Stephan Hampe: Der lange Schwanz des Radiogeschäfts

Von Stephan Hampe

long_tail_skizze„Noch wedelt der Hund mit dem Schwanz, am Ende des nächsten großen Marktlebenszyklus’ wird es umgekehrt sein“. Das ist die – zugegebenermaßen sehr freie – Übersetzung der Keynote von US-Radiopionier Kurt Hanson auf dem Radiocamp 2010 in Hamburg. Und, vor allem: „Der nächste Zyklus beginnt … jetzt!“ Kurt glaubt an Chris Andersons „Long Tail“-Theorie. Demnach ist die Zusammenfassung vieler Nischenprodukte genauso profitabel wie populäre Spitze eines des Marktes (Nachzulesen hier (Bezahlter Link)).

Seine Prophezeiung trifft natürlich besonders den Nerv der Freaks, die die Mehrheit der rund 3.000 deutschen Webcaster repräsentieren: Kleine, sehr spezialisierte Radiomacher mit engen Musikformaten oder Talkangeboten. Sie produzieren „Ihr Radio“ für kleines Geld und mit relativ wenig Aufwand im Internet und warten auf den großen Durchbruch bei der Refinanzierung.

Webradio: Zusammen so groß wie YouTube

„Je nach Studie reden wir derzeit von 11 bis 15 Millionen Unique Usern pro Monat“, schätzt Kay Overbeck von Google Deutschland die Zahl der Webradionutzer. Das seien fast soviel Menschen wie die Google-Tochter YouTube monatlich mobilisiert (16 Millionen). Allerdings: YouTube macht immer noch keinen Gewinn.

Das soll den Webradios nicht passieren, weshalb sich die Vermarkter der Radioszene in Position bringen. Der stellvertretende RMS-Verkaufsdirektor Frank Nolte beschreibt die Perspektiven für Onlineradio allerdings noch sehr salomonisch: „Für Publisher sowie die Vermarktung bietet der Bereich ‚New Audio’ zahlreiche Chancen für die Zukunft. RMS ist zuversichtlich, diesen Kanal langfristig im Werbemarkt etablieren zu können“. Der klassische Radiovermarkter RMS sieht Online-Radio also lediglich als weiteren ‚Kanal’, über den Audio-Angebote distribuiert werden. Es wäre interessant gewesen, wie der RMS-Wettbewerber, die ARD-Werbetochter AS&S, vor dem Hintergrund der kontroversen Diskussion um die Online-Angebote der Öffentlich-Rechtlichen die Vermarktungsaussichten vorstellt. Die AS&S, übrigens auch Co-Sponsor des Radiocamps 2010, fand allerdings keinen Vertreter, der zu dieser heiklen Frage Stellung nehmen wollte…

RBC fordert Positionierung von Webradio als eigene Gattung

RBC-Geschäftsführer Klaus Gräff geht das mit dem ‚neuen Kanal’ nicht weit genug: „Die Gattung Webradio muss sich viel stärker als eigenständige Gattung positionieren, um nicht als ‚Online mit Radio’ oder ‚Radio mit Online’ im Werbemarkt einsortiert zu werden“, fordert er. Gräffs RBC bietet für reine Webcaster wie 90elf oder quu.fm seit 2008 eine eigene Vermarktungsplattform an (www.netvertiser.de). Und auch er verspürt wie US-Speaker Kurt Hanson bereits ein kleines bisschen Aufbruchstimmung für das Segment: seit September 2009 sei ein „kontinuierliches und dynamisches, wenn auch noch kein explosionsartiges Wachstum“ der Vermarktungsumsätze zu verspüren, formuliert er in seinem typischen, genauso zielführenden wie ergebnisoffenen Business-Sprech.

Matthias Mroczkowski vom reinen Webradio-Vermarkter Audimark sieht sich dagegen von der traditionellen Radioszene stiefmütterlich behandelt. Er kündigte vor drei Monaten die bisherige Zusammenarbeit mit der RMS und versucht nun auf eigene Faust, Webradio als Angebot im Werbedschungel zu positionieren. Wie genau, mit welchem Profil und welchen konkreten Angeboten für die Kunden, das ließ er aber auch auf Nachfrage in der „Elefantenrunde der Vermarkter“ im Nebulösen.

Wo sind die Webradio-Marken?

Jetzt ist der Artikel gleich zu Ende, und es gab noch kein Wort über Programme, Inhalte, Marken auf dem Radiocamp 2010. Der Grund ist einfach: Darüber wurde auch kaum geredet in Hamburg.

Die „Schnittstelle zum Geld“ oder auch die „Professionalisierung der Szene“ war diesmal das Thema der Webcaster – auch aus Sicht des Radiocamp-Veranstalters und 1000mikes-CEO Frank Felix Debatin (www.1000mikes.com). Sein Wunsch: „Wir brauchen mehr intelligente Konzepte. Ein großer Online-Radio-Betreiber in den USA, Ari Shohats di.fm /sky.fm, finanziert sich beispielsweise zur Hälfte über Subscriptions.“ Auch B2B-Finanzierung sei ein spannender Weg. „Darüber wurde gar nicht gesprochen, das alles müssen wir nächstes Jahr nachholen“, stellt Debatin in Aussicht.

Stephan Hampe
Stephan Hampe

Aus Sicht von Programmmachern und Hörern ergänze ich: Lasst uns auch mal über Marken und Formate im Web reden nächstes Jahr. Denn gerade in einem „langen Schwanz“ mit hunderten und tausenden von Anbietern sind Erkennbarkeit und klares Profil extrem wichtig für den Erfolg. Erste Beispiele dafür sind 90elf.de oder quu.fm. Mehr davon, und der Schwanz wedelt tatsächlich irgendwann mal mit dem Hund ;-)

© radico 2010 | Stephan Hampe