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Radio diesseits und jenseits der Alpen: High-Tech kontra Spontan-Talk

Von Anke Vehmeier

Dolce Vita und Leidenschaft – deutsche Gemütlichkeit und Fleiß. Es sind Widersprüche und Vorurteile, die den Blick auf den Nachbarn diesseits und jenseits der Alpen zunehmend trüben. Dagegen möchte das Goethe-Institut – in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb und weiteren Partnern – ein Zeichen setzten.

Mit dem Projekt „Va bene?! La Germania in italiano. Italien auf Deutsch“ setzen die Partner bei den Meinungsmachern und Multiplikatoren an. Unter dem Motto „Tapetenwechsel“ bringt das Institut deutsche und italienische Journalisten zusammen und bietet ihnen einmalige Perspektivwechsel.

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"Va bene?!" im Netz.

So tauschen Zeitungsredakteure und Radiojournalisten aus beiden Ländern jeweils für vier Wochen ihre Arbeitsplätze und lernen die Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Gaststadt und -redaktion kennen. „Wir sehen unsere Aufgabe darin, die große Decke der Vorurteile und Stereotypen zu lüften und die vielen kleinen Mosaiksteine zum Vorschein zu bringen“, sagt Susanne Höhn, Länderleiterin des Goethe-Instituts in Rom. „Das Ziel dabei ist ganz klar: Die gegenseitige Neugierde wieder zu beflügeln und von einander zu lernen“, sagt Thomas Krüger, Präsident der bpb. Der Tapetenwechsel ist Chance und Herausforderung zur Verbesserung des deutsch-italienischen Verhältnisses zugleich: „Wir ermöglichen die Recherche vor Ort, die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit auf den Straßen und Plätzen beider Länder und nicht mit ihrem schattenhaften Abbild in knappen Agenturmeldungen und der Recherche im Internet“, erklärt Höhn.

Perspektivwechsel durch Arbeitsplatztausch

Auf den Weg nach Mailand machte sich Marcello Bonventre. „Mich fasziniert die Liebe der Italiener zur Sprache. Sie sind ungern allein, das zeigt sich auch darin, dass sie im Radio fast immer mit einer Doppelmoderation einen Klangteppich legen“, sagt Marcello Bonventre. Der Redakteur vom Nordwestradio bei Radio Bremen tauschte seinen Arbeitsplatz mit Laura Troja von „Caterpillar“, dem Programm von Rai Radio 2, in Mailand. „Für mich war der ‚Tapetenwechsel‘ ein spannendes Projekt und ich konnte zu meinen italienischen Wurzeln zurückkehren“, sagt der italienischstämmige Bonventre. „Bei uns in Deutschland ist Radio sehr streng formatiert, dabei spielt neben dem Inhalt die Technik eine große Rolle.“ Das bestätigt auch Laura Troja: „Ja, bei Radio Bremen ist die Qualität des Sounds sehr wichtig. Alles im Studio ist live oder mit dem MP3-Rekorder aufgenommen. Bei Rai nutzen wir das Handy – das ist für die Deutschen nicht zu fassen“, sagt Laura Troja.

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Laura Troja, Reporterin bei "Caterpillar", einer Infotainmentsendung von Rai Radio 2 in Mailand, tauschte vier Wochen lang ihren Arbeitsplatz mit Marcello Bonventre von Radio Bremen.

Inhalt schlägt Technik, zumindest in Italien

Den Bremer Redakteur faszinierte die Leichtigkeit seiner italienischen Kollegen. „Die Italiener trauen sich mehr als wir. Sie transportieren das Gespräch unter Freunden ins Radio. Sie unterscheiden auch stärker zwischen Journalisten und Moderatoren als wir“, erklärt der Redakteur die offensichtlichen Unterschiede. Dabei ist die Rollenverteilung stärker getrennt als in Deutschland: Journalisten sollen recherchieren und ein Thema beleuchten, die Moderatoren bieten dagegen eine Plattform, sie binden die Journalisten und auch ihre Hörer stärker in die Sendung ein. Zu Obamas Gesundheitsreform haben sie einen italienischen Arzt in den USA angerufen und ihn nach seiner Meinung gefragt. „Manchmal können sie ein Thema atemlos vorantreiben“, berichtet Bonventre. „Wir sollten vielleicht auch häufiger die Technik hinten anstellen und uns für den besseren Gesprächspartner entscheiden, auch wenn er über Telefon nicht in hundertprozentiger Qualität herüber kommt“, sagt der Redakteur.

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Italienische Moderatoren senden am liebsten zu zweit, so wie hier Filippo Solibello und Marcello Bonventre bei Rai Radio 2.

Italienische Hörer begeistern sich am Mitmach-Radio

„Unsere Sendungen sind spontaner, die Moderatoren schreiben sich keine Texte vorher auf“, sagt Laura Troja. Einen wesentlichen Unterschied sieht sie in den Erwartungen des Publikums. Die Deutschen seien stärker an auswärtiger Politik interessiert als die Italiener. Und: „Die Hörer in Italien wollen viel mehr an den Sendungen teilnehmen. Sie schreiben sms und rufen live in der Sendung an. Unsere Hörer sind sogar unsere Korrespondenten: Sie berichten aus Italien und aus dem Ausland, zum Beispiel über den Weg der Olympischen Flamme, den Straßenkrieg in Kalabrien, Demos in Griechenland oder über den Ölteppich auf dem Po.“

laura1Die Erfahrungen, die Marcello Bonventre beim Tapetenwechsel gemacht hat, zeigen, wie wichtig das Projekt für die deutsch-italienische Verständigung sein kann. „Es ist ganz entscheidend, wie Journalisten über den jeweils anderen schreiben und berichten“, sagt der Radioredakteur. Wie die Blickwinkel entstehen können, zeigte ihm ein kleines Experiment. Unter dem Motto „Deutschland fragt Italien“ hatte er bei Kollegen und Bekannten Fragen gesammelt, was sie schon immer über Italiener wissen wollten. Die Fragen stellte er dann dem italienischen Radiopublikum: Natürlich der Klassiker „Seid Ihr wirklich leidenschaftlicher als wir Deutschen?“ Aber auch: „Esst Ihr wirklich alle Zugvögel auf?“. „Die Italienischen Zuhörer waren entsetzt. Sie sagten, das kann doch nicht wahr sein, dass die Deutschen so über uns denken“, berichtet Bonventre.

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Marcello und Filippo im Studio

Im deutschen Radio wird mehr erklärt

Die Radiolandschaft in Italien ist sehr breit und dicht. Es gibt rund 1.400 Radiostationen, mehr als in vielen anderen europäischen Ländern. „In den Städten liegt ein Radiosender neben und manchmal über dem anderen und es gibt viele private Lokalsender“, berichtet Susanne Höhn. Daneben senden unter anderem auch die katholische Kirche und die politischen Parteien.

Im Gegensatz zu Deutschland gibt es in Italien eine Journalistengilde, den „Ordine dei giornalisti“. Der Verband wacht streng über die Aufnahme und die Privilegien der Journalisten. In der Arbeitsweise entdeckt Susanne Höhn große Unterschiede: „Die italienischen Journalisten geben oft nur die politische Debatte wieder – ohne eine klare Einordnung, Analyse und Interpretation.“ Das Publikum werde somit ein Stück weit alleingelassen und „kann oder muss sich daraus sein Weltbild selbst zimmern“, so die Länderchefin des Goethe-Instituts.

Gelegenheit zum deutsch-italienischen Erfahrungsaustausch gibt es im Oktober bei einer Redaktions-Konferenz in Rom. Unter dem Titel „Medien: Made in Italy – made in Germany“ diskutieren Redakteurinnen und Redakteure aus beiden Ländern auf Einladung der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb und der Konrad-Adenauer-Stiftung Rom Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den Mediensystemen und in der journalistischen Arbeit.

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Marcello Fenchel in der RAI-Mensa

Weitere Informationen, Fotos, Videos, Weblogs zum „Tapetenwechsel“ unter www.goethe.de/ins/it/lp/prj/vab/prs/deindex.htm

Alle Fotos von Anke Vehmeier (www.hörfunker.de)

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