80 Prozent sind ausschließlich im Internet empfangbar (Internet-Only-Angebote), die anderen sind überwiegend Livestreams der UKW-Sender (Simulcast-Streams). Wachsende Nutzerzahlen und größere Formatvielfalt machen Webradios auch für die Werbeindustrie zunehmend attraktiv. Aber, solange es keine einheitliche und im Markt akzeptierte Reichweitenmessung gibt, kommt auch die Vermarktung nicht in Schwung.

Der Status heute: Die Erhebung der Nutzungsdaten ist ein Konglomerat ganz unterschiedlicher Verfahren: Knapp die Hälfte aller Webradioanbieter nutzt eigene Logfile-Auswertungen. Ein Fünftel setzt auf alternative Lösungen und unterschiedlichste Tracking-Tools, zum Beispiel RadioToolbox.com, Shoutcast.com, Flatcast.info oder Google Analytics. Rund 15 Prozent der Anbieter bevorzugt die Kombination zweier verschiedener Auswertungssysteme. Über zwei Drittel der im Webradiomonitor 2010 befragten UKW-Sender erhalten Nutzungsdaten von ihrem Streaming-Provider. Nur vergleichsweise wenige Sender, vor allem die etablierten großen UKW-Marken und einige starke Online-Only-Portale, sind durch IVW und AGOF erfasst.

Befragt man die Webradiosender selbst, wie im Webradiomonitor 2010 geschehen, dann halten die meisten Anbieter – bei den Webradios der UKW-Sender sogar knapp 90 Prozent – eine einheitliche Reichweitenerfassung für unabdingbar. Bei wem aber liegt nun die Verantwortung, dass Weichen gestellt werden, damit diese Branche auch wirtschaftlich weiter wachsen kann? Sie liegt sicher überall dort, wo derzeit bereits Online-Reichweiten gemessen werden: IVW, AGOF oder ag.ma. AGOF und ag.ma arbeiten bereits in der 2009 gemeinsam gegründeten IMA GmbH zusammen und könnten eine Währung zur Messung von Audio-Streams schaffen. Fraglich aber wird sein, ob sich die vor allem eher kleinen Webradiosender die Dienste der IMA GmbH auch leisten können. Die Zweifel sind berechtigt, blickt man auf die derzeitige Zahl der erfassten Online-Angebote: So bilden AGOF (mit rund 600) und IVW (mit etwa 1.000) nur einen Ausschnitt aller Online-Portale ab.

Was aber ist überhaupt der adäquate Messwert, der branchenweit Akzeptanz findet? Dazu gibt es in der Webradiobranche noch keinen Konsens. Ist es der Unique Listener, also die Person, die durch Start eines Audio-Streams einen Kontakt ausgelöst hat und einem Unique Client eindeutig zugeordnet werden kann, oder sind es die Tune-Ins, die gestarteten Streams ohne Zuordnung zu Unique Listenern beziehungsweise ohne Berücksichtigung von Abbrüchen und Neustarts? In Frage käme zudem auch der konkrete Werbemittelkontakt: Hörer beziehungsweise Nutzer, die nachweisbar mit dem Werbemittel Kontakt haben. Rein technisch wäre alles möglich. Befragt man die Webradioanbieter selbst, ist es mehrheitlich der Unique Listener. IVW und AGOF ermitteln aktuell die Online-Reichweite in Form von Visits oder Unique Usern, die Abrufe der Webradio-Streams werden bisher nicht ausgewiesen.

Selbst wenn sich die etablierten Reichweitenmesser zeitnah einigen, werden kleine Webradios auf Alternativen angewiesen sein. Eine bietet der Webradiomonitor (www.webradiomonitor.de), der nicht nur eine umfassende Branchenanalyse zum Thema Webradio in Deutschland ist, sondern zugleich Informationsportal für die Sender mit der Option, die Reichweite automatisiert messen zu lassen. Der Webradiomonitor stellt vor allem auf die Tune-Ins ab. Es scheint so, als ob das UKW-Radio mit seinen guten alten MA-Zahlen im Vorteil ist.

Was aber seitens der Webradios noch gänzlich fehlt, ist auf der UKW-Radio-Seite wohl auch nicht zementiert, weil nicht dauerhaft zeitgemäß: Heute, wo man im Internet jeden einzelnen Stream-Abruf erfassen und Online-Werbung nach Nutzungsgewohnheiten und Kundenverhalten platzieren kann, wird es immer schwerer, mit einer Telefonumfrage, die nur zweimal im Jahr stattfindet, tatsächlich up to date zu sein. Auch beim UKW-Radio wird es Zeugnisse zukünftig vielleicht häufiger geben müssen.

Michael Schmid
Dr. Michael Schmid

Dr. Michael Schmid ist Senior Consultant Goldmedia GmbH, E-Mail: info@goldmedia.de / Internet: www.goldmedia.de

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