Felicia Reinstädt: Facebook ist für junge Radios mittlerweile ein alter Hut

Bremen NEXT-Programmchefin Felicia Reinstädt: Facebook ist für junge Radios mittlerweile ein alter HutWas macht eigentlich Bremen Next? Das vor rund 18 Monaten gestartete Jugendangebot für die Bremer Hansestadt hat das Babyalter verlassen, zeigt Zähne – und hebt sich in diversen Facetten von einigen anderen Mitgliedern der jungen ARD-Radiofamilie ab. Klar, der jüngste Spross von Radio Bremen sendet gezielt in einen überschaubaren urbanen Ballungsraum, muss nicht – wie etwa 1LIVE, N-JOY, YOUFM oder DASDING – auch die (sich bisweilen doch sehr unterscheidenden) Präferenzen der Jugendlichen auf dem „flachen Land“ bedienen. Ein Vorteil, sicher. Eben deshalb lohnt sich der Blick auf die Programminhalte. Laut eigener Aussage richtet sich die Welle mit ihrem Angebot an eine junge Zielgruppe zwischen 15 und 25 Jahren, die vor allem mobil und online ihre Inhalte konsumiert. Das Programm ist in Bremen und Bremerhaven via UKW und DAB+ empfangbar. Und natürlich im Internet.

Mit einem Anteil von über 40 Prozent an HipHop/RnB dürfte Bremen NEXT in dieser Sparte im nationalen UKW-Radio eine hörbare Spitzenposition einnehmen – inklusive eines sehr hohen Anteils an Deutsch-Rappern, mit deren Texten sich einige andere junge Sender gelegentlich schwertun. Auch bei der Zahl an echten Musikneuheiten und Newcomern sowie beim deutschsprachigen Anteil wurden bei einem aktuellen Monitoring im Januar 2018 überdurchschnittlich hohe Werte gemessen.


Im Gespräch mit RADIOSZENE erläutert Programmchefin Felicia Reinstädt den Entwicklungsprozess beim Bremer Jugendangebot.

BremenNEXT-Programmchefin Felicia Reinstädt (Bild: © Radio Bremen/Patrick Schulze)
BremenNEXT-Programmchefin Felicia Reinstädt (Bild: © Radio Bremen/Patrick Schulze)

RADIOSZENE: Bremen NEXT ist nun seit rund 18 Monaten auf Sendung. Welches Fazit ziehen Sie seit Sendebeginn?

Felicia Reinstädt: Als wir im Sommer 2016 gestartet sind, hatten wir ein gutes Gefühl, dass da wir mit dem, was wir bei Bremen NEXT machen, bei unserer Zielgruppe ankommen werden. Jetzt, anderthalb Jahre später, können wir sagen, wir haben dieses Ziel voll erreicht. Die Resonanz und das Feedback, das wir für unser Programm im Radio, in den sozialen Kanälen und auch auf unseren Veranstaltungen bekommen, haben unsere Erwartungen weit übertroffen. Auf unseren sozialen Kanälen konnten wir im vergangenen Jahr enorme Wachstumsraten verbuchen und auch die ersten Zahlen für die Onlineradionutzung aus der letzten ma IP Audio bestätigen diesen Trend. Bei uns melden sich viele junge Leute, die sagen, dass sie uns feiern und auf so etwas wie Bremen NEXT schon lange gewartet haben. Das ist das schönste Kompliment, was man bekommen kann.

RADIOSZENE: Gibt es bereits Erkenntnisse, welche sozio-demografische Hörerschichten im Kern mit Ihrem Konzept erreicht werden?

Felicia Reinstädt: Unser Ziel ist es, Programm für alle jungen Menschen in Bremen und der Region zu machen – nicht nur für die weiße, gutgebildete Mittelschicht. In Bremen hat jeder dritte Jugendliche Migrationshintergrund und genau das berücksichtigen wir auch bei unseren Inhalten und in der personellen Zusammensetzung unserer Redaktion. Im Moment haben wir für den Radioempfang per UKW und DAB+ noch keine harten Zahlen, aber über die Rückmeldungen unserer Hörerinnen und Hörer, das Publikum auf unseren Veranstaltungen und die Statistiken, die uns Facebook und Co ausspucken, können wir sagen, dass wir eine starke regionale Fanbase haben und junge Menschen quer durch alle Schichten ansprechen. Wir laufen im Kiosk am Eck, im Freizeitheim und auf dem Sportplatz genauso wie in der JVA Bremen.

Bremen NEXT (Bild: ©Radio Bremen)
Bremen NEXT (Bild: ©Radio Bremen)

RADIOSZENE: Bremen NEXT sendet ein deutschlandweit vergleichsweise ziemlich einmaliges Musikkonzept – mit einem jeweils sehr hohen Anteil an HipHop/Rap und elektronischer Musik. Nach welchen Kriterien stellen Sie Ihr Musikprogramm zusammen?  

Felicia Reinstädt: Wir spielen die Musik, die junge Leute auf ihrem Handy und abends beim Weggehen hören. Bei der Musikauswahl schauen wir sehr genau, was trendet gerade auf Spotify und Youtube, was wird in den angesagten Clubs gespielt und auch was andere progressive Radiosender in UK und USA machen. Die klassischen Charts spielen bei uns eine eher untergeordnete Rolle. Über Shazam und Spotify sehen wir auch, was in welcher Region gehört wird. So können wir sehr genau ablesen, wie neue Songs in unserem Programm bei der Zielgruppe ankommen. Neben den ganzen Tools spielt natürlich weiterhin der berühmte „gute Riecher“ eine wichtige Rolle, gerade bei Künstlern, die noch vollkommen unbekannt sind. Wir haben zum Beispiel im Frühjahr letzten Jahres als einer der ersten Radiosender Bausa gespielt. Als wir ihn dann Anfang Juli für Bremen NEXT auf die „Breminale“, ein großes Musikfestival in Bremen, geholt haben, haben die Leute uns die Bude eingerannt und konnten alle Songs mitsingen. Wohlgemerkt, das war noch bevor Bausa in die Charts eingestiegen ist. Das hat ihn bei dem Auftritt selbst überrascht.

RADIOSZENE: Die Musikprogramme anderer ARD-Jugendradios beinhalten auch zusätzliche Genres wie Pop oder Alternative Rock. Sind diese Stile in Bremen nicht so gefragt beziehungsweise schließen Sie damit per se nicht schon bestimmte Hörerpräferenzen aus?

Felicia Reinstädt: Wir decken mit unserer Musikmischung die angesagten jungen Musikgenres ab. Dazu gehört Deutschrap und US HipHop, R’n’B und viel Clubsound. Aktuelle Popsongs sind zum Teil auch von genau diesen Genres beeinflusst, diese finden sich dann durchaus in unserem Programm wieder. Wir legen bei Bremen NEXT großen Wert auf ein Klangbild mit einer klaren Ausrichtung. Wer mehr auf Pop und Alternative steht, ist bei Bremen Vier, der Popwelle von Radio Bremen, besser aufgehoben.

BremenNEXT - Eure Party, unser DJ (Bild: Radio Bremen - Pascal Mühlhausen)
BremenNEXT – Eure Party, unser DJ (Bild: Radio Bremen – Pascal Mühlhausen)

RADIOSZENE: Auch deutschsprachiger HipHop und Rap spielen im Musikmix – im Gegensatz zu einigen anderen Jugendradios – bei Ihnen eine gewichtige Rolle. Damit stehen Sie sehr im Einklang mit den derzeitigen Ergebnissen in den Verkaufscharts. Hat HipHop/Rap bei den Radiohörern einen tatsächlich so hohen Stellenwert?

Felicia Reinstädt: Deutschrap ist in der jungen Zielgruppe gerade das große Thema, aber das nicht erst, seitdem Künstler wie Bausa oder RIN in den Charts sind. Dieser Trend lässt sich schon seit ein paar Jahren beobachten. Die HipHop Artists von heute sind richtige Popstars mit einer großen Fangemeinde. Mich wundert es deshalb auch eher, wieso viele Radiosender beim Thema HipHop noch so zögerlich sind. Uns schreiben die Leute: „Endlich spielt jemand die Musik, die wir hören, und nicht das ewig gleiche Einheitsgedudel.“ Das zeigt, dass es Sinn macht, diese Musik im Radio zu spielen, und hier nicht das Feld Spotify und Co zu überlassen.

RADIOSZENE: Wie viel „Bremen“ steckt in den moderierten Sendestrecken von Bremen NEXT? 

Felicia Reinstädt: Da steckt sehr viel Bremen drinnen! Wir wollen mit unserem Angebot im Radio und in den sozialen Kanälen das Lebensgefühl junger Menschen in der Region transportieren. Auch die interessiert schließlich, was vor ihrer Haustür passiert. Die meisten unserer Themen spielen hier oder bekommen einen regionalen Anstrich. Inhaltlich bieten wir unserem Publikum eine Mischung aus Unterhaltung, Information und Orientierung. Wir haben ein Ausbildungsformat, in dem wir regelmäßig Ausbildungsberufe vorstellen, wir reden über die Bremer Drogen- und Integrationspolitik genauso wie über eine neue Skatehalle oder die aktuelle Lage bei Werder Bremen. Wir haben sogar ein eigenes Video-Format, in dem wir junge Leute in unterschiedlichen Ecken Bremens besuchen und mit Vorurteilen gegenüber vermeintlichen „Problemvierteln“ aufräumen. Bei allem, was wir machen, ist uns wichtig, ein offenes, tolerantes und buntes Weltbild zu vermitteln.

RADIOSZENE: Wie stark fokussieren sich Ihre Nachrichten auf die Lebenswelt der Jugendlichen und das Geschehen in Bremen? 

Felicia Reinstädt: Bei Radio Bremen werden alle Nachrichtenformate von einer zentralen Nachrichtenredaktion im Haus zugeliefert. So auch bei Bremen NEXT – mit dem Unterschied, dass wir die Nachrichten selbst präsentieren und damit schon sprachlich eine größere Nähe zu unserem Zielpublikum herstellen. Inhaltlich bringen die Nachrichten das Wichtigste aus der Region, Deutschland und der Welt auf den Punkt. Ist ein Nachrichtenthema relevant, findet es natürlich auch außerhalb der Nachrichten bei uns statt. Hier legen wir großen Wert auf Verständlichkeit und darauf, zu erklären, wieso betrifft oder sollte mich dieses Thema als junger Mensch betreffen. Aktuell haben wir live moderiertes Programm zu den klassischen Radiopeak-Zeiten am Morgen und am Nachmittag, dazu unsere Musik Specials am Abend. In den sozialen Netzwerken sind wir rund um die Uhr „on“. Die Frage, ob wir mehr Strecken im Radio moderieren sollen oder nicht, stellt sich bei uns im Moment gar nicht.

RADIOSZENE: Seit Sendestart haben Sie auch diverse Musikspecials im Programm. Wie wichtig sind diese Shows für das gesamte Programmpaket? 

Felicia Reinstädt: Unsere Spezialsendungen am Abend zeigen die gesamte Bandbreite an Musikgenres, die bei Bremen NEXT gespielt werden, präsentiert von DJs aus der Region. Natürlich ist die Musikauswahl hier spezieller als im Tagesprogramm. Am Mittwoch gibt es „Punchline“ für alle HipHop- und Rap-Fans, Donnerstagabend haben wir mit „Rewind“ die einzig wöchentliche deutschsprachige Drum & Bass-Sendung im Programm, Freitag läuft als Warmup fürs Wochenende „Bassdrive“ mit bassorientierter Clubmusik und am Samstag legen unsere „Push“-DJs House, Tech House und Deep House auf. Darüber hinaus gibt es mit „Bremen NEXT mixed“ DJ Mix-Formate für andere Clubgenres. Im Februar planen wir ein Grime-Spezial im Radio und als Event für unsere Community. Dafür haben wir mit NoLay eine bekannte Grime MC aus Großbritannien gebucht, dem Mutterland des Grime. Wir sind gespannt, wie Grime bei den Bremern ankommt.

BremenNEXT Grime (Bild: ©Radio Bremen)
BremenNEXT Grime (Bild: ©Radio Bremen)

RADIOSZENE: In welcher Form und Intensität nutzen Sie die sozialen Netzwerke? Über welche weiteren Kanäle und Aktionen macht Bremen NEXT sonst auf sich aufmerksam?

Felicia Reinstädt: Die sozialen Netzwerke sind unsere Homebase. Für alle aus der Redaktion sind sie natürlicher Lebensraum, mehr als das Radio. Als wir Bremen NEXT konzipiert haben, war von Anfang an klar, wir wollen hier kein klassisches Jugendradio machen. Wir wollen dort hingehen, wo unsere Zielgruppe ist, und die ist eben vor allen Dingen in den sozialen Netzwerken. Deshalb ist unsere Redaktion auch zu 100 Prozent crossmedial aufgestellt. Wir haben keine Aufteilung in Radio-, Social Media- und Online-Abteilung. Alle arbeiten bei uns an der einen Idee und die ist Bremen NEXT. Dieser Ansatz geht auch über das Programmmachen hinaus. Wir sind angetreten, um auf der Straße und in den Clubs in Bremen und Bremerhaven etwas zu bewegen und neue Impulse in der Region zu setzen. Besonders stolz sind wir hier auf unsere Clubnacht, die „Bremen NEXT Night

, mit der wir am 16. März in vielen Clubs in Bremen in die dritte Runde gehen. So eine Clubnacht gab es bisher in Bremen nicht und die Besucherzahlen zeigen, dass da ein großer Bedarf ist. Für März haben wir wieder ein internationales Lineup zusammengestellt, u.a. mit dem britischen Drum & Bass-Produzenten TC, dem Hamburger EDM-Trio DBN und Deutschlands bekanntester Deutschrap DJane Visa Vie.

BremenNEXT Night (Bild: © Radio Bremen)
BremenNEXT Night (Bild: © Radio Bremen)

RADIOSZENE: Lassen Sie uns ein wenig nach vorne blicken: wie müssen Jugendradios und Bremen NEXT im Besonderen aufgestellt sein, um junge Menschen auch in Zukunft ans Radio zu binden?

Felicia Reinstädt: Im Radio funktioniert vieles über Nähe und Authentizität. Für ein junges Radio bedeutet das, genau die Sprache zu sprechen, die auch die Zielgruppe spricht – und das funktioniert am besten mit Menschen, die auch Teil dieser Zielgruppe sind. Für ein modernes, junges Radio gilt es auch nochmal das Standardwerkzeug des Radiomachens zu hinterfragen, und sich ernsthaft darüber Gedanken zu machen, wie ein ehrlicher und unverstellter Dialog mit dem Publikum aussehen kann. Genau hier können wir uns noch von Spotify, Alexa und Google unterschieden – durch echte und ernst gemeinte Bindung zu den Leuten, für die wir Programm machen. In Deutschland wird sehr professionell Radio gemacht, ich vermisse hier aber oft die echten Menschen dahinter und auch den Mut, einfach mal was anders zu machen. Am Ende kann eine junge Programmmarke natürlich nur funktionieren, wenn sie auf unterschiedlichen Kanälen ihr Publikum anspricht. Da ist es wichtig, am Puls der Zeit zu sein. Die Nutzungsgewohnheiten ändern sich genauso schnell wie die Angebote. Facebook ist für junge Programme mittlerweile ein alter Hut. Bei Bremen NEXT sind wir hier ständig am Ausloten, Rumprobieren und Weiterentwickeln. Immer in Bewegung bleiben, nie fertig sein – das sollte der Kern eines jungen Programm sein und das ist auch die Philosophie von Bremen NEXT.


Bremen NEXT
96,7 MHz in Bremen // 92,1 MHz in Bremerhaven
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