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Ist Großbritannien reif für UKW-Abschaltung?

James Cridland's Radio Future: Ist Großbritannien reif für UKW-Abschaltung?Ganz Europa ist damit beschäftigt, Mittelwellensender abzuschalten und auch für UKW rückt das Abschalten zumindest für eines der größten europäischen Länder immer näher: Großbritannien. Letzte Woche sorgte das britische Marktforschungsinstitut RAJAR für neue Zahlen, die zeigen, dass 49,9 Prozent des gesamten Radiohörens auf digitale Plattformen entfällt. „Digitale Plattformen“ bedeutet in diesem Fall meist digitale Ausstrahlung: 36,3 Prozent des gesamten Radiohörens entfallen auf Digitalradio via DAB+ (das über große Türme auf Hügeln zu Radiogeräten mit Antenne übertragen wird), nur 8,5 Prozent hören online oder über Apps und etwa 5 Prozent hören über das Fernsehen.

Die britische Regierung verkündete bereits im Jahr 2010, dass sie eine UKW-Abschaltung erwägen würde, wenn die gesamte Radionutzung zur Hälfte auf digitale Wege angewachsen wäre. Viel später als erwartet sind wir nun fast soweit.

Pure Digital Radio Großbritannien (BIld: Pure International Limited)
Pure Digital Radio Großbritannien (BIld: Pure International Limited)

Eigentlich sind viele Stationen schon soweit. Alle Privatradios (44 Prozent des Marktes) werden zu über 50 Prozent digital verbreitet. Der Nachrichten- und Wortkanal BBC Radio 4 – beliebtestes Programm in London – ist bereits zu über 50% digital zu hören. Nur einige der alteingesessenen BBC-Programme tun sich schwer mit der Bekehrung ihrer HörerInnen.

Die nötigen 50% werden garantiert im nächsten Quartal erreicht sein. Zwar fiel jedes Jahr zu Weihnachten die Gewohnheit auf, Digitalradios mit DAB+ zu verschenken; aber dieses Jahr werden auch intelligente Lautsprecher wie Google Home und Amazon Echo in den Regalen stehen – und das wird ebenfalls für entsprechende Effekte sorgen. (Ich nutze vermutlich zu ungefähr 20 Prozenz mein Google Home zum Radiohören.) In nur drei Monaten werden wir also über die erwartete UKW-Abschaltung in Großbritannien sprechen müssen.

In Norwegen war dies im vergangenen Jahr bereits der Fall – und das Land sammelt noch immer die Statistiken und erforscht die Folgen. (Im nächsten Monat werden bei den Radiodays Europe viele Zahlen eine Rolle spielen – siehe unten). Die Verfügbarkeit digitalen Radioempfangs im Auto scheint insgesamt zu einem leichten Rückgang des Radiohörens geführt zu haben; es gab zudem eine interessante Umverteilung der HörerInnen weg vom werbefreien öffentlichen-rechtlichen Angebot hin zu den Sendern mit Werbespots.

digitalradio ukBeschlossene Sache ist es noch nicht, dass Großbritannien UKW auch tatsächlich ausschalten wird. Während die Regierung anscheinend bereits alle passenden Gesetze im Parlament verabschiedet hat, gehe ich davon aus, dass eine Branche, die derzeit eine Erhöhung der Ausgaben für Rundfunk und Fernsehen um 5,1 Prozent feiert, nur ungern eine bewusste Umwälzung herbeiführen möchte. Würde in absehbarer Zukunft weiterhin sowohl auf UKW als auch via DAB gesendet, würden die Menschen trotzdem weiterhin auf Digitalradio umsteigen. Die BBC müsste wie das norwegische NRK einen erheblichen Rückgang des Radiohörens fürchten. Und die Regierung ist zu sehr mit sich selbst und dem Umgang mit Brexit beschäftigt.

Interessant wird zu sehen sein, was als nächstes passiert.

Apropos Abschaltung der Mittelwelle: Der landesweite britische Rundfunkanbieter Absolute Radio hat bei der Regulierungsbehörde beantragt, einige seiner MW-Sender abzuschalten. Die nationale DAB-Abdeckung ist erreicht, einige seiner kleineren Füllsender möchte der Sender daher abschalten. Die Station rechnet damit, dass ihre Abdeckung um 5% abnimmt, aber sie spart durch die Abschaltung 50% ihrer Übertragungskosten. Es sieht nach einem vernünftigen Schritt aus – und hoffentlich stimmt die Ofcom zu. (Sollte eine Abschaltung analoger Übertragungswege nicht immer marktorientiert und vom Publikum befürwortet erfolgen?)

Radiodays Europe 2018 Vienna

In diesem Jahr veranstalte ich auf den Radiodays Europe in Wien einen speziellen Workshop über die UKW-Abschaltung in Norwegen. Bestimmt werden es faszinierende Stunden, in denen wir lernen, was zu tun ist und was nicht. Sie können auch teilnehmen und Fragen stellen, auf die Sie schon immer eine Antwort wissen wollten – kostenlos! Sie benötigen kein Ticket für die Hauptkonferenz, müssen sich aber anmelden.

 


James CridlandDer Radio-Futurologe James Cridland, spricht auf Radio-Kongressen über die Zukunft des Radios, schreibt regelmäßig für Fachmagazine und berät eine Vielzahl von Radiosendern immer mit dem Ziel, dass Radio auch in Zukunft noch relevant bleibt. Er betreibt den Medieninformationsdienst media.info und hilft bei der Organisation der jährlichen Next Radio conference in Großbritannien. Er veröffentlicht auch podnews.net mit Kurznews aus der Podcast-Welt. Sein wöchentlicher Newsletter (in Englisch) beinhaltet wertvolle Links, News und Meinungen für Radiomacher und kann hier kostenlos bestellt werden: james.crid.land. Kontakt: james@crid.land oder @jamescridland.

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